Ruhrgebiet. Eine Kommissarin aus Gelsenkirchen wird nun mit 1200 Überstunden pensioniert. 2020 droht den Polizisten ein arbeitsintensives Jahr.

Arno Eich erzählt die Geschichte vom letzten Leichenfund in Duisburg gern, weil sie so typisch sei. Die Frau sei am späten Abend gefunden worden, die Obduktion stand noch an, ein Bericht für den Haftrichter musste fertig werden. „Der letzte Ermittler hat um 3.30 Uhr das Licht ausgeknipst“, sagt Eich, Vorsitzender des „Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK)“ in Duisburg. Und um 7 Uhr sei der Kollege wieder im Büro gewesen. „Dass es in diesem Job Spitzen gibt, ist klar. Die Spitzen sind aber Normalität geworden“, sagt Eich.

Ein besonders spektakulärer Fall aus dem Bereich polizeilicher Überstunden ist am Dienstag bekannt geworden. Es geht um eine Erste Kriminalhauptkommissarin aus Gelsenkirchen, 62 Jahre alt, BDK-Mitglied; früher war sie nach eigenen Angaben bei Tötungs- und Sexualdelikten im Einsatz, ging 2015 zum Staatsschutz, arbeitete im Bereich Islamismus. Nun geht sie jetzt mit fast 1200 Überstunden in den Ruhestand.

Überstunden: NRW-Innenministerium lehnt die Auszahlung ab

Bundespolizisten sind an den Hauptbahnhöfen präsent, wie hier in Duisburg.
Bundespolizisten sind an den Hauptbahnhöfen präsent, wie hier in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel


Angesichts der bevorstehenden Pensionierung hat sie seit Mitte Januar bereits Überstunden abgebaut, aber man kann jetzt aufrichtig sagen, dass es mit dem Abbau nichts wird. Denn zum 1. März ist Schluss. Nächsten Sonntag.

Ihre briefliche Bitte, die Überstunden ausbezahlt zu bekommen oder weiterarbeiten zu können, um Überstunden abzubauen, hat das NRW-Innenministerium abgelehnt. Aus rechtlicher Sicht sei es nicht erlaubt, der Frau entgegenzukommen, hieß es aus Düsseldorf. Man habe aber Mehreres unternommen, damit Überstunden generell nicht verfallen. Unter anderem seien Verjährungsfristen verlängert worden.

Vollzeitbeschäftigte in Deutschland leisten pro Woche knapp fünf Stunden Mehrarbeit


Geht es um die Überstunden der Polizei, dann arbeiten ihre Interessensvertreter gern mit den ganz großen Zahlen. 22 Millionen Überstunden in Deutschland. 5,5 Millionen Überstunden in Nordrhein-Westfalen. Legt man sie aber auf die Zahl der Beschäftigten um, werden je nach Bundesland und Behörde pro Kopf rechnerisch 80 bis 130 Überstunden erreicht, heißt es. Aufgelaufen über Jahre. Es gibt auch Bundesländer praktisch ganz ohne.

Zum Vergleich: Nach einer Studie der „Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin“ kommt der durchschnittliche Vollzeitbeschäftigte in Deutschland auf „knapp fünf Stunden“ Mehrarbeit pro Woche. Allerdings geht aus der Studie nicht hervor, wie es mit dem Abbau derselben klappt. Männer machen mehr Überstunden als Frauen, Jüngere mehr als Ältere, Gebildetere mehr als die anderen.

Gewerkschaft der Polizei: 2020 wird wieder ein „einsatzstarkes Jahr“

Doch zurück zur Polizei. Jörg Radek würde an dieser Stelle gerne differenzieren, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). In Berlin seien es die politischen Treffen und internationalen Besuche, die zu sehr vielen Überstunden führten. In Nordrhein-Westfalen sei es die Ballung an Fußballvereinen der ersten und zweiten Liga. „Ich glaube, in Sachsen-Anhalt gibt es noch nicht einmal einen Zweitligisten.“ Und große, zähe Lagen gebe es überall. Gipfel. Razzien. Hambacher Forst.

Polizei-Eskorten führen vor allem in Berlin immer wieder zu Überstunden.
Polizei-Eskorten führen vor allem in Berlin immer wieder zu Überstunden. © WAZ FotoPool | Kathrin Migenda


Tatsächlich sei es in den letzten Jahren gelungen, die Zahl der Überstunden bundesweit auf etwa 20 Millionen zu senken. Aber 2020 werde wieder ein „einsatzstarkes Jahr“: Durch die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte bekämen vor allem Staatsschützer, Personenschützer und Bereitschaftspolizisten wieder überaus gut zu tun. Vor allem die Bereitschaftspolizei führe „ein Leben ohne Wochenende, und unter der Woche feiert sie das wieder ab“.

Polizei Gelsenkirchen: 1000 Mitarbeitern haben 113.000 Überstunden

Und so fordert die GdP für alle Bundesländer, die das noch nicht haben, Lebensarbeitszeitkonten für Polizeibeamte. Auch für NRW. „Die Verhandlungen darüber wurden aber ausgesetzt, beziehungsweise sie sind gescheitert“, sagt Mathias Büscher von der GdP Gelsenkirchen. Lebensarbeitszeitkonten funktionieren so: Der Inhaber kann sehr viele Überstunden sammeln für den Fall, dass er eines Tages viel Freizeit braucht. Für Erziehung etwa. Oder für die Pflege der Eltern.

Mathias Büscher kommt für die Gelsenkirchener Behörde mit rund 1000 Bediensteten auf etwa 113.000 Überstunden. Dabei sei die 1200-Stunden-Kommissarin die Spitzenreiterin.

Reul habe „versprochen, dass bei der Polizei keine Stunde verfallen wird“

Der BDK, dem sie angehört, nutzte den Fall für Kritik an NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Er hatte versprochen, dass bei der Polizei in NRW keine Stunde verfallen wird“, sagt der BDK-Vorsitzende Sebastian Fiedler der Nachrichtenagentur dpa. Von „Überstundenbergen“ betroffen seien in NRW vor allem die Einsatzhundertschaften, die Spezialeinheiten und die Kripo.

Fiedler forderte vom Ministerium, die Entscheidung im Fall der Gelsenkirchener Polizistin „schnellstmöglich zu korrigieren“. Denn Sonntag ist Schluss.