Dortmund. Nach drei Jahren beginnt der Prozess um eine Neonazi-Demo vor dem Dortmunder Landgericht. Aber nach 20 Minuten ist er bereits beendet.
Das Dortmunder Landgericht hat keine organisatorischen Mühen gescheut, um drei Jahre nach einer antisemitischen Demo von Neonazis in den Dortmunder Stadtteilen Dorstfeld und Marten zu prüfen, ob sich die zehn Angeklagten wegen Volksverhetzung strafbar gemacht haben. Aber eine Justizpanne sorgt am Montag dafür, dass die Verhandlung nach rund 20 Minuten schon wieder beendet ist.
Gerichtssprecherin Nesrin Öcal erklärte gegenüber der WAZ, bei der Übertragung der Akte auf elektronische Medien für die Verteidiger sei bedauerlicherweise versäumt worden, auch das sichergestellte Videomaterial der Demo zu überspielen. Das ist jetzt nachgeholt worden, aber nun benötigen die Anwälte Zeit, das Material zu sichten und mit ihren Mandanten zu besprechen.
Polizei- und judenfeindliche Parolen
Das Filmmaterial zeigt, wie rund 100 Neonazis am Abend des 21. September 2018 durch die Straßen der beiden Stadtteile marschierten, nahezu unbehelligt von der Polizei. Sie trugen die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und skandierten polizei- und judenfeindliche Parolen. Auf Garagendächern am Rand des Zugweges zündeten Sympathisanten Bengalos.
Die Bilder gingen damals um die Welt. Aus New York zeigte sich der Jüdische Weltkongress besorgt über die Zustände in Deutschland. Grünen-Politiker Volker Beck twitterte damals: "Haben wir in Deutschland rechtsfreie Räume und tolerieren rechte Parallelgesellschaften?" Es war kein gutes Bild, das die Dortmunder abgaben.
"Die Rechte" rief zur Demo auf
Zur Teilnahme aufgerufen hatte die Partei "Die Rechte". Ihr Motto: "Gegen Polizeischikanen und Polizeiwillkür. Das Grundgesetz gilt auch in Unterdorstfeld, Meinungs- und Versammlungsfreiheit schützen!“ Das spielte auf die Festnahme mehrerer mutmaßlicher Neonazis an, die wenige Tage zuvor ein Friedensfest gestört haben sollen. Schon seit längerer Zeit geht die Polizei gegen den selbsternannten Anspruch der rechten Szene an, Dorstfeld als Ihren Kiez einzustufen.
In die Kritik gerieten nach der Demo auch NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und die Dortmunder Polizei. Reul hatte an jenem Abend nur wenige Kilometer entfernt eine Razzia in der vor allem von Migranten bevölkerten Dortmunder Nordstadt begleitet. Ihm warfen politische Gegner vor, die Gefahr durch Neonazis zu verharmlosen.
Polizei scheitert vor Verwaltungsgericht
Die Polizei reagierte damals auf die Vorwürfe, sie habe die Demo entgleiten lassen und sei nicht eingeschritten. Sie habe sehr wohl Straftaten dokumentiert, sagte sie. Sie habe den Demonstranten auch Auflagen gemacht und andere Straßenzüge vorgeschrieben, sei auf Beschwerde der Anmelder hin aber vom Oberverwaltungsgericht korrigiert worden.
Drei Jahre ist das her, und am Montag hätte die strafrechtliche Aufarbeitung anfangen können. Warum das so lange gedauert hat? Gerichtssprecherin Nesrin Öcal weist auf den großen organisatorischen Aufwand hin, wenn ein Verfahren mit zehn Angeklagten und jeweils zwei Verteidigern durchzuführen sei. Es sei auch nicht vorrangig bearbeitet worden, weil es keine Haftsache sei. Schließlich habe die Corona-Epidemie weitere Probleme bereitet, weil Schutzmaßnahmen in den kleinen Gerichtssälen nicht zu realisieren seien.
Strafprozess in Konzerthalle
Jetzt also das extra für diese Verhandlung aus Platzgründen angemietete Freizeitzentrum West (FZW) am Rande der City. Innen eine fensterlose, schwarzgestrichene Halle mit Scheinwerferbatterien an der Decke. Sonst finden dort Konzerte statt. Oder Ü 30-Partys. Jetzt sitzt auf der Bühne die 32. Strafkammer mit Richter Dirk Kienitz, der den Vorsitz hat. Auf nur zwölf Seiten hat die Staatsanwaltschaft den Vorwurf der Volksverhetzung gegen die Angeklagten formuliert.
Es geht eigentlich nur um eine der auf der Demo gerufenen Parolen: "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit!" Das ist aus Sicht der Ankläger der strafbare Satz, vor allem, weil er um 19.44 Uhr in unmittelbarer Nähe des Jüdischen Mahnmals an der Kreuzung Dorstfelder Hellweg/Wittener Straße geschrien wurde.
Anklage wird vielleicht am 8. November vorgelesen
Aber das ist am Montag wirklich kein Thema. Frühestens am nächsten Sitzungstag, das ist der 8. November, werden die Staatsanwälte Sonja Frodermann und Golo Osthoff dazu kommen, die Anklage vorzulesen.
Abwarten, ob es weiterhin so unaufgeregt bleibt. Am Montag sind nur wenige Polizisten und Zuschauer zu sehen. Die große Menschenmenge, die sich zum Prozessauftakt vor dem FZW aufhält, besteht aus Schülern, die nach der Pause in das benachbarte Robert-Bosch-Berufskolleg zurückkehren.
Zwei Wochen wird es dauern, bis wieder ein offizieller Aushang das FZW zur Außenstelle des Dortmunder Landgerichtes erklären wird. Rechts davon prangt an der Fassade die Werbung für ein Dortmunder Bier. Vermutlich der einzige Gerichtssaal in Deutschland mit Reklame für berauschende Wirkstoffe. Und links vom Aushang wird vermutlich wieder der Obdachlose liegen, dick eingemummt in seinen Schlafsack.