Essen/Köln. Privilegien für Geimpfte kommen. Wie Hausärzte und Impfzentren den Neid der Menschen spüren, die noch auf ihre Spritze gegen Corona warten.
Der Neid wächst. Je zahlreicher die Vorteile werden, desto stärker wird bei vielen Menschen der Wunsch nach einer Impfung. In NRW aber scheint die Zahl der Impfdrängler bisher überschaubar. Klar kommen immer wieder Menschen ins Impfzentrum, die noch nicht an der Reihe sind. Älter haben sie sich bei der Terminanmeldung gemacht oder priorisierter, als sie sind. Erzählen von eigenen Leiden oder angeblich schwer kranken Verwandten, die sie betreuen. Das ist nicht verboten, das ist aber in fast allen Fällen auch erfolglos. „Hier im Impfzentrum bekommen wir das in der Regel durch vernünftige Gespräche geregelt.“
Theatralische Begründungen beim Arzt helfen nicht
„Das Drängeln ist derzeit kein Problem“, sagt Jürgen Zastrow, Leitender Impfarzt im Impfzentrum Köln. Aus Städten im Ruhrgebiet ist Ähnliches zu hören, auch das NRW-Gesundheitsministerium spricht von „Ausnahmen“, kann aber keine Zahlen nennen. Das kann die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe ebenfalls nicht, hält das Problem aber nach Aussage einer Sprecherin für „sehr gering“.
Auch die Hausärzte in NRW hören derzeit keine Frage so oft wie „Können Sie mich impfen?“ Ein „Nein“ als Antwort lassen viele nicht gelten. „Es kommen dann theatralische Begründungen, die aber letztendlich nicht helfen“, sagt Oliver Funken, Vorstand des Hausärzteverbandes Nordrhein. Der Impfneid setze sich „zunehmend durch“.
Corona-Impfung: Viele lehnen den Impfstoff von Astrazeneca ab
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Kolleginnen und Kollegen aus dem Revier kennen das. „Mein Nachbar ist auch geimpft, dabei ist der viel jünger und völlig gesund“, bekommen sie zu hören. Oder Sätze wie diesen: "Ich versteh das gar nicht, alle meine Bekannten sind schon geimpft!", zitiert eine Allgemeinmedizinerin aus Bochum.
Oder es kommt die Bitte, mal „ein Auge zuzudrücken“. „Solche Debatten nerven“, sagt ein Dortmunder Allgemeinmediziner. Genau wie die Diskussionen über Astrazeneca. Wobei inzwischen „auch viele Über-60-Jährige den Impfstoff ablehnen“, sagt Funken.
Sie habe, sagt auch die Hausärztin aus Bochum, ihre Patienten noch einmal "ganz neu kennengelernt". Sie sei bei den Impfungen noch nicht mit allen schwer vorerkrankten Patienten durch, trotzdem fragten auch Gesunde immer und immer wieder nach, teilweise wöchentlich: Wann bin ich dran? An welcher Stelle stehe ich auf der Warteliste? "Und sie werden dabei zunehmend drängelnder", erzählt die Medizinerin. Dass nun die Zweitimpfungen für die Biontech-Impflinge von Anfang April anstünden, mache die Sache nicht einfacher.
Impftermine, die nicht wahrgenommen werden, sind ein weiteres Problem – egal ob aus Abneigung zu Astrazeneca oder weil der Patient zwischenzeitlich an anderer Stelle eine Impfung bekommen hat. „Das ist ja schön für ihn“, sagt der Dortmunder Arzt. „Aber dann kann man doch wenigstens den Termin bei uns absagen.“
Arzt über Impfungen: „Ich will keine Dosis verkommen lassen“
Weil genau das aber regelmäßig nicht passiert, hat er sich mittlerweile eine lange Liste der Patienten gemacht, die er grundsätzlich impfen darf und die flexibel genug sind, um ganz kurzfristig einspringen zu können. „Ich will keine Dosis verkommen lassen. Und ich kenne die Krankengeschichte meiner Patienten.“ Ende Mai, spätestens Anfang Juni werde sich die Situation ohnehin entspannen, ist aus vielen Praxen und Zentren zu hören – sofern die Versprechen der Impfstoffhersteller eingehalten werden.
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Bis dahin aber ist Geduld gefragt – zumindest in den Impfzentren. Dort seien die für den Mai verfügbaren Termine aktuell ausgebucht, ließ das NRW-Gesundheitsministerium Anfang dieser Woche wissen. Seit Donnerstag letzter Woche könnten sich weitere Personengruppen der Priorisierungsgruppe 3 – wie zum Beispiel Mitarbeiter aus dem Lebensmitteleinzelhandel – anmelden, erinnert Vanessa Pudlo, Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Das führe zu zusätzlichen Buchungen. Außerdem würden in vielen Impfzentren immer größere Kapazitäten für nicht mehr länger aufschiebbare Zweitimpfungen benötigt.
60- bis 69-Jährigen wird geraten, sich nicht im Impfzentrum zu melden
Den 60- bis 69-Jährigen zum Beispiel, die schon bald zur Priorisierungsgruppe 3 gehören sollen, wird dann auch geraten, sich nicht im Impfzentrum zu melden. „Das Ministerium empfiehlt, dass sich dieser Personenkreis an die Arztpraxen wenden soll, um geimpft zu werden.“ Wer sich dort meldet, muss allerdings damit rechnen, dass er nach Absprache mit dem Arzt Astrazeneca angeboten bekommt, da der Impfstoff eine allgemeine Freigabe erhalten hat und vielerorts „im Überfluss“ vorhanden ist.
Selbst wer sich damit einverstanden erklärt, wird nicht zwingend am nächsten Tag geimpft. „In den Arztpraxen ist derzeit einiges los, zumal dort der normale Praxisbetrieb auch noch weiterläuft“, sagt Vanessa Pudlo.
Tricks bringen Dränglern keine Corona-Impfung
Trotzdem ist dieser Weg erfolgversprechender, als der, den eine Familie in Köln wählte. Da kauften sich Vater, Mutter und zwei Kinder im Teenageralter extra weiße Kleidung, um sich im Impfzentrum als Ärzte auszugeben und zu fordern: „Höchste Prio-Gruppe, bitte sofort impfen, Kollegen.“ Am Ende eine erfolglose Bitte. „Wir haben“, sagt Zastrow, „nur gelacht.“
So dreist wie die Familie in Köln sind die Menschen in der hausärztlichen Praxis in Bochum nicht. Aber bei den Begründungen werde auch bei ihr so mancher Impfwilliger auch, nun ja: kreativ: "Plötzlich", sagt sie, "haben sie alle Asthma." Auf die Frage, welche Medikamente sie denn dagegen nähmen, folgt dann Schweigen oder Gestammel. Auch so eine Geschichte: der "pflegebedürftige Onkel". Fragt sie nach einem Attest von dessen Arzt, kommt nichts mehr.
Von manch einem Patienten habe sie jetzt schon gehört: "Gottseidank impft mich jetzt mein Orthopäde." Das sei ja auch schön und gut. "Aber wenn sie Nebenwirkungen haben", sagt die Allgemeinmedizinerin, "bin ich mal gespannt, zu wem sie dann gehen."