Bochum. . Das bauliche Erbe des Bergbaus und seine Folklore wandern bald in den Tourismus ab. Doch der letzte Bergmann wird nie in Rente gehen.
Am nächsten Tag haben sie in der Zeitung geschrieben: „Er leuchtet“ – und wer ,Er’ war, das war allen ganz klar. Am Förderturm des Bergwerks „West“ in Kamp-Lintfort ist im Advent 2017 nämlich erstmals seit der Schließung 2012 wieder eine Weihnachtsbeleuchtung angegangen.
Auf Vorschlag eines 15-jährigen Jungen, auf Wunsch aus der Bevölkerung, und im Internet schrieben jetzt Leute: „Er ist nun wieder ein Zeichen für das Umland und für alle, die unterwegs sind.“ Der olle Turm der toten Zeche. Erst im Oktober hatten die Bürger entschieden: Der bleibt stehen. Und zwar für immer. Punkt.
Der Bergbau geht. Die Liebe bleibt. Wenn nicht alles täuscht, dann drückt das Ruhrgebiet den Bergbau gerade an sein Herz. Trennungsschmerz. Was bleibt von der Branche? Ihr Erbe und ihre Folklore wandern in den nächsten Jahren weitgehend in den Tourismus ab. Doch auch der letzte echte Bergmann wird nie in Rente gehen. Die Zukunft ist so:
Ewigkeitsphase
An sechs Standorten sind auch im Jahr 2040 mehrere hundert Menschen damit befasst, das Abpumpen des ewig aufsteigenden Grubenwassers zu kontrollieren: alles wie immer auf „Robert Müser“ und „Friedlicher Nachbar“ in Bochum, auf „Heinrich“ in Essen, „Walsum“ in Duisburg, auf „Lohberg“ in Dinslaken und „Haus Aden“ in Bergkamen.
Standorte riesiger Pumpen sind das, nach außen völlig unauffällig, drinnen sitzen Menschen vor Monitoren; und sie verhindern, dass das Ruhrgebiet absäuft. Niemand ist eine Insel? Das Ruhrgebiet könnte: Etwa ein Drittel würde überschwemmt, hörte das Pumpen auf. 100 Milliarden Liter Grubenwasser pumpen sie jährlich weg. Und weitere 850 Milliarden Liter aus jenen Gebieten, die so weit abgesackt sind durch den Bergbau, dass das Wasser nicht mehr von selbst abläuft. Ewig? Ewig.
„Wie lange dauert Ewigkeit? Alle 25 Jahre wird völlig neu gedacht“, sagt allerdings Professor Christian Melchers, Leiter des „Forschungszentrums Nachbergbau“ an der „Technischen Hochschule Georg Agricola“ in Bochum (der früheren Bergschule, doch das nur am Rande). Er hält vieles für möglich in der „unterirdischen Infrastruktur, die ja da ist und die viel Geld gekostet hat“. Es fallen Stichworte wie Erdwärmenutzung. Hohlräume als Speichermedien. Neue Energien. „Technisch geht das alles. Aber es wäre sehr teuer“, sagt Melchers.
Bergschäden
Spielen in unserer mittelweit entfernten Zukunft keine Rolle mehr. Wenige Jahre nach dem Ende einer Zeche treten in der Regel keine abgesackten Ecken, keine Risse in Häusern mehr auf. Anders ist es mit Tagesbrüchen: Sie können sich auch in Jahrzehnten noch auftun. Im Ruhrgebiet liegen 14 000 Tagesöffnungen. 400 sind nicht richtig gesichert, weitere noch gar nicht bekannt.
Industriekultur
„Sie kann für die Region durchaus bereichernd sein“, sagt Melchers, der Nachbergbau-Professor. Man kann es auch so sagen: Das Ruhrgebiet müsste bescheuert sein, seine einzige Besonderheit abzuräumen.
„Bergbau und Industriekultur sind extrem wichtig als Alleinstellungsmerkmal. Das ist die DNA der Region“, sagt Axel Biermann, der Geschäftsführer der „Ruhr-Tourismus GmbH“: „Das wird auch in 20 Jahren so sein, wenn wir sie pflegen und erhalten.“ Wien lebt ja auch von Sisi, Franz Joseph und Mozart: Und die sind noch viel länger her.
Bauten
2040 also werden noch etliche Fördertürme stehen, Zechensiedlungen auch, das Bergbaumuseum arbeitet und Menschen besuchen Nordstern, Zollern oder Zollverein. Auch die Halden sind weiter da, wenngleich dann alle begrünt und begehbar. Aber: Viele Menschen werden nicht mehr wissen, dass das künstliche Gebilde sind, und sie für Berge halten, merkwürdig symetrische Berge.
Bergwerk
An der Wanner Straße in Recklinghausen-Hochlarmark hält sich das letzte Stück Bergbau. Walzenlader und Hydraulikstempel, Draisine, Lampenstube, Weißkaue – alles da. Es ist das frühere Versuchsbergwerk der RAG, nicht in 1000 Metern Tiefe, sondern ebenerdig in einer Halde. Touristen und Einheimische kommen in eine Art Besucherbergwerk – und zugleich nutzen die letzten Bergbauzulieferer es als Test- und Präsentationsfläche.
Folklore
Sagt noch jemand Glückauf im Jahr 2040? Vermutlich, es ist ja in den letzten Jahren schon immer mehr geworden. Die letzten Knappenchöre, darf man unterstellen, werden dann von Tourismusverbänden finanziert. Und der Ruhrkohle-Chor? Hat schon Termine ohne Ende für die nächsten Jahre. Und ist mit dem Durchschnittsalter von 55 Jahren – für einen Männerchor blutjung. Glückauf!