Gelsenkirchen. Schon bei einem Kongress vor zwei Jahren kritisierten Experten, dass manche Städte die Starkregen-Gefahr unterschätzen. Diese Ideen gibt es.
Der nächste Starkregen wird kommen. Vermutlich früher als erhofft. Und anschließend immer wieder, viel häufiger als früher, glauben Meteorologen. „Verhindern können wir das nicht“, sagt Roland Waniek, Geschäftsführer des Gelsenkirchener Instituts für unterirdische Infrastruktur (IKT). „Aber wir können die Folgen eines solchen Ereignisses mildern, ihm seine giftige Spitze abbrechen.“ Herauszufinden wie, ist die neue Aufgabe des IKT, das vor 25 Jahren als Institut für Kanalisationstechnik gründet wurde.
Schon bei einem Kongress im Jahr 2019 mahnte Waniek an, dass sich das Problem allein mit immer mehr, immer größer dimensionierten Abwässerkanälen nicht lösen lasse. „Wir brauchen Innovation und Forschung.“ Und gute Beispiele zum Nachahmen - wie das der Stadt Siegen, die nach einigen schlechten Erfahrungen mit schlechtem Wetter nicht nur jede Menge mobiler Pumpen und Notstromaggregate anschaffte, sondern sich eine völlig neue „vorausschauende und bedarfsorientierte Sinkkastenreinigung“ organisierte.„Wenn wir Regenwasser in Kanäle abführen wollen, funktioniert das nur, wenn da es auch was ankommt“, erläuterte Uwe Siemann, Abteilungsleiter Kanalbetrieb in Siegen damals auf dem Kongress.
Die Stadt gönnte sich dafür einen eigenen „Regenschreiber“, der sehr viel genauer als Wetterdienste vorhersagen kann, wann und wo mit wie viel Niederschlag zu rechnen ist. Alle „kritischen“ Sinkkästen werden nun bei einer Starkregen-Warnung überprüft, gegebenenfalls gereinigt. Damit das Regenwässer ungestört ablaufen kann.
Dortmund will 95.000 private Kanalanschlüsse überprüfen
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Auch Dortmund hat sich nach dem schlimmen Unwetter 2014 Vorbildliches vorgenommen: Alle 95.000 Anschlussleitungen auf privaten Grundstücken will man untersuchen und die Eigentümer gezielt über eine „klimafeste Grundstücksentwässerung“ beraten, berichtete Daniel Reckel, zuständiger Mitarbeiter der Stadt. Er weiß, dass eine Mammutaufgabe vor ihm liegt; etwa 30 Jahre, schätzt er, wird es brauchen, bis sie erledigt ist. Doch der Anfang sei gemacht. Die Stadt startete zudem eine große Aufklärungskampagne: Bauherren werden proaktiv angesprochen, genau wie die Presse. Immer häufiger sieht man blaue Info-Stände mit der Aufschrift „Stadtentwässerung“ in den Fußgängerzonen.
„Die Masse zu erreichen“, meint auch Gerhard Altemeier, technischer Leiter des Abwasserbetriebs Herford, sei sehr wichtig, aber unglaublich schwer. „Wir sind bisher daran gescheitert.“ Die Stadt erstellte nach dem letzten schweren Unwetter eine „Überflutungssimulation“ fürs gesamte Stadtgebiet vor und dann eine Karte der Gefahren-Hotspots. Beim nächsten extremen Starkregen, einem Jahrhundertereignis, stünden 6000 Gebäude wenigstens 30 Zentimeter tief unter Wasser, stellte sich heraus – und es waren keineswegs nur Häuser in Senken, von denen man es gleich vermutet hätte. „Wir machen uns schuldig, wenn wir den Bürgern darüber nicht informieren“, dachte Altmeier – und lud zu zehn Infoabenden ein. Hunderte Interessierte hatte er jeweils erwartet, es kamen: selten mehr als 50, maximal 80.
"Das Phänomen ist ganz neu, wir stehen erst am Anfang"
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„Das Phänomen Starkregen ist neu. Wir stehen erst ganz am Anfang“, sagt Roland Waniek. Die Städte seien bislang „recht unterschiedlich betroffen“ und auch nicht „alle gleichermaßen interessiert“. An Ideen, wie ortsnahe Versickerung auch in einem hoch versiegelten Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet möglich wird, mangele es nicht: vom unterirdischen Wasserstauraum, gebaut aus stapelbaren Kunststoffboxen, bis zum Kinderspielplatz, der bei Starkregen als Überlauf fungiere, sei vieles denkbar – aber politisch oft schwer durchzusetzen.
Es gelte meist „abzuwägen“, Kompromisse zu finden, zwischen Bordsteinhöhe als Überflutungsschutz und Barrierefreiheit etwa. Längst nicht alle Städte stellen zudem ihre Starkregen-Gefahrenkarten ins öffentliche Netz: weil sie sich um Datenschutzfragen sorgen oder um Grundstückspreise und Immobilienwerte. Auf Anfrage stellen aber auch sie Hausbesitzern meist Ausschnitte zur Verfügung.
Hausbesitzer können sich kostenlos beraten lassen
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Wichtig in Wanieks Augen ist aber nicht nur, dass sich die Kommunen rüsten für den nächsten Starkregen. Auch der private Grundstückseigentümer sei dazu verpflichtet. Gepflasterte Parkplätze und steinerne Vorgärten vor Einfamilienhäusern müssten verschwinden, jedes begrünte Dach helfe, jede Rückstausicherung im Keller. Hausbesitzer können sich in der Regel kostenlos beraten lassen, zuständig ist meist der städtische Abwasserbetrieb. Viele Kommunen beschäftigten inzwischen sogar eigene „Starkregen-Berater“. Für manchen „unerwartete Investitionen“ seien womöglich notwenig, so Waniek. „Aber vielleicht“, ergänzt der IKT-Geschäftsführer, „gewähren Versicherungen künftig auch denen Rabatte, die gut vorsorgen.“
Und tatsächlich lässt sich selbst mit wenig Geld schon eine Menge schaffen: Dass Wertvolles nicht auf dem Kellerboden gelagert werden sollte, ist ein Vorsorgetipp ganz zum Nulltarif. Auch der Deckel auf dem Lichtschacht, wasserdichte Kellerfenster und die kleine Schwelle vor der Haustür kosten keine Unsummen, halten das Haus trotzdem trocken.
Dieser Artikel ist zum ersten Mal am 11. September 2019 erschienen.