Essen. Im Urlaub wanderte er, jetzt ist Frank-Walter Steinmeier gut erholt zurück. Beim Besuch des “Ideenparks“ in Essen gab sich der SPD-Fraktionschef am Dienstag locker und freundlich. Er sei gegen eine Volksabstimmung über Europa, erzählte er und berichtete, warum ihn der Organspendeskandal so aufregt. Zur K-Frage schwieg Steinmeier dagegen. Das Publikum hätte eine Antwort gehabt.
Frank-Walter Steinmeier ist gut erholt aus dem Urlaub zurück. Der SPD-Fraktionschef im Bundestag ist gewandert. Er war auch in der Toskana, in Siena. Dort haben die alten Freunde aus der Partei den 80. von Otto Schily gefeiert.
Zu Hause ist nun politischer Alltag, und sozialdemokratisches Zusammenhalten kann da nicht so hundertprozentig funktionieren wie auf einer Geburtstagsparty für den früheren Bundesinnenminister. Es gibt drei Kandidaten für die Kanzlerkandidatur. Steinmeier ist einer von ihnen. Es gibt in der Sache die Frage, wie die Euro-Krise zu bewältigen ist. Auch hier zeichnen sich, wie in der anderen großen Volkspartei, der Union, die Uneinigkeiten im Detail ab.
Zur Kanzlerkandidatur schweigen die Betroffenen. Aber sollen die Deutschen in einer Volksabstimmung über die Übertragung von Souveränität auf Europa abstimmen? SPD-Parteichef Sigmar Gabriel will einen Konvent, der eine Grundgesetzänderung ausarbeitet. Das Prinzip: Gemeinsame Haftung, aber auch strenge Haushaltskontrollen. Das Paket will Gabriel dem Volk vorlegen.
„Das kann zehn Jahre dauern“
Frank-Walter Steinmeier, am Dienstag auf der Technik-Ausstellung Ideenpark in der Essener Gruga unterwegs, hat dort im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz klar und anders Position bezogen: „Ich bin nicht gegen Volksabstimmungen. Aber jetzt ist kein kluger Zeitpunkt, das Volk zu befragen. Am tiefsten Punkt der Krise kann ich dazu nicht raten.“
Steinmeier beim Ideenpark
Steinmeier ist ein in der Wolle gefärbter Europäer, spürt man, der die Krise um Währung und Schuldenlasten als Herausforderung betrachtet. „Der europäische Weg, den wir Deutschen gegangen sind, darf nicht historisch verraten werden“, mahnt er, man müsse „wieder darauf achten, wie wir übereinander reden“. Er rechnet gerne vor, dass die Deutschen 60 Prozent ihrer gefragten Produkte „nicht in China“, sondern in der europäischen Nachbarschaft verkaufen.
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Er warnt auch, dass der Austritt von „zwei, drei Ländern aus dem Euro-Raum“ dazu führen könne, „dass der Integrationsprozess rückwärts läuft“. Das will er genauso verhindern wie, natürlich, „eine unbegrenzte Haftung der Deutschen“ für die finanziellen und wirtschaftlichen Fehler anderer Länder.
Dennoch: Die Krise zu bewältigen, das sei keine Kurzfrist-Aktion, prophezeit er: „Das kann zehn Jahre dauern, bis wir wieder auf dem Stand von 2006 sind.“
„Ein Traumjob ist das nicht“
Viel Überzeugungsarbeit müssen Leute wie Steinmeier derzeit leisten, geregelte Arbeitszeiten bringt es auch nicht mit sich, „und Parteien legen ihre Termine gerne aufs Wochenende“, sagt Steinmeier. „Ein Traumjob ist das also nicht“; ist die Frage, „warum tun Sie sich das eigentlich an?“. Man mache „irgendwann in seinem Leben die Erfahrung, dass es besser ist, sich um die Dinge zu kümmern als in der Ecke zu stehen und nur zu meckern“, erklärt der SPD-Politiker – und definiert sein eigenes „irgendwann“: Es war im äußersten Osten Westfalens, in seiner Heimat bei Detmold, als eine alte Schule geschlossen wurde. Der junge Steinmeier kämpfte, dass sie „nicht verhökert“, sondern dass ein Jugendzentrum daraus wurde. Das steht heute noch. Er wünscht sich, dass mehr Menschen so denken würden: „Manchmal“, sagt Steinmeier, „hängt das Schicksal auch dieses schönen Landes an viel zu wenigen Leuten“.
Es fällt auf, wie wenig er angreift. „Es gibt unterschiedliche Typen in der Politik“, sagt er, „es gibt solche, die glauben, Erfolg zu haben, wenn man den größtmöglichen Verletzungsgrad im politischen Kampf hinkriegt. Zu denen zähle ich mich nicht.“
„Schlichte Verantwortungslosigkeit“
Dabei gibt es durchaus ein Thema, dass ihn in Rage bringt: Der Göttinger Organspende-Skandal. Der Ostwestfale hat Sympathien gesammelt, als er seiner schwer erkrankten Ehefrau Elke Büdenbender eine Niere spendete. Er hat fürs Organspenden mit dem eigenen Beispiel geworben.
Heimspiel für Steinmeier
„Zwei Jahre lang haben viele Leute gesagt, dass Organspenden wichtig sind“, sagt Steinmeier, „innerhalb von einem Jahr hat der Bundestag ein neues Transplantationsgesetz verabschiedet. Und nachdem es gelungen ist, dass in Deutschland die Bereitschaft zur Organspende wieder steigt, da kommt so ein Hornochse von Arzt in Göttingen daher.“ Dessen Verantwortungslosigkeit sorge dafür, „dass all diese Bemühungen in sich zusammenbrechen“. Steinmeier will das nicht stehen lassen. „Man sollte eine Initiative gründen mit dem Ziel: ,Jetzt erst recht’“.
Steinmeiers Auftritt kommt an. WAZ-Chefredakteur Reitz lässt abstimmen, ob der Mann Kanzlerkandidat werden soll. Das Publikum in der gläsernen Redaktion auf diesem Ideenpark ist dafür – zu 80 Prozent. Die SPD muss noch entscheiden.