Düsseldorf. Er gab sich als 13-Jährige aus und verlangte Nacktfotos von kleinen Mädchen: Ein 26-jähriger Düsseldorfer stand deshalb vor dem Landgericht.
„Lisa“ ist ein langer Lulatsch, dünn, schlaksig, er sieht tatsächlich viel jünger aus als 26. Aber nicht wie 13, nicht weiblich und schon gar nicht wie ein Einhorn unter seiner Wollmütze. So aber präsentierte er sich im Internet: Als „unicorn_lisa13“ bandelte der Düsseldorfer via App mit kleinen Mädchen an, überredete sie, ihm Nacktfotos zu schicken. Die Polizei fand bei ihm mehr als 1500 Dateien mit Bildern entblößter Kinder. Das Landgericht Düsseldorf verurteilte ihn wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Besitz von Kinderpornografie zu einer Strafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung.
Neun Jahre alt war das kleine Mädchen, als „Lisa“ das erste Mal schrieb. Ein Grundschulkind, das bei „Likee“ unterwegs war, einer Video-App, die mit einem bonbonfarbenen Herzen für sich wirbt und dem eher erwachsenen Werbespruch: „Es lässt Sie strahlen.“ Eigentlich eine Applikation ab 13, so alt wie „Lisa“ angeblich war. Vielleicht hat das Opfer sich geehrt gefühlt.
Opfer offenbarte sich der Mutter, die ging zur Polizei
Tobias H. aber wollte nicht unschuldig chatten, er interessierte sich für die Videos der Mädchen auch nur, um zu sehen, „ob sie seiner Opfergruppe entsprechen“, wie es vor Gericht hieß. Mindestens ein Jahr lang, so die Anklage, schrieb er vier neun- und zehnjährige Kinder aus Düsseldorf, Neuss, Leverkusen und dem Rheinisch-Bergischen Kreis an, schickte ihnen pornografische Bilder, machte ihnen eindeutige Avancen und forderte sie schließlich auf, sexualisierte Aufnahmen von sich zu machen und ihm zu schicken. Eines der Mädchen vertraute sich im Dezember 2019 schließlich seiner Mutter an, die ging zur Polizei.
20 Bild- und Videodateien soll das Kind von sich angefertigt haben, zum Teil unter Druck, wie der Nebenklage-Anwalt der Familie am Dienstag im Gericht sagt: Sonst werde den Eltern „etwas passieren“, sonst werde eine Geldstrafe fällig. „Hundert Euro“, sagt Bernd Dietmar Wermuth, „sind bei einem jungen Geschöpf mit vielleicht zehn Euro Taschengeld horrende Beträge.“ Das Mädchen spürte das Unrecht wohl: „Lassen Sie mich in Ruhe“, schrieb es, „bitte hören Sie auf!“ Auch ohne Drohungen sei der Täter laut Wermuth „wie ein trojanisches Pferd“ gewesen: habe mit dem „pubertären Mithalten-Wollen“ seiner Opfer gespielt, mit deren Wunsch, schon fast erwachsen zu sein. Für den Anwalt „eine ganz perfide Herangehensweise“.
Schon frühere Haftstrafe wegen Missbrauchs via „Likee“
Was genau die Staatsanwältin davon in die Anklage geschrieben hat und was der 26-Jährige dazu sagt, erfährt die Öffentlichkeit nicht. Verteidiger Udo Vetter beantragt gleich nach der Begrüßung den Ausschluss der Öffentlichkeit: Er will nicht, dass sie mithört, wenn es um die sexuellen Vorlieben seines Mandanten geht, außerdem gehe es um „Straftaten zum Nachteil von nicht Erwachsenen“ und die Persönlichkeitsrechte der Kinder.
Auf der Nebenklagebank schüttelt die Mutter eines Mädchens unter Tränen den Kopf, krampft die Finger ineinander. „Wir haben kein Problem mit der Öffentlichkeit“, hat ihr Anwalt Wermuth vorher gesagt, die Eltern seien auch bisher hartnäckig gewesen, sie wollten den Prozess nutzen, um andere Eltern zu warnen vor dieser „neuen Bedrohung, von der wir alle vor zwei Jahren noch keine Ahnung hatten“. Im Frühjahr hatte das Landgericht Düsseldorf schon einmal einen Mann zu einer Haftstrafe verurteilt, er hatte ebenfalls über „Likee“ Kinder missbraucht.
4000 Euro Schmerzensgeld für das zehnjährige Opfer
Mindestens zwei Mädchen taten, wozu „Lisa“ sie aufforderte, Bilder von sexuellen Handlungen mit Geschwistern und Freundinnen lieferten sie nicht. Nach einem halben Jahr aber machte auch die Freundin des ersten Opfers mit. Ein drittes Kind lehnte ab, eine Neunjährige schickte ebenfalls nichts. Sie alle aber haben selbst Videos und Fotos von nackten Gleichaltrigen in sexualisierten Posen empfangen. Aufnahmen, wie die Polizei sie bei der Wohnungsdurchsuchung zu Nikolaus 2019 beim Angeklagten fand.
Tobias H. saß damals nur einen Tag in Haft. Vor Gericht kündigt sein Verteidiger am Dienstagmorgen an, sein Mandant werde alles gestehen und „sein Bedauern ausdrücken: Er hat eingesehen, dass er sich sehr falsch verhalten hat.“ Außerdem werde man „hier und heute ein angemessenes Schmerzensgeld auf den Tisch legen“. Tatsächlich urteilt die 7. Große Strafkammer: Er muss dem ersten Opfer 4000 Euro zahlen. Und eine Therapie beginnen. Mit seiner Aussage immerhin bleibt den inzwischen zehn- und elfjährigen Zeuginnen eines Aussage erspart. Trotzdem glaubt die Vorsitzende Richterin Karin Michalek:Die sexuelle Entwicklung so junger Menschen sei „schwer beeinträchtigt“, wenn diese sich mit der Sexualität von Erwachsenen auseinandersetzen müssten.