Bochum/Ruhrgebiet. Am 6. August gibt’s wieder Programm an Dutzenden Kiosken im Ruhrgebiet. Nach vier Jahren Pause kehrt der „Tag der Trinkhallen“ zurück.

„Eigentlich ist jeder Büdchenbesitzer Philosoph“, sagt Hayri Nargili. Der 33-Jährige hat das Fach jedoch tatsächlich studiert und überdies zum Konzept erhoben: „Zum Philosophen“ steht über seinem Kiosk in Bochum-Ehrenfeld. Noch über dem Bier der Woche (KumpelBier aus Bottrop) steht die Weisheit der Woche angeschlagen: „Wer nichts verändern will, wird auch das verlieren, was er bewahren möchte.“ Und zur Veränderung gehört für Nargili, dass der Kiosk Erlebnisraum wird. Darum nimmt er am „Tag der Trinkhallen“ teil, an dem sich Dutzende Buden im Revier verwandeln. Mit Musik und Kleinkunst, Film und Fußball, einer „Gemischten Tüte“ Überraschungen und einem Schuss Philosophie.

Gefühlt mag der Tag der Trinkhallen längst etabliert sein im Ruhrgebiet, tatsächlich findet er am 6. August, ein Samstag, erst zum dritten Mal statt. In der Coronazeit ist das Fest ausgefallen, und da es nur alle zwei Jahre stattfindet, müssen wir in olympischen Zeitabständen denken, 2018 war das letzte Mal. Das Konzept aber ist geblieben: 50 Programmbuden hat eine Jury ausgewählt aus den Bewerbern, hier plant „Ruhr Tourismus“ (RTG) die Events. Aber viele weitere Kioske stellen selbst etwas auf die Beine, ob es ein Grill ist, der Onkel mit der Gitarre, eine Fotoausstellung oder ein Kinderprogramm. Momentan sind hier 40 Büdchen gelistet, aber Büdchenbetreiber können sich anmelden bis zum 15. Juli.

„Biken, Buden, Bömskes!“

„Zum Philosophen“, ein Eckkiosk mit frischem Konzept.
„Zum Philosophen“, ein Eckkiosk mit frischem Konzept. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Natürlich gibt es wieder eine Karte, die alle Teilnehmer zeigt, auf Papier und im Netz, denn für viele Besucher liegt der Reiz in einer Büdchentour – bevorzugt mit dem Fahrrad. Nicht umsonst hat RTG den Slogan „Biken, Buden, Bömskes!“ erdacht (nach „Kumpels, Klümpchen & Kultur“), und zusammen mit dem Fahrradclub ADFC auch spezielle Fahrradtouren, die mehrere Eventkioske verbinden, zum Teil sogar geführt. Unter den 50 Programm-Buden sind 20 Trinkhallen das erste Mal dabei, 14 zum zweiten und 11 bereits zum dritten Mal. Sie verteilen sich auf 22 Städte und Kreise im Ruhrgebiet – mit Schwerpunkten in Duisburg (7), Dortmund (7), Essen (6), Bochum und Oberhausen (je 5).

Das Programm ist noch in der Mache und wird erst Ende Juli vorgestellt, aber einige Eckpunkte stehen bereits fest. Live-Musik ist natürlich groß, von Rock und Pop bis hin zu Hip-Hop und Reggae. „Gerade Weltmusik ist immer gut angekommen“, sagt RTG-Chef Axel Biermann. Türkei, Griechenland, Guinea … An den Filmbuden zeigt „Interkultur Ruhr“ alte Super-8-Filme aus seinem Familienfilm-Archiv. Da ist der erste Besuch im Revierpark dabei, ebenso wie Opas Geburtstag im Stil der 70er. Das Deutsche Fußballmuseum ist ebenso eingebunden wie die Poetry-Slam-Szene. Und Nachwuchscomedians zeigen, ob sie zu Tegtmeiers Erben taugen oder zu Atzes Bratzen.

Kulturerbe des Ruhrgebiets

Ja, die Trinkhallenkultur selbst ist seit fast einem Jahr “Immaterielles Kulturerbe“ der Unesco. Und obwohl das Kiosksterben sich fortsetzt – die Supermärkte haben immer länger auf, die Tankstellen erweitern ihr Sortiment, die Arbeitszeiten sind brutal, und dann Corona – ist das Ruhrgebiet weiter eine Hochburg. Das bestätigt auch Ingo Tenberg, Marketingleiter beim Pressegrossisten Qtrado. Etwa jede zehnte der 30.000 Trinkhallen in Deutschland steht im Ruhrgebiet, schätzt er (1300 im Revier zählen zu seinen Kunden). Aber Tenberg weiß auch: „Wo mit Liebe Bude gemacht wird“, wo man seinen Kiosk zur Marke macht im Viertel, da wird gegen den Trend auch mehr verkauft.

Auch Hayrit Nargili hat nicht selten eine 90-Stunden-Woche, seit er sein Referendariat vor zwei Jahren an den Nagel hängte. Aber er hat die Umsätze in seiner Eckbude um etwa ein Viertel gesteigert. Die Grundschüler holen sich immer noch ihre gemischte Tüte ab, aber „wir haben nun auch Biere aus aller Welt, mexikanische Cola, Bionade.“ Ehrenfeld ist Studentenkiez, Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Viertel neben der Fruchtgummiwand sprechen die älteren Semester an. Vor allem aber hat er „ein offenes Ohr ins Sortiment gepackt. Man muss bereit sein, über Gott und die Welt zu reden.“ Hier kommt ihm wieder seine Ausbildung zugute. Auf manches Thema reagiert er mit der guten alten sokratischen Fragetechnik.