Essen. Einige haben ihre Corona-Boosterimpfung schon. Viele andere fragen sich: Wie gut bin ich (noch) geschützt? Wann Antikörpertests sinnvoll sind.

Ungeimpft und trotzdem immun gegen Corona? Infektionen können ja symptomlos verlaufen… Geimpft, aber nicht (mehr) geschützt? Die Wirkung soll mit der Zeit nachlassen… Ein Antikörpertest könnte Klarheit schaffen, hofft mancher. Vielleicht sogar nicht nur, was die eigene Person angeht, sondern auch das Pandemiegeschehen als Ganzes? Fragen und Antworten zum Thema.

Was sind Antikörper?

Eiweiße (Proteine), die das Immunsystem nutzt, um Krankheitserreger (Bakterien oder Viren) zu bekämpfen, zu „neutralisieren“. Sie werden in den weißen Blutzellen produziert. IgM- und IgA-Antikörper sind sowas wie der „Ersthelfer“-Trupp; die zentrale Rolle spielen IgG-Antikörper, die erst später gebildet werden. Sie werden zu einer Art „Gedächtnis“: beim nächsten Kontakt mit demselben Virus kennt unser Körper sie schon und kann den „Feind“ schneller angehen.

Welche Arten von Tests gibt es?

Man unterscheidet Bindungstiter- und Neutralisationstests. Erstere messen die Konzentration der Antikörper im Blut, letzteren geht es um deren „biologische Funktion“, erläutert Prof. Ulf Dittmer, Chefvirologe der Essener Universitätsmedizin – also um die Fähigkeit, das Virus unschädlich zu machen.

Eine Labor-Mitarbeiterin begutachtet ein Röhrchen mit Blut für einen Corona-Antikörpertest.
Eine Labor-Mitarbeiterin begutachtet ein Röhrchen mit Blut für einen Corona-Antikörpertest. © dpa | Marijan Murat

Titertests weisen in der Regel Antikörper gegen das Spike-Protein auf der Oberfläche des Virus nach; beziehen sie sich auf das Nukleo-Protein kann mit ihrer Hilfe ein Geimpfter von einem Genesenen unterschieden werden. Erst seit März 2021 gibt es einen einheitlichen Standard der Weltgesundheitsorganisation WHO für Ergebnis-Werte: Bindung Antibody Units pro Milliliter. Bis dahin konnte 10 dasselbe wie 1000 bedeuten, erläutert Dittmer. „Das hat alle verwirrt, auch die Ärzte.“ Jetzt wird jedes Testergebnis umgerechnet in BAU/ml.

Neutralisationstests sind besser als Titertests – aber auch sehr viel aufwendiger, denn sie können nur in S3-Hochsicherheitslaboren durchgeführt werden, weil dafür infektiöses Virus verwendet wird. „100 Neutralisationstests am Tag wären für uns die maximale Höchstgrenze“, erklärt der Essener Virologe. Aber bis zu 5000 automatisierte Titertests wären im Zentrallabor machbar. Inzwischen wisse man allerdings, dass ein hoher Titer auch für eine große Menge an neutralisierenden Antikörpern spreche. „Das haben wir und andere Labore gemessen, da gibt es einen klaren Zusammenhang.“

Wo bekomme ich einen Antikörpertest?

Beim Hausarzt und in einigen Testzentren wird dafür Blut entnommen; online, in Apotheken, Drogerien oder Supermärkten gibt es auch „Antikörper-Selbsttests“.

Was kosten die Tests?

Die Preise variieren. Im Discounter findet man Tests für 15 bis 20 Euro, in der Kölner Corona-Ambulanz zahlt man 61,54 Euro. Das Testcenter am Westendhof in Essen nimmt 49,90, das des DRK am Flughafen Mülheim 24,90 und das in der Wattenscheider City 39 Euro.

Gilt ein Antikörpertest als Nachweis für 3G-Veranstaltungen?

Nein.

Wie aussagekräftig sind die Tests, was den aktuellen Immunstatus angeht?

Das ist strittig. Sie seien zu wenig aussagekräftig, um daraus Schlüsse ziehen zu können, findet etwa Anke Richter-Scheer, Vorsitzende des Hausärzteverbands Westfalen-Lippe – „aufgrund fehlender Evaluation“.

„Wir erleben gerade, dass sich rund um das Coronavirus Geschäftsmodelle entwickeln, die man definitiv einer genaueren Betrachtung unterziehen sollte“, meint Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO). Vielerorts würden „Antikörperschnelltests“ für 19 Euro beworben, die aus medizinischer Sicht aber nur sehr begrenzt aussagefähig seien. Die Vielzahl an unterschiedlichen Testformaten lasse „bisher keinerlei gesicherte Aussagen“ zu, außerdem bestehe Unklarheit, wo ein Grenzwert zu ziehen ist. Ein Antikörpertest sei eher dazu geeignet, eine bereits durchgemachte Infektion mit dem Coronavirus nachweisen zu können, aber nicht, um den exakten Immunstatus nach erfolgten Impfungen bestimmen zu können.

„Kein Labor kann ihnen sagen, wie hoch der Titer sein muss, damit der Schutz reicht“, glaubt auch Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbands Nordrhein. Bezüglich der Frage, „ob die Impfung noch wirkt“ hätten die Tests „eigentlich keine Aussagekraft“. Sie könnten im besten Fall eine unbemerkt überstandene Infektion aufzeigen.

Der Virologe Dittmer dagegen sagt: Je höher der Titer, desto besser der Schutz vor einer Erkrankung. Wie hoch ist hoch genug? Sicherlich sei „alles über 1000 ordentlich gut und sehr gut noch alles über 500 BAU/ml“. Die „Grauzone“ beginne bei Werten zwischen 100 und 200.

Für wen sind die Tests sinnvoll?

Antikörpertitertests sind inzwischen automatisiert. Im Zentrallabor der Essener Uniklinik können täglich bis zu 5000 durchgeführt werden. Dieses Bild entstand in einem Tübinger Humangenetik-Labor.
Antikörpertitertests sind inzwischen automatisiert. Im Zentrallabor der Essener Uniklinik können täglich bis zu 5000 durchgeführt werden. Dieses Bild entstand in einem Tübinger Humangenetik-Labor. © dpa | Marijan Murat

Insbesondere für Patientengruppen, die nicht so leicht Antikörper bilden können: Organtransplantierte etwa, oder Menschen mit schweren Autoimmunerkrankungen (Lupus) oder bestimmten Krebs-Therapien, erläutert Dittmer. Zur Kontrolle unter anderem bei Nierentransplantierten sollten sie auf jeden Fall gemacht werden. „Bei denen schlägt oft erst die dritte oder vierte Impfung an.“ Im Zuge der Drittimpfungen sind in seinen Augen die Tests aber auch für andere interessant: „Gerade bei alten Menschen nimmt der Antikörpertiter irgendwann ab. Ein Test kann helfen einzuschätzen, ob und wann eine dritte Immunisierung nötig ist.“ Und die habe „ungeheuren Effekt“.

Grundsätzlich, ergänzt der Virologe, „passe“ die Stiko-Empfehlung aber: Die Ständige Impfkommission des RKI rät derzeit Über-70-Jährigen, Pflegeheimbewohnern, Klinikpersonal und Mitarbeiter, die in Einrichtungen mit besonders Gefährdeten zu tun haben, zur Booster-Impfung. „Hier kann man auch ohne Antikörpertest die Drittimpfung sechs Monate nach Zweitimpfung durchführen“, betont Dittmer.

Thomas Preis würde „Patienten mit einer erwartbar besonders schlechten Immunantwort“ den Test „gegebenenfalls“ anraten. Er hält ihn für wissenschaftlich interessant, aber „irrelevant“ für den einzelnen und sein Impfverhalten. „Ein solcher Test verunsichert mehr, als dass er nutzt. Denn der Impfschutz beruht nicht nur auf den gebildeten Antikörpern, sondern auch auf der zellulären Abwehr.“

Was ist mit den T-Zellen?

Tatsächlich zählen auch die in diesem Zusammenhang oft zitierten T-Zellen zu den Virus-Abwehrmechanismen des Immunsystems. Und auch deren Anzahl lässt sich messen. „Allerdings nicht beim Hausarzt, diesen Test gibt es allerhöchstens für Krankenhaus-Patienten“, so Dittmer. T-Zellen schützten zudem auch nicht vor der Infektion, nur vor schwerer Erkrankung.

Wie groß ist die Nachfrage?

„Mäßig“, sagt, Anke Richter Scheer. „Das Interesse ist begrenzt, bei Patienten wie bei Ärzten“, pflichtet ihr Monika Baaken bei, Sprecherin des Hausärzteverbands Nordrhein. Zwar kämen gerade viele ältere Patienten in die Praxen, um zu klären, ob sie schon die dritte Impfung bräuchten. „Das machen Hausärzte aber von der individuellen Situation abhängig, nicht von Tests.“

Als Begründung für eine sofortige Auffrischungsimpfung würde auch Dr. Carsten König, stellvertretender KVNO-Vorstandsvorsitzender und selbst Hausarzt, den Schnelltest keinesfalls gelten lassen. Als Richtwerte dienen ihm die jeweils aktuellen Verordnungen, Erlasse sowie STIKO-Empfehlungen.

Auch in den Apotheken seien Antikörper-Selbsttests „kaum nachgefragt“, berichtet Thomas Preis. Bei sich in Köln hat er nicht einmal welche vorrätig. Das Geld dafür, sagt er, „kann man sich sparen“. „Egal, wie hoch der Titer ist, ich rate allen, denen es die Stiko empfiehlt, und tatsächlich sogar allen über 60 zur Auffrischimpfung. Das ist der richtige Weg.“ Zumal es an Impfstoff „überhaupt nicht mangelt“.

Ein Instrument zur Bewältigung der Pandemie?

Als solches werden flächendeckende Antikörpertests in anderen europäischen Ländern diskutiert. „Wir bräuchten tatsächlich bessere Daten, große repräsentative Studien mit mehreren zehntausend Probanden um herauszufinden, wie viele Menschen Antikörper gegen Sars-CoV-2-Virus haben“, meint Ulf Dittmer. Wie viele der Ungeimpften eigentlich Genesene seien, wisse man in Deutschland gar nicht. „Das gibt die Impfstatistik ja nicht her.“ Dänemark habe diese Daten zur „Sero-Prävalenz“ erhoben und festgestellt: Nicht 80 wie angenommen, sondern über 85 Prozent der Bevölkerung sind immun. Am 10. September fielen in dem Nachbarland deswegen alle Corona-Schutz-Regeln.

>>>INFO: Abwehrmechanismen

„Virus und Immunsystem“, erläutert Prof. Ulf Dittmer, liefern sich einen regelrechten Wettlauf.“ Wer gewinnt, hängt davon ab, wer schneller ist – aber auch von der Menge der „eingetragenen Viruslast“.

In Ischgl, das wisse man inzwischen, erkrankten auch deshalb viele junge, nicht vorerkrankte Menschen schwer, weil ein infizierter Barkeeper „trillerpfeifend“ durch die Menge marschierte und so das Virus sehr effektiv und großzügig verteilte.