Die Corona-Infektionen steigen massiv. Unter diesen Umständen können Schulen in NRW nicht öffnen, warnt WAZ-Kommentator Alexander Marinos.

Es ist nie zu spät, einen Fehler zu korrigieren. Insofern ist es eine gute Nachricht, wenn Städte und Kreise, die jetzt knapp bei einer Inzidenz über 200 liegen, ihre Schulen überraschend doch nicht für den Wechselunterricht öffnen dürfen – auch wenn das übers Wochenende viele Eltern, Schüler und Lehrer kalt erwischt hat. Es wäre auch ein Irrsinn gewesen, einmal mehr in steigende Zahlen hinein Anti-Corona-Maßnahmen auf breiterer Front zu lockern.

Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, fordert, dass die Schulen in ganz NRW geschlossen bleiben.
Alexander Marinos, stellvertretender Chefredakteur der WAZ, fordert, dass die Schulen in ganz NRW geschlossen bleiben. © FFS | Jakob Studnar

Noch sinnvoller wäre es freilich, alle Schulen geschlossen zu halten. Denn es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn wir in NRW nicht in wenigen Tagen flächendeckend bei über 200 lägen. Die bittere Wahrheit ist, dass sich die dritte Welle weiter massiv aufbaut und wir darum das benötigen, was NRW-Ministerpräsident Laschet euphemistisch als Brückenlockdown bezeichnet hat, bis die Impfkampagne greift. Dass er diese Forderung bislang nicht einmal in seinem eigenen Bundesland gegen die öffnungswütige FDP durchsetzen konnte, spricht für sich. Das ist eine machtpolitische Bankrotterklärung.

Intensivstationen: Zahlreiche Väter und Mütter kämpfen um ihr Leben

Machen wir uns nichts vor: Eine Inzidenz unter 200 ist innerhalb der nächsten Wochen praktisch nicht erreichbar. Und selbst die 200 ist als Grenze für den Präsenzunterricht in Schulen, wie RKI-Präsident Wieler und Bundesgesundheitsminister Spahn gerade erst deutlich gemacht haben, viel zu hoch angesetzt. Schon jetzt trifft die dritte Welle Familien anteilig stärker als jede andere Bevölkerungsgruppe. Die Corona-Patienten auf den Intensivstationen sind im Durchschnitt 47 bis 48 Jahre alt. Da kämpfen zahlreiche Väter und Mütter mit ihrem Leben.

Übersetzt bedeutet das: Der berechtigten Forderung nach mehr Bildungsnormalität für die Kinder steht die Gefahr gegenüber, dass viele Familien zerstört werden, weil ein Elternteil die Pandemie im schlimmsten Fall entweder nicht überlebt oder mit den erheblichen Folgen einer Longcovid-Erkrankung zu kämpfen hat. Der Preis ist deutlich zu hoch. Und die Situation wird auch nicht dadurch beherrschbarer, dass in den Schulen mehr getestet wird. Im Gegenteil.

Schnelltests geben eine trügerische Sicherheit

In diesen Tagen zeigt sich leider immer mehr, dass die Schnelltests nur für eine trügerische Sicherheit sorgen und insofern sogar kontraproduktiv sein können. Sie erkennen gerade einmal 58 Prozent der symptomlos Infizierten, wie eine Übersichtsstudie der unabhängigen internationalen Cochrane Collaboration zeigt. Auch der Berliner Virologe Christian Drosten hatte jüngst von einer „Nachweisschwäche“ gesprochen und darauf hingewiesen, dass die Schnelltests drei von acht infektiösen Tagen „übersehen“.

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Auch die sich hartnäckig haltende Annahme, Kinder und Jugendliche seien weniger infektiös, folgt eher dem Prinzip Hoffnung als evidenzbasierten wissenschaftlichen Aussagen. Im epidemiologischen Steckbrief des RKI zum Coronavirus heißt es, zwar scheine es, dass Kinder weniger infektiös seien als Erwachsene. Eine abschließende Bewertung sei aber nicht möglich. Und: „Studien zur Viruslast bei Kindern zeigen keinen wesentlichen Unterschied zu Erwachsenen.“ Wieler warnt, Kinder könnten ebenso leicht angesteckt werden wie Erwachsene. Und sie könnten dann auch Erwachsene anstecken.

Schuljahr wiederholen lassen, statt Kopf in den Sand

Schön ist das alles nicht. Es ist schrecklich. Aber es wird nicht besser dadurch, dass man den Kopf in den Sand steckt. Am Ende von ein bis zwei verkorksten Schuljahren wird es Schüler geben, die vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen sind, weil der Distanzunterricht so funktioniert hat, dass die Kinder ein definiertes Lernziel-Minimum erreicht haben. Da, wo Lehrer und vor allem Eltern aus verschiedensten Gründen eher überfordert waren, sollten die Kinder das laufende Schuljahr dagegen wiederholen.

Vielleicht bereitet sich die NRW-Schulministerin ja schon auf dieses weitere herausfordernde Szenario vor. Die Hoffnung stirbt zuletzt.