Ruhrgebiet.. 225 000 Menschen genossen die Nacht der Industriekultur. Zum 15. Mal ging es von Ort zu Ort, von Inszenierung zu Inszenierung.
Welch eine Nacht! Das halbe Ruhrgebiet scheint unterwegs zu sein. Schlendernd, sich treiben lassend, von einem Ort zum anderen, von einer Inszenierung zur nächsten. Es ist die Nacht der Industriekultur, die 15. inzwischen, und wer sich darauf eingelassen hat, erlebt magische Momente. Wie etwa beim Aufstieg im Dämmerlicht zum Bottroper Tetraeder. Vorbei an farbig illuminierten Bäumen, an Waldgeistern und Feen. Und an jenem „Bergmann“, der am Wegesrand per Megafon das Steigerlied anstimmt. Die Halde singt, zumindest einige Schritte lang. Kitschig-schön!
Nichts ist schwerer, als sich für einen Ort zu entscheiden
45 Spielorte, 2000 Künstler. Hochkarätiges beim Klavier-Festival in Bochums Jahrhunderthalle, Poetry-Slam in der U-Bahn, Höhenfeuerwerk im Duisburger Innenhafen ... Nichts ist an diesem Samstagabend schwerer, als sich zu entscheiden. Die junge Frau etwa würde noch gerne bleiben, „es ist ja so schön hier“, hat aber bereits die Tür von Pact Zollverein in Essen aufgedrückt, „weil ja auch woanders noch so viel los ist!“.
Oben, auf der Bühne im ersten Stock, singt Jan Plewka, der Frontmann der Rockband Selig, Lieder von Rio Reiser. Mal allein am Klavier, mal rockend unterstützt von der „Schwarz-Roten Heilsarmee“. Roter Satin-Gehrock, rote Hose, interpretiert er Reiser mit eigenwilliger Bühnenpräsenz. Schmachtet bei „Für immer und Dich“ eine junge Frau im Publikum an, holt sie auf die Bühne, um sich bald darauf mit ihr eng umschlungen zwischen den Mikrofonständern zu wälzen. Das Publikum juchzt, will ihn ohnehin nicht gehen lassen. Doch „Bye, bye, Junimond“, irgendwann, nach zwei Zugaben, ist alles vorbei.
Im Gelsenkirchener Nordsternpark kann man einer Wasserski-Gruppe bei ihrer Show sehen, kann man die Emscher queren und dem Herkules aufs Dach steigen. Junge Leute und Ältere sind unterwegs, Paare und Freundinnen, Familien mit Kleinkindern. Bratwurst essend, ein Bier genießend. Vor allem aber sehr entspannt.
Im Biergarten ziehen die „Insane Urban Cowboys“ ihre Show ab. Getrieben von den Rhythmen des DJs, arbeitet sich ein Maler an einer Leinwand ab. Mit dicken Pinseln trägt er Grasgrün und Gelb auf, spachtelt Pink daneben und Orange. Verreibt die Farben, und setzt so dem grau verhangenem Himmel sein fröhliches Werk entgegen.
Claudia und Wolfgang Korbik aus Herne lieben die „ExtraSchicht“, sind zum zehnten Mal dabei. Sonst per Shuttle unterwegs, genießen sie nun die Tour in einem VIP-Bus der WAZ, die sie bei der Verlosung dieser Zeitung gewonnen haben. „Das ist das Ruhrgebiet von seiner schönsten Seite“, schwärmt Claudia Korbik.
Und Margarete Freitag, Mitreisende aus Gladbeck, ist beseelt vom „Wir-Gefühl in dieser Nacht“. In den vergangenen Jahren sei immer „irgendetwas dazwischengekommen“. Jetzt habe sie es endlich geschafft, mitzumachen und gleich einen Besucher mitgebracht, einen Freund aus dem Münsterland. „Dieser Abend ist ideal für Leute, die das Ruhrgebiet nicht kennen, die meinen, hier sei es schäbig“, findet auch Claudia Korbik.
Die Lichter der Landmarken zeichnen eine Karte des Ruhrgebiets
Auch interessant
Es ist halb zehn, langsam dämmert es. Höchste Zeit, sich auf den Weg nach Bottrop zu machen. Aufstieg zum Tetraeder, der bei einbrechener Dunkelheit von den „Firedancern“ und Folkwang-Studenten in einen zauberhaften Ort verwandelt werden soll. Und das ist kein leeres Versprechen. Wunderbar beleuchtet ist der Weg, der hinter jeder Kehre mit Überraschungen aufwartet.
Hier die Bergfrau, die singend auf den Aufstieg hinweist: „Dieser Weg wird kein leichter sein ...“. Dort die Studenten, die 3-Minuten-Geschichten, also „poetry to go“, in ihre Schreibmaschinen (!) klappern. Und zwischendrin die Wahrsagerin, die ihre Weisheiten freigiebig verteilt. Ganz oben auf dem Gipfel, leuchtet das Ruhrgebiet ringsum mit all seinen Lichtern und Landmarken.
Die besten Fotos der Extraschicht: