Ruhrgebiet. Ungeimpfte Corona-Patienten in ihrer Klinik machen manche Ärztin, manchen Pfleger wütend. Andere traurig oder sauer. Protokolle aus ihrem Alltag.
Ungeimpft, noch immer, trotz allem? Ärzte, Ärztinnen und Pflegekräfte treffen im Klinikalltag immer wieder auf schwerkranke, nicht immunisierte Patienten und Patientinnen. Wir fragten sie, was das mit ihnen macht. Fünf sehr persönliche Antworten, Protokolle über Frust, Trauer, Wut und Professionalität.
Lutz Brautmeier (27), Assistenzarzt im Bochumer St. Elisabeth-Hospital
„Bei meinen Diensten in der Notaufnahme frage ich jeden nach seinem Impfstatus – und alle Ungeimpften nach ihren Gründen dafür. Ich versuche zu erklären, dass die Impfung wichtig und ihr Nutzen größer als das Risiko ist – so unaufgeregt wie möglich. In den letzten beiden Wochen gab es gefühlt sehr viel mehr solcher Gespräche als früher – und häufig frustrierende. Mit Sachargumenten kann man die Meinung vieler nicht mehr ändern. Die sagen: Bei soviel Druck hab ich erst recht keine Lust mehr auf die Impfung. Das ist dann der Punkt, an dem die Leute den Blickkontakt zu mir abbrechen – und ich das Gespräch. Alles, was man an Zahlen und Fakten nennen kann, dringt gar nicht mehr zu denen durch.
Zum ersten Mal bin ich in dieser Woche auch auf Verschwörungstheoretiker getroffen. Drei verschiedene Patienten, die alle über ein paar Ecken bekannt sein wollten mit der mal italienischen, mal arabischen, mal deutschen Familie eines Bochumers, der angeblich an einer Corona-Impfung gestorben ist. An dem Gerücht ist nichts dran. Die Info hätten sie aus „telegram“, erzählten die Patienten. Dass das keine solide Quelle ist: nahmen die gar nicht wahr.
Der Fall eines 39-Jährigen, der mit einer Blutvergiftung zu uns kam und beatmet werden musste, hat mich besonders erschreckt. Der lehnt die Impfung bis heute ab, obwohl er ein Risikopatient mit extrem schlechter Prognose bei einer Corona-Erkrankung ist. Er hat Angst, an der Impfung zu sterben, sagt er. Bei einer Inzidenz von fast 400! Die Chance, dass er an einer Infektion stirbt, ist doch um so vieles höher….
Mich macht das nicht wütend, nein. Solche Menschen machen mich traurig. Es tut mir leid, dass sie so verbohrt sind, dass das auch noch medial angefeuert wird. Ich vergleiche sie mit denjenigen, die nach dem dritten Schlaganfall noch rauchen. Da fasst man sich an den Kopf, die wissen doch, dass sie sich durch ihr Verhalten selbst ins Grab bringen.
Trotzdem werde ich nicht müde, das Thema anzusprechen. Manchmal bringt es ja etwas. Vor ein paar Tagen etwa kam ein 70-jähriger, ungeimpfter Mann zu mir. Seine Mutter (!) ist überzeugte Impfgegnerin, hatte ihn bislang abgehalten. Ich konnte ihn überzeugen. Das war gut. Doch es war mein einziger Erfolg in den letzten Wochen.“
Andrea Neef (58), Stationsleiterin der Intensivmedizin, Ruhrlandklinik Essen
„Es ist die Wut, die mir derzeit am meisten zu schaffen. Die Wut über Menschen auf der Intensivstation, die nicht da liegen müssten.
Vor ein paar Wochen etwa kam eine ungeimpfte 63-Jährige zu uns, eine überzeugte Corona-Leugnerin – mit Corona. Sie wurde gut versorgt, erhielt ein schönes Einzelzimmer mit Fernseher, war dennoch gegen alles und nix, wurde fast handgreiflich sogar, als eine Kollegin ihr einen PCR-Test abnehmen wollte. Das Virus gebe es gar nicht, sagte sie immer wieder. Es ging ihr wohl noch nicht schlecht genug. Jetzt liegt sie auf der Intensivstation, und sie liegt noch immer schlecht. Erst, als wir mit ihr darüber sprachen, dass sie intubiert werden müsse, dämmerte ihr wohl, dass es ernsthaft um ihr Leben geht. Als wir ihr die Schlafmedikation geben wollte, bat sie um ein zweites, letztes Telefonat mit ihrer Tochter...
Ich kann nicht nachempfinden, warum Menschen sich nicht impfen lassen, die es könnten. Und ich bin es zudem leid, das zu versuchen. Für uns ist die ständige Dreherei einfach nur anstrengend; zweimal täglich, mindestens, müssen wir auch ungeimpfte Corona-Kranke von Bauch- in Rückenlage und zurück wuchten. Das ist eine zusätzliche, unnötige Belastung. Wir machen das zu viert, und das bindet sehr viel Zeit und Kraft, je nachdem wie groß und schwer die Person ist. Allein für die Grundpflege rechnen wir anderthalb Stunden. Mit zwei Covid-Patienten pro Schicht ist eine Pflegekraft wirklich bedient. Man muss sie ja nicht nur waschen und wenden, sondern auch Medis verabreichen, Schleim absaugen, Verbände wechseln, Druckstellen versorgen – auch im Gesicht, Bauchlage ist nicht schön.
Wir sind alle Profis hier, wir behandeln Ungeimpfte und Corona-Leugner nicht anders als den Lungentransplantierten, der mal 140 Tage bei uns lag und nun wieder da ist, kränker als zuvor. Doch anders als bei ihm kann ich für Ungeimpfte kein Mitleid empfinden, keine herzliche Bindung zu ihnen entwickeln. Ich verstehe auch nicht, warum die wenigen Corona-Leugner, nur weil sie laut sind, im Fernsehen so eine große Plattform bekommen.
Ich lasse meine Wut, meinen Frust aber hier, wenn ich Feierabend mache. Es war hartes Training, das zu erreichen. Doch ich bin fast 40 Jahre im Job. Als Leiterin der Station merke ich jedoch, dass viele Kollegen leiden – und wie ich immer mehr zur Psychologin werde. Täglich muss ich meine Leute neu motivieren, sonst gehen sie. Und jede Kündigung ist für uns eine Vollkatastrophe.“
Sabrina Krisch (42), Fachkrankenschwester für Intensivmedizin und Anästhesie am Evangelische Klinikum Niederrhein in Duisburg
„Wenn ich einen Covid-Patienten auf unserer Intensivstation habe, der nicht geimpft ist, will ich den Grund nicht wissen. So ein Gespräch beginne ich aus reinem Selbstschutz gar nicht erst, weil ich dann ja mit der Antwort irgendwie umgehen müsste. Ich habe persönlich eine Haltung zu Impfgegnern, aber ich muss das Beste für meine Patienten versuchen zu tun und um mich da selbst ein Stückweit abzugrenzen und meine Arbeit machen zu können, möchte ich die Frage nach dem Warum nicht stellen. Das würde mich aufreiben. Ich muss abends noch irgendwie in den Schlaf kommen.
Frustrierend ist das trotzdem. Weil ich ja weiß, was die Covid-Versorgung mir und meinen Kollegen abverlangt. Kaum jemand kann sich vorstellen, wie es ist, in dicker Isolationskleidung einen schwerst erkrankten, übergewichtigen Covid-Patienten in die Bauchlage zu drehen oder fünf Stunden lang eine künstliche Lunge zu implementieren. Das ist schwere körperliche Arbeit, danach bist du nass geschwitzt. Und dann willst du eben nicht hören, dass jemand die Impfung aus den und den Gründen abgelehnt hat.
Wir hatten einen Impfgegner bei uns, der gar nicht mal selbst infiziert war, aber als Kontaktperson eines Covid-Patienten bei uns auf der Station in Quarantäne war. Eines Morgens erzählte er mir, die Impfung würde impotent machen. Ich habe ihn mit einem Spruch abgefertigt und bin gegangen.
Ich glaube, diese Leute erreichen wir nicht mehr. Nicht einmal mit den schlimmsten Schockbildern von Intensivstationen. Wer es jetzt noch nicht verstanden hat, wie wichtig die Impfung ist, den wird auch ein Gespräch nicht umstimmen. Wir werden diesen Leuten trotzdem helfen, wenn sie erkranken. Aber verstehen kann ich sie nicht.“
Thorsten Brenner (43), Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Essen
„Wir sehen auf unserer Intensivstation jeden Tag, wie wichtig die Impfung ist. Von unseren Covid-19-Patienten sind 80 bis 85 Prozent nicht geimpft und unter den wenigen, die trotz einer Impfung bei uns behandelt werden müssen, sind Menschen mit Krebserkrankungen oder anderen schweren Vorerkrankungen. Erschreckend ist, wie jung die Covid-Patienten inzwischen sind. Wir hatten jemanden mit 17 Jahren bei uns. Das war in den ersten Wellen anders.
Die Menschen, die zu uns kommen, kann ich nur selten fragen, warum sie nicht geimpft sind. Die meisten sind schwer eingeschränkt, da diskutiert keiner mit uns. Persönlich bin ich da vollkommen verständnislos. Diese Menschen hätten eine effektive, einfache Maßnahme ergreifen können, um verhindern zu können, dass sie von uns behandelt werden müssen und dass sie diese Möglichkeit nicht genutzt haben, kann ich mit nichts nachvollziehen. Aber das schluckt man runter und macht professionell seinen Job.
Schwierig ist für uns, dass wir in der Universitätsmedizin neben Covid ja noch viele andere schwer erkrankte Menschen versorgen. Dafür brauchen wir das Personal und die Betten. In den ersten Welle hat die Covid-Versorgung auf dem Rücken anderer Patienten stattgefunden. Diesmal wollen wir Routineeingriffe so lang wie möglich weiter machen. Aber das geht nur bis zu einer gewissen Belastungsgrenze. Wir haben bereits eine anstrengende Zeit hinter uns. Seit Beginn der Pandemie ist man nicht richtig zur Ruhe gekommen. Da ist die Frustration in manchen Bereichen entsprechend groß.“
Felix Rosenow (42), stellvertretender Leiter der Internistischen Intensivmedizin am Uniklinikum Münster
„Am Anfang dieser vierten Welle habe ich noch gedacht, wir in den Kliniken dürfen nicht frustriert sein. Aber inzwischen sehe ich das anders. In den letzten Pandemie-Wellen haben sich ganze Berufsgruppen in den Krankenhäusern bemüht, unter hohem persönlichen Einsatz Covid-19-Patienten zu behandeln. Dann kam die Impfung, von der man wusste, man könnte damit die nächste Welle abmindern und sich selbst und andere vor einem schwerwiegenden Verlauf schützen - und es gibt Leute, die diese Chance bis heute nicht annehmen. Diese Ignoranz ärgert mich.
Und es macht mich traurig. Zu uns ans Uniklinikum Münster kommen Menschen, die so schwer erkrankt sind, dass ihnen eine reguläre Intensivstation nicht mehr helfen kann. Wir schließen sie an die ECMO an, eine Art künstliche Lunge. Trotz aller Mühen sehen wir auch in der vierten Welle Todesfälle junger Menschen. Mütter, Väter von 30 oder 35 Jahren, die mitten im Leben stehen sollten. Da stehst du dann vor und denkst: „Das ist so unnötig.“
Es gibt viele Erkrankungen, welche das gesellschaftliche Leben weniger beeinflussen, für die wir uns wünschen würden eine wirksame Impfung zu haben. Für COVID-19 gibt es sie und doch ist die Impfquote noch nicht ausreichend hoch genug und zu viele Menschen versterben daran. Da ist man traurig und ich weiß, dass das Kollegen mitnimmt, gerade weil auch die körperliche Erschöpfung groß ist.
Unsere Patienten sind selten ansprechbar und leiden regelmäßig auch nach Besserung der Lungenfunktion noch an einer anhaltenden Einschränkung der Hirnfunktion, so dass da kein Gespräch zustande kommen kann. Oft sind es eher die Angehörigen, die uns Hintergründe geben und mit denen wir täglich telefonieren. Ich merke dann, dass sich bestimmte Erzählungen und ein gewisses Misstrauen halten. Eine Frau erzählte mir, ihr Mann habe nicht an Corona geglaubt, alles eine Erfindung – das gibt es immer noch! Eine junge Mutter sagte, ihr Mann habe auf einen Totimpfstoff gewartet, weil er den neuen mRNA-Impfstoffen nicht vertraue. Ich gehe da nicht in die Tiefe, man fragt nicht: Lassen Sie sich denn nun wenigstens impfen? Man hofft, dass allein das Erlebte überzeugt.
Ich habe keine Idee mehr, wie wir Menschen von der Wichtigkeit, der Notwendigkeit einer Impfung noch überzeugen können, da würde nur eine allgemeine Impfpflicht helfen. Ich glaube aber fest, dass wir mit denen, die immer noch nicht geimpft sind, im Gespräch bleiben müssen.“