Berlin. Was von der Berliner Mauer übrig geblieben ist, müssen Berlin-Besucher vornehmlich hinter Glas oder in Museums-Atmosphäre bewundern. Anfassen verboten. Zum Glück gibt es zwei Berliner, die es geschafft haben, dass die Mauer für Touristen erfahrbar und spürbar bleibt. Anfassen ausdrücklich erwünscht.
Berlin hat ein Problem: Die Mauer ist weg. Natürlich wünscht sich niemand den Grenzwall zurück, der Ost und West drei Jahrzehnte getrennt hat. Aber es existieren nur noch wenige authentische Mauer-Abschnitte – und das ist aus touristischer Sicht bedauerlich. Denn gerade in diesem Herbst strömen die Besucher in die Hauptstadt, um zu erleben, was damals zerfiel und jetzt eben nicht mehr da ist.
Vor 25 Jahren, am 9. November 1989, stürzte die Mauer quasi über Nacht ein. Was übrig geblieben ist, müssen Berlin-Besucher vornehmlich hinter Glas oder in Museums-Atmosphäre bewundern. Anfassen verboten. Zum Glück gibt es zwei Berliner, die es geschafft haben, dass die Mauer für Touristen erfahrbar und spürbar bleibt. Anfassen ausdrücklich erwünscht.
40.000 Euro für einen alten Wachturm
Jürgen Litfin und Jörg Moser-Metius haben zwei Wachtürme gerettet, auf denen DDR-Grenzer Zwölf-Stunden-Schichten schieben mussten, um Republikflüchtlinge zu erspähen. Das ist schon deswegen eine bemerkenswerte Leistung, weil beide Bauwerke noch an den Original-Plätzen stehen – gegen den Willen von Wohnungsbau-Gesellschaften und Architekten. Folglich muss man auch ein bisschen suchen, denn offizielle Wegweiser sind entweder rar gesät oder gar nicht vorhanden – wie beim Turm von Jörg Moser-Metius, der im Schatten der Wolkenkratzer am Potsdamer Platz steht.
Veranstaltungen rund ums Mauerfall-Jubiläum
Lichtinstallation: Vom 7. bis 9. November steht eine Lichtinstallation im Mittelpunkt der Gedenkveranstaltungen zum Mauerfall-Jubiläum. 8000 erleuchtete Ballons werden auf 15 Kilometern den zentralen Mauerverlauf nachbilden, entlang der Lichtgrenze zeigt eine Open-Air-Ausstellung der Robert-Havemann-Gesellschaft „Mauergeschichten“. Am 9. November sollen sich die Ballons dann in den Himmel erheben.
Günter-Litfin-Turm: Günter-Litfin-Turm ( 030/23 62 61 83, gedenkstaetteguenterlitfin.de) ist sonntags bis donnerstags (nach Anmeldung), der Grenzwachturm am Potsdamer Platz (www.berlinwallexpo.de) täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Veranstalter: Hafermann Reisen ( 0800/2 00 00 55 50, www.hafermannreisen.de) bietet eine viertägige Busreise „25 Jahre Mauerfall in Berlin“ ab 319 Euro pro Person.
Kontakt: Visit Berlin, 030/25 00 23 33, www.visitberlin.de
Hier gibt es eine Übersicht zu allen Veranstaltungen sowie Empfehlungen zu historischen Orten. Auch Hotels und weitere Unterkünfte sind online gelistet.
Schon lange hat er dem Bezirksamt Mitte, mit dem er einen Überlassungsvertrag für den Wachturm ausgehandelt hat, abgerungen, dass man Wegweiser installiert, die auf das DDR-Relikt hinweisen. „Aber das dauert – wie alles in Berlin.“
Auch er hat ja ein bisschen gebraucht, bis er aktiv wurde. Zehn Jahre lang ist er zum Potsdamer Platz gefahren, um Besuchern den Turm zu zeigen. Zum Schluss war dessen Zustand so erbärmlich, dass sich Moser-Metius entschied, ihn zu retten. Etwa 40.000 Euro habe ihn die Aktion gekostet. Er hat parallel beim Institut für Denkmalpflege und in der Stasi-Unterlagen-Behörde recherchiert, um möglichst viel über seinen Rundblickbeobachtungs-Turm BT6 zu erfahren.
Blick auf 250 Meter Todesstreifen mit Panzersperren
Der Turm gehört zur ersten Generation aus Beton, die in die Todesstreifen gepflanzt wurden. Senkrechte Leitern führen nach oben. Es ist dunkel, kalt und so eng, dass immer nur einer empor klettern kann. Weder Sanierung noch frische Morgenluft konnten den Mief aus altem Teppich und modrigen Wänden vertreiben, den schon die DDR-Grenzer einsogen, die dort in Zweierteams ihre Schichten leisteten. Über die großen Fenster hatte einer immer „feindwärts“, der andere „freundwärts“ zu blicken.
Heute sieht man nur noch Bürowände und Straßenschluchten, aber Moser-Metius hat Bilder mitgebracht, um die Lage von damals zu verdeutlichen: Der Potsdamer Platz – nichts mehr als eine grüne Wiese, umgeben von der stattlichen Westmauer. Dazwischen 250 Meter Todesstreifen mit Panzersperren und teils perfiden Fluchtverhinderungs-Elementen. Harmlos waren Sandstrecken, auf denen sich jeder Fußabdruck eines Flüchtigen ablesen ließ, und die weiße Mauer, um verdächtige Kontraste zu erspähen, im Vergleich zu den Spargelmatten. Falls ein „Vaterlandsverräter“ von der Mauer sprang, landete er in den senkrecht aufgestellten Lanzen, die ihr Vorbild im Mittelalter hatten.
"Der Dienst hier war der Horror"
Moser-Metius hat auch mit ehemaligen Grenzsoldaten gesprochen. „Der Dienst hier war der Horror. Wer nicht geschossen hätte, wäre in den Knast gewandert“, fasst er zusammen und steigt runter. Es wirkt wie eine Befreiung, wenn man wieder aus dem Dunkel heraus tritt.
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Der ehemalige Grenzübergang unweit des Wachturms ist ein guter Einstieg in den klassischen Mauer-Rundgang, den fast alle Berlin-Touristen beschreiten. Mauermuseum und -park, symbolischer Mauerweg und Gedenkstätten schließen sich an. Aber eben kaum Original-Mauer. Die Reste sind hinter Glas oder Zaun, werden von Graffitis befreit und von Restauratoren in Museums-Manier gepflegt.
167,8 Kilometer Betonwand schlängelten sich einst um West-Berlin. Noch in der Nacht der Öffnung vom 9. auf den 10. November 1989 begannen die Menschen, der Mauer mit Hammer und Meißel den Garaus zu machen. Der offizielle Abriss endete ein Jahr später am 30. November. Kleine Souvenirs landeten in Vitrinen in aller Welt, größere Segmente sicherten sich etwa der US-Geheimdienst CIA oder der Vatikan. Die verhackstückelte Mauer wurde zum großen Geschäft. Sogar einige der rund 300 Wachtürme wurden im Internet versteigert und verschiff.
"Die hätten alle vorbeizielen können"
Der Turm von Jürgen Litfin hat alles unbeschadet überstanden. Eine Wohnungsbau-Gesellschaft wollte ihn platt machen, weil er das Bild zwischen den Neubauten am Spandauer Schifffahrtskanal und dem Bundeswehr-Krankenhaus störte. Litfin kämpfte jahrelang, errang einen juristischen Sieg und richtete nach der Renovierung mit Spendengeldern vor mehr als zehn Jahren ein Museum ein, das an seinen Bruder Günter erinnert. Er war der erste Mauertote am 24. August 1961. Kurz vorher hatte Honecker per Geheim-Dekret den Schießbefehl erlassen, wie ein Original-Dokument zeigt. Jürgen Litfin bekam wertvolles Material aus Archiven, denn er hat einen guten Draht zur Politik. Sein Vater war Mitbegründer der CSU, er selbst kam 1980 wegen Beihilfe zur Republikflucht in den Knast, wurde von der Bundesrepublik aber frei gekauft.
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Beim Litfin-Turm handelt es sich um das Modell „Führungsstelle“: Hier schlug der Alarm an, wenn jemand die Signalzäune berührte. Es ist ein großes Bauwerk mit zwei Stockwerken und mehr Platz. Litfin will an diesem Original-Schauplatz das Opfer-Täter-Verhältnis verdeutlichen. Er hat Tränen in den Augen, als er demonstriert wie die Grenzer durch die acht Schießscharten in alle Richtungen feuern konnten. „Die hätten alle vorbeizielen können oder ins Bein.“ Er spricht von 17 000 Grenzsoldaten, die selbst getürmt seien, weil sie „in diesem Unrechtsstaat nicht leben wollten“.
Wie viele Menschen durch Kugeln starben, die aus diesem Turm abgefeuert wurden, konnte Litfin nicht recherchieren. 172 Mauertote hat es nach seiner Zählung gegeben. „Wir dürfen das nie vergessen.“ Deswegen hat Litfin Gedenksteine und -veranstaltungen initiiert, für die Günter-Litfin-Straße in Berlin gekämpft. Im Turm macht er mehrere Führungen pro Tag. Am Ende jeder Tour steht er vor den Bildern zweier junger Männer: Auf einem ist sein Bruder Günter zu sehen – der erste Mauertote. Vom anderen blickt Chris Gueffroy, versehen mit dem Datum 5. Februar 1989. Er war das letzte Opfer. Neun Monate später fiel die Mauer.