Dortmund. Tiefergelegte Luxusschlitten und „die Papiere hat Papa“: Die Kontrollen zum „Car-Freitag“ in Dortmund werfen ein Licht auf die Tuning-Szene.

Als die erste Protzkarosse auf den Abschleppwagen rollt, schabt sie vorne über die Rampe, so tief liegt der Mercedes SL550. 110 Millimeter Bodenfreiheit sind das gesetzliche Minimum, und das hat Papa ziemlich ausgereizt. Doch Papa ist im Urlaub, einige Papiere über die Tieferlegung sollen angeblich „in seinem Laden“ liegen, und dann sind da noch die Reifenspuren innen am Kotflügel. Danach haben die Polizisten natürlich sofort gesucht, mit Spiegel und Taschenlampe, denn Reifen, die am Blech kratzen, hat der TÜV sehr wahrscheinlich nicht genehmigt. Genau genommen findet sich das neue Gewindefahrwerk auch im Fahrzeugschein, doch die Einstellhöhe ist eben nicht dokumentiert. Pech also für Papa, der Sohnemann muss das rund 70.000 Euro teure Cabrio auf den Schlepper bugsieren um 23.16 Uhr am Karfreitag. Entschuldigung, am „Car-Freitag“.

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Eine Traube Sympathisanten hat sich zusammengefunden am Dortmunder Wall, wo die Polizei vor dem „U“-Turm eine Spur zur Boxengasse umfunktioniert hat. In vielen Städten Nordrhein-Westfalens gibt es an diesem Aktionstag solche Schwerpunktkontrollen, doch Dortmund hat in der Region seit Jahren das größte Problem mit Rasern, „Tunern“ und „Posern“, wobei nicht alle Frickler und Angeber (mit ihren oft gemieteten oder geleasten Luxusautos) rasen, aber die Szenen überschneiden sich eben. 13 Verletzte gab es im vergangenen Jahr bei 120 illegalen Rennen. Im Vorjahr waren es noch 100 Rennen, davor nur 52. In der Pandemie hatten offenbar so viele junge Männer Langeweile, dass der Dortmunder Wall den Spitznamen „Blech Tinder“ bekam – eine Kontaktbörse für Möchtegern-Rennfahrer.

Das sind doch nur „Peanuts“

Dieser Mercedes SL550 wird gleich sichergestellt.
Dieser Mercedes SL550 wird gleich sichergestellt. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Tatsächlich ist auch der 22-Jährige Sohn mit Kumpel und Cabrio aus Remscheid angereist, andere Spezies an diesem gar nicht so Stillen Feiertag kommen aus Bielefeld oder den Niederlanden. „Peanuts“ feixt der Sohn, angestachelt von der Aufmerksamkeit der Gaffer, zuvor war er noch ziemlich kleinlaut und durchaus höflich und kooperativ im Umgang. Tatsächlich könnte es sich auch um eine realistische Einschätzung handeln, denn wenn er die Papiere beibringen kann, bekommt er den Wagen natürlich wieder und muss nur die Abschleppkosten zahlen.

Ein ähnliches Muster ist bei F. (19) und seinen drei Freunden zu erkennen. „In Bielefeld ist absolut nichts los“, also sind sie das erste Mal zum Car-Freitag in Dortmund „angereist“ mit seinem BMW M3 E46, beklebt mit rot-glossiger „Dragon Folie“, Alpina Felgen 20 Zoll, „alles eingetragen“. Aber auch hier scheint Papa die Papiere zu haben, doch der macht gerade Urlaub im Kosovo. Die Kratzspuren innen an den Reifenkästen? „Wir haben Zementsäcke transportiert, weil wir zuhause umgebaut haben“. Er sagt das so bedröppelt, man möchte es ihm abnehmen.

Leise ist relativ

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Wie viel macht der BMW wohl? 250 Stundenkilometer, aber „Rennen fahren ist nicht schön, damit gefährdet man nur andere. Und die Spritpreise.“ Dass auch sein „vielleicht 13.000 Euro“ teurer Schlitten eingezogen wird, will ihm nicht recht in den Kopf. „Er ist doch leise, ich habe doch nicht mal einen Sportauspuff.“ Als F. nach Aufforderung eines Polizisten im Stand aufdreht, wird klar: Leise ist relativ. Zurück nach Bielefeld geht’s jedenfalls mit der Bahn. Vorher posieren sie noch auf der Motorhaube für ein Foto.

Nur fünf Karossen stellt die Dortmunder Polizei an diesem Abend sicher, auch tagsüber sei es an anderen Kontrollpunkten „extrem ruhig“ gewesen, sagt Polizeisprecher Gunnar Wortmann. Er hat auch schon erlebt, dass in einer Stunde vier Autos zum Gutachter gingen. „Aber das zeigt, dass unsere Kontrollen Wirkung zeigen.“ Außerdem: zwei Strafanzeigen, vier Platzverweise, 44 Verwarnungsgelder und 34 Ordnungswidrigkeitenanzeigen. Am Dückerweg an der A 40 in Bochum-Wattenscheid, einem weiteren Treffpunkt, zogen die Bochumer Kollegen eine ähnlich ruhige Bilanz: Ein Auto sichergestellt, einer musste sein Fahrwerk vor Ort „zurückbauen“, um weiterfahren zu dürfen. 21-mal war die Betriebserlaubnis erloschen, 45 Fahrzeuge wiesen Mängel auf. Rund um das Tuningtreffen gab es 212 Tempoverstöße.

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Ein Audi A3 S-line aus den Niederlanden ist den Kollegen weiter unten am Wall durch „riskantes Fahrverhalten“ aufgefallen. „Er hat den Motor aufschreien lassen an der Ampel und hat zusammen mit einem weißen Mercedes GLE riskant die Spuren gewechselt.“ Aber es war noch nicht an der Schwelle zum illegalen Rennen, das seit 2017 als Straftat gilt, selbst wenn man alleine rast. Zwei Jahre Haft drohen – wenn Menschen gefährdet werden fünf, wenn sie verletzt werden zehn Jahre. Der junge Niederländer, unterwegs mit drei Freunden, bekommt nur einen Platzverweis. Und ein Ordnungsgeld über 100 Euro, weil die Feinstaubplakette nicht in Ordnung ist.

Alles eingetragen?

Die Dichte an übersportlichen Karossen, die gezwungenermaßen durch die Kontroll-Engstelle am Dortmunder Wall paradieren, ist dennoch enorm. Der camouflierte Ami-Schlitten mit Spoiler geht durch, weil gerade drei Polizeiteams beschäftigt sind, vielleicht auch, weil zu offensichtlich getunt. Peter Fajardo (36), Fachmann der Polizei, zieht zielsicher auch Kisten aus dem Verkehr, die auf den ersten Blick harmlos wirken. „Ob der alles sieht in der Sitzposition, wage ich zu bezweifeln“. Der Golf 6 R-line hat außerdem „Zubehörlichter“, ist aber alles eingetragen.

Der Mercedes E220 mit dem violett beleuchteten Armatureninferno hat das Nummernschild in der Windschutzscheibe liegen „Das 3D-Kennzeichen sollte schon vor einer Woche kommen.“ – „An einem Tag wie diesem, könnte man auf andere Gedanken kommen“, sagt Fajardo. Auch dieser Wagen liegt extrem tief, die Papiere stimmen aber, es gibt ein Ordnungsgeld von 65 Euro – „Heute auch nur eine Viertel Tankfüllung“, sagt Fajardo. „Dafür habe ich Verständnis. Sie müssen aber auch verstehen …“, sagt er oft oder „Das stört mich gerade ein bisschen, dass Sie keine Papiere dabei haben.“ Er macht das so gut gelaunt und deeskalierend, dass es selten laut wird. Einmal müssen die Polizisten sich anhören: „Nur weil Sie von unseren Steuergeldern leben, sind sie nichts besseres.“ Der Dortmunder darf weiterfahren, kommt aber zu Fuß zurück und gesellt sich zu den Gaffern.