New York. . In New York eröffnet das Museum zu den Anschlägen vom 11. September 2001. Dabei spürt man, wie frisch die seelischen Wunden bei den Menschen noch sind. Die Ausstellungsstücke lösen Debatten aus: Darf man die Fotos der Attentäter zeigen? Und darf man im Museum die menschlichen Überreste der Opfer bewahren?

Der Eingangs-Pavillon zur schwierigsten neuen Attraktion New Yorks könnte auch ein großspurig geratener Zugang zu einer Tiefgarage sein. Fast richtig. Was die norwegischen Architekten von Snohetta, die einst Oslos Opernhaus mit weißem Carrara-Marmor wie einen glitzernden Eisberg aussehen ließen, aus Glas und Stahl auf die Oberfläche gesetzt haben, wird bald für Hunderttausende als Schleuse für den Abstieg in eine Unterwelt dienen, die wohl jeden Besucher anders ausspuckt als sie ihn hineingelassen hat.

Das fängt schon an mit dem Weg dahin. Die Architekten um Davis Brody Bond haben die seinerzeit aus der Trümmergrube führende Rampe, über die Tausende Lkw vor den Augen der New Yorker den Schutt der Katastrophe des 11. Septembers 2001 auf die angrenzenden Deponien karrten, in das Objekt integriert. Schritt für Schritt führt sie den Besucher vorbei an zwei dreizackigen Stahl-Pfeilern, 50 Tonnen schwer, die einst die Original-Fassade der von Minoru Yamasaki entworfenen Türme des World Trade Centers stützten, hinab auf den Felsenboden Manhattans. Tiefer wird’s nicht. Ground Zero.

Das erste, was hier ins Auge fällt, ist eine 18 Meter hohe Wand. Die „Slurry Wall“, die als Dichtungsmauer gegen die Wassermassen des nahen Hudson Rivers dient, hat den Einsturz der Türme ausgehalten. Sie steht bis heute wie ein Bollwerk für den unbeugsamen Willen einer Stadt, die 13 Jahre danach eine beispiellose Mischung aus Mahnmal, Gedenkstätte, Dokumentationszentrum, Friedhof, Krypta und zeitgeschichtlichem Themenpark eröffnet: das „National September 11 Memorial Museum“.

Ob der Besuch lohnt? Na klar.

Die Macher standen von Beginn an vor Hindernissen. Das größte: Diese Stätte des Erinnerns befindet sich eben nicht an einer behutsam im Konsens ausgesuchten Stelle. Sondern am Tatort eines der größten Verbrechen der neueren Geschichte. Dazu kommt: Zwei Milliarden Menschen weltweit hatten das Kollabieren der Bürosilos, ausgelöst durch von islamistischen Terroristen zu Massenvernichtungswaffen entfremdete Passagierflugzeuge, mehr oder weniger in Echtzeit am Fernseher mitverfolgt. Was eigentlich will man ihnen noch zeigen, was ihnen der mediale Overkill danach nicht schon tausendfach beschert hat?

Das Herzstück des auf 11 000 Quadrametern beherbergten Museums ist eine bauliche und gedankliche Fortsetzung dessen, was seit 2011 oberirdisch zu sehen ist. Nach den Vorstellungen des Architekten Michael Arad wurden dort über den Grundrissen der Zwillingstürme quaderartige Löcher installiert, an deren Rändern fortwährend Wasser in ein dunkles Nichts hinabstürzt. Das Museum, jedenfalls die zentralen Bereiche, liegt exakt unter diesem Nichts: in den jeweils 63 Meter langen architektonischen Fußabdrücken der Türme.

2983 Fotos der Opfer von 9/11

Unter dem ehemaligen Südturm wird das Erinnern bis zur Schmerzgrenze konkret. 2983 Opfer-Fotos, jedes für sich ein Unikat der Schmelztiegel-Gesellschaft New Yorks, entfalten beim Vorübergehen eine ungeheure Wucht. Was Angehörige in Audio-Dateien über ihre Liebsten zu sagen haben, schnürt einem nicht selten die Luft ab. Der Künstler Spencer Finch hat die Tragödie auf seine Art behandelt. Mit 2983 unterschiedlich blauen Papierbögen. Sie erinnern an den Sonnenhimmel über Manhattan. Bevor das erste Flugzeug in einem Feuerball pulverisiert wurde.

Der „footprint“ des Nordturms beheimatet den musealen Teil: die Chronologie der Anschläge im multimedialen Minutentakt. Hintergründe, Reaktionen, Stimmen, Abschiedsbriefe, Hilferufe. Reizüberflutung pur. Wer hier durch die hohen Hallen läuft, muss an jeder Ecke auf eine Inszenierung gefasst sein, die einem den Magen verknotet. Bestürzende Einbauten am laufenden Band.

Beispiele: Da ist die berühmte Treppe an der Vesey Street. Wer die direkt neben dem stummen Exponat extra installierte Rolltreppe hinuntergleitet, sieht vor dem geistigen Auge die Hundertschaften vor sich, die damals schreiend und verzweifelt über die ausgetretenen Stufen den Weg ins Freie fanden, bevor eine Wand aus Staub und Trümmern alles unter sich begrub. Da ist der Feuerwehrwagen, der „Ladder 3“, dem das Hinterteil fehlt, als hätte Godzilla hineingebissen. Da ist ein verrostetes Stück der Antenne des Nordturms, das wie eine kleine Astronautenkapsel wirkt. Da sind von der Hitze zu Klump verbogene Fassaden-Stücke, die wie Skulpturen von Modigliani anmuten. Da ist ein schwarzer Damen-Wildlederschuh, auf dem noch der weißgraue Staub von damals liegt. Eins von 10 000 Exponaten, 24 000 Fotografien, 500 Stunden Film- und Videomaterial und zwei Millionen Schriftstücken, die Zeugnis abgeben darüber, wie sehr wir uns „hier integriert haben“.

Die emotionale Erschöpfung nach so vielen Jahren

Wer in den vergangenen zwei Jahren häufig mit New Yorkern zu tun hatte, spürte früh die Ambivalenz. „Erklär mir nicht, worüber ich trauern soll und wie“, sagen Leute wie Brooks Sheldon; voller Stolz und der Verletztheit des Dabeigewesenen. Andere, wie Lucy Cramer, bekannten sich ohne Umschweife zu ihrer emotionalen Erschöpfung nach so vielen Jahren: „Hey, ich kann es einfach nicht mehr hören und sehen.“ So als wären die Narben von 9/11 höchstens oberflächlich verheilt.

Apropos: Wer es im Museum bis zu der Wand geschafft hat, auf der in großen Buchstaben ein Vers von Vergil zu lesen ist („Kein Tag wird euch je aus dem Gedächtnis der Zeit löschen“), der hat die heikelste Zone erreicht. Dem Betrachter bleibt verborgen, was bis zuletzt debattiert wurde: ein großer Raum mit Tausenden bis heute nicht identifizierten menschlichen Überresten, zu dem allein die Angehörigen Zugang haben. Und die Forensiker, die mit Hilfe von kleinsten Fetzen verbrannten Fleisches Familien Gewissheit verschaffen wollen. Und Seelenfrieden.

Für Michael Bloomberg ist das von herausragender Bedeutung. Der ehemalige Bürgermeister, ein Milliardär, hat 15 Millionen Dollar aus der eigenen Tasche an die Museums-Stiftung gezahlt. Sein Wunsch: Ein Besuch möge die „besseren Eigenschaften in uns Menschen aktivieren“. Aber was macht man mit den anderen Eigenschaften? Darf man die Übeltäter von 9/11 zeigen? Muss man es gar – und wenn ja, wie, damit sich niemand emotional vor den Kopf getreten fühlt? Alice Greenwald hat einen umstrittenen, gleichwohl eleganten Weg gefunden. Opfer-Bilder hängen; demonstrativ groß. Mohammed Atta & Co., die Todespiloten, liegen flach und klein in gläsernen Vitrinen. Wer sie nicht sehen will, weil er es nicht ertragen kann, der muss es nicht.

Kein schlechter Moment, um den Rückweg aus den Katakomben von 9/11 anzutreten. Denn unter Tageslicht fällt der erste Blick durch die Scheiben des Eingangs-Pavillons auf Daniel Libeskinds Freedom Tower. Ein Trumm der Gigantomanie, aus Symbolismus-Sucht, auf 541 Meter getrieben, obwohl die Original-Zwillingstürme des World Trade Centers doch viel niedriger waren. Vor dem, was sich am Boden abspielt, kommt einem dieser prahlerische Glitzerkasten winzig klein vor.