Ruhrgebiet. Der Ingenieur Cedric Kamdom ist aus Kamerun ins Ruhrgebiet gekommen. Er hat Nachbergbau studiert und macht genau das: Hohlräume zu beseitigen.

Noch immer bohren sie hier Löcher in die Autobahn 44, ist die Fahrbahn eingeengt und das Tempo begrenzt. Vor Monaten schon hätte Schluss sein sollen, doch das war nur der Plan. Denn die Hohlräume unter der Straße nehmen und nehmen kein Ende, zuletzt haben die Arbeiter einen verfüllt, zehn Meter tief, drei Meter breit, direkt unter der Fahrbahn - da hätte schon das eine oder andere Auto hineingepasst.

„Das ist eben Altbergbau. Da weiß man nie, was kommt“, sagt Cedric Kamgaing Kamdom. Der Ingenieur aus Kamerun ist seit Herbst auf dieser Baustelle - und auf mehreren anderen. Seine Abteilung bei dem mittelständischen Gelsenkirchener Ingenieurbüro arrcon ist spezialisiert darauf, solche Hohlräume aufzuspüren, zu erkunden und zu verfüllen.

Bezirksregierung kennt mehr als 3000 solcher Hohlräume in NRW

Ein typisches Bild im Ruhrgebiet: Mit Bohrgerät wird ein unterirdischer Hohlraum erkundet.
Ein typisches Bild im Ruhrgebiet: Mit Bohrgerät wird ein unterirdischer Hohlraum erkundet. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

In Bochum, in Duisburg, in Essen, in Menden derzeit, und ein Ende ist nicht in Sicht: Bei der federführenden Bezirksregierung in Arnsberg sind über 3000 solcher Hohlräume in Nordrhein-Westfalen bekannt, die der Bergbau hinterlassen hat und die man sich mal anschauen muss. Manche bald, andere irgendwann einmal: Arbeit für Jahrzehnte.

Es waren tatsächlich diese guten Berufsaussichten, die den heute 30-jährigen Kamdom nach Deutschland geführt haben. In Kamerun hatte er bereits Geowissenschaften studiert, aber Bergbau ist dort eher oberflächlich: Nach Kupfer oder Eisen, Kobald und Gold gräbt man von oben, „höchstens 30 Meter tief“. „Wir waren eine Kolonie von Deutschland. Da gibt es noch Verbindungen. Für uns ist es etwas leichter, nach Deutschland zu kommen.“

Aus 100 Jahre alten Grubenbildern kann man seine Schlüsse ziehen

2015 war das, mit Sprachkenntnis und Studentenvisum, ganz offiziell. Plus der Einschätzung von Cousin und Cousine, die bereits in Deutschland studierten, dass man hier ganz gut klarkommen kann. So landete Cedric Kamdom in ihrer Nähe, in Bochum, und fand bei der Technischen Hochschule Georg Agricola den passenden Studiengang: „Nachbergbau“. Und das ist genau, was er heute macht.

Zurück nochmal auf die Autobahn 44, dort, wo Witten und Dortmund aneinandergrenzen. „Es gibt Pläne, aber die sind 100 Jahre alt“, sagt der Ingenieur. Die Zeche „Vereinigte Wiendahlsbank“ hinterließ Grubenbilder und Risszeichnungen, schloss aber 1924. Aus den Plänen kann durchaus darauf geschlossen werden, wo sich Stollen, Mundlöcher und Abbaugebiete in der heutigen Topographie befinden - aber eben nicht hundertprozentig. Darum die Bohrungen, die dorthin getrieben werden, wo man plausibel einen Hohlraum erwarten kann.

„Das ist eine andere Welt, was die Bergleute dort geschaffen haben“

„Zum ersten Mal unter Tage war ich tatsächlich in Deutschland, auf Zollverein“, sagt Kamdom. Das zählt nicht richtig, war ein Studienprojekt zur Grubenwasserhaltung. Aber die großen, alten, letzten Bergwerke hat er später alle noch von unten bei der Arbeit gesehen: „Auguste Victoria“ in Marl, „Ibbenbüren“ ebenda, „Prosper Haniel“ in Bottrop. Und sagt, was alle sagen, die das noch erleben durften: „Das war sowas von beeindruckend . . . Das ist eine andere Welt, was die Bergleute dort geschaffen haben.“

Kamdom ist auch ein gutes Beispiel für eine andere Entwicklung: Der weltberühmte deutsche Ingenieur ist heute in vielen Fällen aus dem Ausland gekommen. Ende Juni 2020 hatten fast 89000 Ausländer eine Stelle als Ingenieur in Deutschland, jede zehnte besetzen sie, vor allem Inder, Italiener und Chinesen.

Weitere 20 Prozent der Ingenieure sind eingebürgert worden, weiß Professor Axel Plünnecke vom „Institut der Deutschen Wirtschaft“ in Köln: „Die Zuwanderung über die Hochschulen und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gelingen sehr gut, da die Studierenden schon während des Studiums die deutsche Sprache lernen und Kontakte aufbauen.“

Zuwanderung hat geholfen, den bedrohlichen Ingenieurmangel abzuwenden

Im Sommer, heißt es jetzt, soll Schluss sein mit den Hohlräumen nahe dem Autobahnkreuz. Wo der Trupp die nächsten Erkundungsbohrungen ansetzt und Betongemisch in die Erde fließen lassen wird, das weiß man noch nicht. Nur eines: Löcher wären schon genug da. Cedric Kamdom macht das gerne, neue Baustellen, neue Bekanntschaften. „Dass die Leute wieder sicher fahren und sicher wohnen können, das macht Spaß.“

Man darf ruhig unterstellen, dass er bleibt. Die vielen Menschen aus dem Ausland, die vor allem seit 2012 in Deutschland Ingenieure wurden, haben hier sichere Arbeitsplätze und zugleich dazu beigetragen, dass der lange Zeit als Katastrophe heraufbeschworene Ingenieurmangel so nicht eingetreten ist. Da kann man fragen, wen man will, Cedric Kamdoms nächsten Kollegen auf der Autobahnbaustelle beispielsweise auch: Dr. Hamid Amrollahi, Iran.