Duisburg. Sie ist das „neue Gesicht von Marxloh“ und vielfältig engagiert. Beim SV Rhenania Hamborn wirkt Haticeela Tekes unter anderem als Mentorin.

Sie ist Studentin der Sozial- und Kulturwissenschaften, ehrenamtlich tätig für den Lions Club Concordia, den örtlichen Moscheeverein genauso wie für den Zentralrat der Juden, die Nachbarschaftshilfe, den Sportverein Rhenania Hamborn und das Anti-Rassismus-Informations-Centrum (ARIC) in Duisburg. Noch nicht genug? Gerade ist sie als Hauptakteurin in einem bundesweit beachteten Dokumentationsfilm so etwas wie das neue Gesicht ihres Stadtteils, eine starke Botschafterin eines Viertels mit schlechtem Ruf. Wer so viele Facetten hat und sich für so viele Projekte gerne mit vollem Herzen einsetzt, muss irgendwo kürzertreten. Zu ihrem eigenen Bedauern, ist das bei ihrem liebsten Ding, „meine erste große Liebe“, wie sie selbst sagt: der Fußball.

Dabei würde Haticeela Tekes „am liebsten jeden Tag auf dem Platz“ sein. So hat es die inzwischen 24-jährige Duisburgerin schließlich, seit sie klein ist, getan. Und bis heute ist sie an jedem Wochenende auf dem Sportplatz, nun aber in einer anderen Funktion.

Treffen auf der Bezirkssportanlage Warbruckstraße.
Treffen auf der Bezirkssportanlage Warbruckstraße. © Unbekannt | rukiye sahin

„Ich konnte gerade laufen, da habe ich schon Fußball gespielt“, erzählt sie mit einem ansteckenden Lachen. Seitdem bricht sie mit fast jedem Klischee, das es zu überdenken gilt. Eine kickende Muslima, die aus einer Arbeiterfamilie kommt und über den zweiten Bildungsweg ihr Abitur schafft, um studieren zu können. Das auch noch an der renommierten Hochschule Düsseldorf im feinen Düsseldorf, obwohl sie aus dieser Gegend kommt: Marxloh.

Der Stadtteil im Duisburger Norden ist deutschlandweit bekannt – und zwar als angebliches Problemviertel, in dem ein hoher Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund sozial abgehängt in einem von kriminellen Banden beherrschten Umfeld hausen. „Wenn ich an der Uni sage, ich komme aus Marxloh, dann herrscht erst einmal Schweigen“, berichtet sie von – vorsichtig ausgedrückt – zurückhaltenden Reaktionen ihrer Mit-Studierenden.

Erst das Gesicht von Marxloh, dann plötzlich im Fernsehen

Um mit den Vorurteilen aufzuräumen, hat Haticeela Tekes eingewilligt, beim Film „Ruhrgebietskinder“ mitzumachen. Das Projekt der Landeszentrale für politische Bildung sorgt gerade für Furore, den achtminütigen Streifen haben über Instagram, Facebook und Youtube inzwischen so viele Menschen gesehen, dass sie inzwischen auf der Straße erkannt wird. Es folgten Einladungen ins Fernsehen („Frau tv“), und sogar die Tagesschau berichtete über sie. Haticeela Tekes ist über alle gefragt, „dabei hatte ich gar nicht vor, öffentlich im Mittelpunkt zu stehen. Mein Plan war nicht, als das Gesicht Marxlohs wahrgenommen zu werden“.

„Ich war das erste Mädchen bei Rhenania, und alle anderen außerhalb des Vereins haben erstmal gefragt: Was willst du denn dort? Davon habe ich mich aber nicht abhalten lassen und im Verein schnell viel Anerkennung gefunden.“

Und dann erst mal eine gepflegte Runde kicken.
Und dann erst mal eine gepflegte Runde kicken. © Unbekannt | rukiye sahin

So ist es aber gekommen, was auch nicht verwunderlich ist, so wie sie sich seit ihrer Jugend gesellschaftlich einsetzt. Angefangen hat alles im Fußballverein. Sie ist noch ganz klein und jung, als sie bei Rhenania Hamborn anmeldet wird – und zwar von ihrer Mama Nahar. Noch so ein Klischee, denn oft sind es ja älterer Brüder oder klassischerweise die Väter, die ihre Kids zum Fußball schleppen. „Ich habe schon vorher mit den Jungs aus der Nachbarschaft bei uns auf dem Hof gebolzt, aber ich wollte unbedingt in den Verein“, erzählt Haticeela Tekes und führt aus: „Rhenania war eine große Nummer bei uns, wie Dortmund oder Bayern. Ich war das erste Mädchen dort, und alle haben erstmal gefragt: Was willst du denn hier? Davon habe ich mich aber nicht abhalten lassen und im Verein schnell viel Anerkennung gefunden.“

Sie spielt als eines von wenigen Mädchen zunächst in einem gemischten Kinderteam, dann bei den Jungs und Mädchen. In die Koranschule geht sie nicht mit feinem Kleidchen, sondern hat schon die Trainingshose an, weil es danach direkt zum Platz geht. „Und in der Pause habe ich mit den Jungs auf dem Hof der Moschee gekickt“, verrät sie lachend.

Im Teeniealter wird sie dann von ihrem eigenen Körper ausgebremst. „Ich war zu dünn, richtig unterernährt und habe einfach nicht zugenommen. Der Arzt hat mir verboten, Sport zu machen, aber ich wusste, dass ich ohne Fußball nicht lange auskommen kann“, berichtet Haticeela Tekes.

Erst Spielerin, dann Schiri und Trainerin, jetzt Mentorin

Sie ist ein wildes Kind, immer unter Strom, voller Power. „Rebelli“ wird sie von ihren Trainern gerufen – nicht etwa, weil sie so rebellisch ist, sondern weil keiner sie in ihrem Tatendrang bremsen kann. „Obwohl, ich habe auch schon mal einen Jungen auf dem Platz umgegrätscht, wenn es sein musste“, verrät sie lachend. Sie geht immer voran, ist Kapitänin, spielt erst auf dem Feld und wechselt später ins Tor – bis der Doc sie stoppt. „Weil ich dann bei Rhenania weiterhin etwas machen wollte, als ich nicht selbst kicken durfte, habe ich mich für einen Schiedsrichter-Lehrgang angemeldet. Da war ich zwar das einzige Mädchen, aber das hat mir nichts ausgemacht, ich wusste mich schon durchzusetzen“, macht sie klar.

Auch die neue Aufgabe als Spielleiterin muss sie aber bald aufgeben, weil die Probleme mit dem Gewichtsverlust zurückkehren. Zwangsläufig legt sie eine Pause vom aktiven Sport ein, wird Trainerin der U13-Juniorinnen und treibt ihre Ausbildung voran. Auf dem zweiten Bildungsweg baut sie das Abitur und nimmt ihr soziales Studium auf. So wie vorher auf dem Fußballplatz, engagiert sie sich nun in verschiedenen anderen Organisationen. Unter anderem hat sie für den Stadtsportbund Duisburg in einem Seniorenheim Fitnessübungen mit den alten Leutchen gemacht. Als Persönlichkeit besonders geprägt habe sie aber die Erfahrung mit dem Lions Club Duisburg-Concordia und der Nachwuchsorganisation „Leo-Club“, in dem sie schnell zur Präsidentin ernannt wird. „Dadurch habe ich meine Soft Skills gestärkt und bin viel selbstbewusster geworden“, nickt Haticeela Tekes.

Cafer Kaya ist der rührige erste Vorsitzende beim SV Rhenania Hamborn.
Cafer Kaya ist der rührige erste Vorsitzende beim SV Rhenania Hamborn. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Klar, dass auch ihr Heimatverein das Potenzial dieser positiven Botschafterin nicht ungenutzt lässt. Bei Rhenania Hamborn ist sie Ansprechpartnerin und Mentorin insbesondere für die Kids und Jugendlichen im Verein. „Als ich letzten Mittwoch auf dem Platz war, hatte die U15 gerade Training. Als die Mädchen mich gesehen haben, sind sie alle losgerannt und haben gerufen: Hatice, Hatice, du bist unser Vorbild“, sprudelt es aus ihr heraus.

Über so viel ehrliche Anerkennung freut sie sich natürlich, obwohl es ihr nach wie vor etwas unangenehm ist, zu sehr im Mittelpunkt zu stehen. Lieber steht sie am Wochenende auf der Bezirkssportanlage Warbruckstraße, trifft sich mit ihren Freundinnen und Freunden im Verein – und schaut sich Fußball an. So viel steht fest, auch wenn die Zeit angesichts ihrer vielen Aufgaben immer knapper wird: „Der Sonntag gehört dem Fußballplatz, da gucke ich mir das Spiel unserer Ersten an. Und wenn es geht, bin ich auch samstags immer da.“

Und wenn sie zu Hause ist, wird gekickt. „In der Wohnung liegt in jedem Zimmer ein Ball. Dann dribble ich um die Stühle und Tische. Meine Mama schimpft dann manchmal, aber ich kann halt nicht anders“, lacht Haticeela Tekes.

Ihr nächstes großes Ziel: Professorin an der Uni. Wer so viel schon erreicht hat, entgegen vieler landläufiger Klischees, könnte auch das schaffen.