Ruhrgebiet. „Die vierte Welle wird auf uns zukommen. Lassen Sie sich impfen“, appellierte Laumann am Morgen. Mittlerweile sind 40 Prozent voll geimpft.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat die Menschen in Nordrhein-Westfalen eindringlich dazu aufgefordert, sich gegen Corona impfen zu lassen. „Natürlich macht mir die Delta-Variante Sorgen“, sagte Laumann am Donnerstag im Radioprogramm WDR 2. Laut Robert Koch-Institut ist die besonders ansteckende Variante inzwischen auch in Deutschland zur vorherrschenden Virus-Mutante geworden.
„Die vierte Welle wird auf uns zukommen. Lassen Sie sich impfen“, appellierte Laumann an die Menschen. Inzwischen seien mehr als 40 Prozent der Menschen in NRW zwei Mal geimpft und die Inzidenzen im landesweiten Durchschnitt stabil unter 10 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohnern.
Gegen Delta-Variante ist die Impfung der entscheidende Faktor
Es war ein optimistisches Szenario, das haben die Ärzte immer gesagt: Zwölf Millionen Menschen in NRW könnten, wenn alles gut laufe, bis Ende Juni ihre Erstimpfung gegen Corona erhalten haben. Allein, es lief nicht alles gut, das Ziel ist auch Anfang Juli nicht erreicht. Und das Impftempo sinkt, absehbar. Dabei sagen alle Experten: Gerade gegen die neue Delta-Variante ist die Impfung der entscheidende Faktor.
Beschwingt vom Einstieg der Hausärzte in die Impfkampagne hatte die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KVNO) im April gerechnet. Alle Nordrhein-Westfalen addiert, die älter sind als 18 Jahre minus 20 Prozent, die eine Impfung womöglich ablehnen, macht zwölf Millionen, die zum Ende des ersten Halbjahrs ihre erste Spritze haben. Zu Beginn dieser Woche zählten die Statistiker tatsächliche 10.669.748 Erstimpfungen im Land, und darin sind inzwischen auch 12-bis 17-Jährige enthalten. Das entspricht einer Quote von fast 60 Prozent und bedeutet Platz vier im Deutschland-Ranking – die ehrgeizige Marke aber ist damit nicht erreicht.
Zweitbeste Impfwoche in NRW: 700.000 Menschen geimpft
Dabei war die vergangene die zweitbeste Impfwoche in NRW. 700.000 Menschen wurden insgesamt geimpft, in den Impfzentren stieg die Zahl der Impfungen sogar deutlich an. Nur in der zweiten Juniwoche waren es noch mehr. Mehr als siebeneinhalb Millionen bekamen inzwischen ihre zweite Dosis, diese Quote bedeutet deutschlandweite Spitze: 42,6 Prozent. Trotzdem braucht es für eine Herdenimmunität noch einmal so viele.
In den Arztpraxen dagegen gingen die Zahlen zurück. 40.000 Spritzen weniger setzten die Hausärzte zwischen dem 28. Juni und dem 2. Juli. Das liege, vermutet Christoph Potempa, Datenanalyst der KVNO, vor allem daran, dass Astrazeneca weniger verimpft als bestellt wurde. Dabei sollen die Praxen nach langen, ungeduldigen Wochen des Wartens und des Impfstoffmangels in dieser Woche erstmals auch das bekommen, was sie bestellt haben. Nur haben sie ausgerechnet jetzt deutlich weniger bestellt: Deutschlandweit ging die Zahl der georderten Dosen um eine Million zurück, dabei sind inzwischen wöchentlich mehr als drei Millionen lieferbar. Von Astrazeneca wollen die Ärzte nur noch 30 Prozent der möglichen Bestellmenge haben.
Scharfe Kritik an der Kommunikation der Stiko
Schlimmer noch: Das, was am Dienstag der vergangenen Woche geordert wurde, ist nun fast gar nicht mehr gefragt: Seit Donnerstag gilt die neue Empfehlung der Stiko, der Ständigen Impfkommission, nach einer Erstimpfung mit Astra als Zweitimpfung einen MRNA-Impfstoff zu spritzen. Dr. Frank Bergmann, Vorstandschef der KVNO, kritisierte nicht die Entscheidung („vollkommen richtig“), sondern die Kommunikation scharf: Es hapere immer wieder an der Abstimmung. „Das bloße Verkünden dieser Empfehlung ohne vorherige Absprache hat dem Ganzen die Krone aufgesetzt.“ Bergmann sprach von „Tohuwabohu“, Patienten wie Ärzte seien verunsichert, das sorge für Frust. Man müsse, attestierte Bergmanns Vize Dr. Carsten König, „aus dem Türmchen herauskommen“ auf die schauen, „die die Arbeit machen“.
Auch Bergmanns Kollegen von der KV Westfalen-Lippe hatten beklagt, die neue Entscheidung setze die Praxen unter Druck und löse erneut ein kleines Erdbeben aus. Auch die empfohlene Verkürzung des Zeitraums zwischen Erst- und Zweitimpfung sei „ein organisatorisches Dilemma“.
Problem beim Impfen: Nicht mehr der Mangel, sondern die Bereitschaft
So oder so aber scheint die Mangelverwaltung des Impfstoffs aus den vergangenen Monaten vorbei zu sein. „Der Flaschenhals“, so die KVNO, „ist schon bald nicht mehr die Verfügbarkeit, sondern die Impfbereitschaft.“ Zu beobachten sei eine gewisse Impfmüdigkeit der Menschen, die es noch zu überzeugen gelte. Zudem sei „eine gewisse Sorglosigkeit eingekehrt“. Insgesamt, auch durch die Urlaubszeit, verlangsame sich das Tempo der Impfkampagne.
Dabei ist eine Impfung, besonders die zweite, für die Bekämpfung des Virus so wichtig. „Gerade die zweite Dosis“, sagt Prof. Jörg Timm, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Düsseldorf, „verstärkt die Immunreaktion.“ Sie steige nach der zweiten Injektion erkennbar stark an, zeigte der Wissenschaftler auch anhand von Studien aus England, wo die Variante Delta schon länger grassiert. Besonders wichtig sei die Zweitimpfung für Menschen ab 80 Jahren: „Sie profitieren sehr stark und bleiben sonst in einem Bereich, in dem sie nicht sehr stark geschützt sind.“
Immunschutz nach Zweitimpfung bei 94 Prozent
Die Delta-Variante, betonte Timm nochmals, sei leichter übertragbar und Antikörper seien weniger wirksam. Man werde nicht jede Infektion verhindern können. In England aber habe sich gezeigt, dass auch bei Delta nach der ersten Impfung etwa 74 Prozent der schweren Krankheitsverläufe verhindert würden, nach vollständiger Impfung 94 Prozent. Die eindeutige Botschaft: „Hohe Antikörperspiegel schützen auch vor Varianten!“ Und das unabhängig vom Impfstoff. Erste Studien hätten aber gezeigt, dass nach einer Kreuzimpfung neben den Antikörpern auch die T-Zellen eine bessere Immunität herstellen würden.
Dass Delta kommt, steht für die Kassenärzte und auch für den Virologen außer Frage. „Corona wird uns auch im Herbst noch beschäftigen.“ An die Notwendigkeit eines erneuten Lockdowns glaubt Prof. Timm zwar nicht. Entscheidend sei aber die Frage nach der „Erkrankungslast“: Wie sehr steigen mit den Inzidenzen auch die Zahlen der im Krankenhaus nötigen Behandlungen? In England, wo letzte Corona-Maßnahmen in Kürze fallen sollen, gingen die Infektions-Zahlen zwar wieder deutlich in die Höhe, die der Klinik-Aufenthalte aber noch nicht. Das sei, so Timm, „ein gutes Signal“.
Aber, da sind sich die Experten einig: Das kann in Deutschland anders aussehen. „Wir sind“, sagt Virologe Timm, „mit den Impfungen noch nicht da, wo man sein müsste.“ (mit dpa)