Essen. Laut des Antarktisvertrags gehört die südliche Eiswüste Niemandem auf der Welt. Allerdings besteht die Möglichkeit, das kalte Niemandsland auf Expeditionen zu erleben: Achim Faust war in der Antarktis unterwegs. Von Feuerland, knapp 3000 Kilometer von Buenos Aires entfernt bis in die Drake Passage.

Tag 1: Feuerland
„Polarexpeditionen sind der direkteste und absonderlichste Weg zugleich, der je ersonnen wurde, eine grässliche Zeit zu erleben.“
Apsley Cherry-Gerrard, britischer Polarforscher
So viele Kilometer liegen schon hinter uns, Tausende sind es bis nach Buenos Aires. Es geht nach Süden, immer nur nach Süden. Von Argentiniens Hauptstadt sind es noch einmal knapp 3000 Kilometer nach Ushuaia auf Feuerland. Und die eigentliche Reise beginnt erst hier: Antarktika ist das Ziel.

Oh ferner, fremder Kontinent aus Eis. Für dessen Entdeckung, Erforschung und Vermessung die Menschen einst ihr Leben riskierten. Männer, die – so ehrlich müssen wir alle an Bord der Fram sein – weitaus abenteuerlicher unterwegs waren als wir es nun sind, rund 100 Jahre später.

Auf den Spuren von Roald Amundsen, der am 14. Dezember 1911 als erster Mensch den Südpol erreichte. Ein Abenteuer ist es trotzdem auch für uns. Auf einer Expeditions-Seereise kann schließlich alles passieren. „Grässlich“ wird’s aber wohl nicht.

Tag 2: Drake Passage
„Jeder, den es in die Antarktis zieht, spürt eine gewaltige Anziehungskraft, eine unvergleichliche Mischung aus Erhabenheit, Schönheit, Weite, Einsamkeit und Feindlichkeit.“
Kapitän T.L.M.Sunter
Die Naturgewalten sind uns zunächst wohl gesonnen: Die wegen ihrer meterhohen Wellen gefürchtete Drake-Passage, zwischen Kap Hoorn und der antarktischen Halbinsel, ist leicht zu überwinden: Neptun hält ein Schläfchen. Wir können unseren Gedanken nachhängen, uns kritisch hinterfragen: Wir wollen entdecken und könnten so einer noch heilen Welt Schaden zufügen.

Die Pole unserer Erde - Faszination ewiges Eis

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Foto: Knut Vahlensieck
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V on Kontrolle und Reglement spricht Stephan Stoll aus dem Hurtigruten-Expeditionsteam. Pinguine, ihre Brut, die Landschaft – alles stehe unter strenger Beobachtung, reagiert werde auf kleinste Veränderungen. Damit die Antarktis und ihre Bewohner so bleiben können wie sie sind. Aus Entdeckern sollen Botschafter werden. Um es mit Stephan Stoll zu sagen: „Der Mensch mag nur das wirklich schützen, was er gesehen und kennengelernt hat.“

Tag 3: Half Moon Island
„Ich hatte das Gefühl, als wäre ich auf einen anderen Planeten oder in ein anderes Erdzeitalter geraten, von dem der Mensch kein Wissen, an das er keine Erinnerung hat.“
Admiral Richard E. Byrd, amerikanischer Polarforscher
Was ist das für ein Gefühl, wenn man etwas zum ersten Mal erlebt? Immer ist es schwer zu beschreiben. Nun also die ersten Pinguine, die durchs Meer gleiten. Die ersten Eisberge, der erste Wal. Die Fram erreicht die Südshetlandinseln. Genauer: Half Moon Island.

Das winzige, wie ein Halbmond geformte Eiland, schmiegt sich an die wesentlich größere Livingston-Insel, deren Gletscher zum Greifen nah sind. Wir sind angekommen im ewigen Eis. Überwältigend die Landschaft, atemberaubend die Stille. Und das Gefühl? Irgendwie erhaben eben. Wir verlassen die Fram, die uns in menschenfeindlicher Umwelt Schutz bietet, und stehen kurze Zeit später in einer Kolonie von Zügelpinguinen.

Sie haben immer Vorfahrt, fünf Meter sollen wir Abstand halten. Nur halten sich die Pinguine nicht daran. Sie haben uns in ihre Kolonie aufgenommen. Doch wir müssen weiter, beseelt von dem Gedanken, mehr zu entdecken.

Tag 4: King George Island
„Die Antarktis wird nur für friedliche Zwecke genutzt.“

Artikel I des Antarktisvertrages

Unsere Expedition muss einen Rückschlag verarbeiten: Ein Krankheitsfall zwingt die Fram zum Kurswechsel, wir steuern die King George Island (Südshetlands) an. Hier gibt es einen Flughafen und somit eine schnelle Verbindung zu medizinischer Versorgung, die manchmal nötig wird, in der Antarktis aber nicht mehr möglich ist.

Die Frei-Station ist einer der letzten größeren Außenposten einer Welt wie wir sie kennen. Hier forschen Staaten, zeigen Präsenz. Die wirtschaftlichen Interessen sind groß. Vor genau 65 Jahren wurde der Antarktisvertrag beschlossen, der diesen fantastischen Kontinent schützt. Die Antarktis gehört niemandem. Noch.

Ein paar Menschenseelen leben an der Frei-Station. Chilenen und Russen. Nebeneinander, die meisten für ein Jahr, ohne Heimaturlaub. Blickfang: Eine katholische und eine russisch-orthodoxe Kirche. Die Menschen haben hier nicht viel mehr als ihren Glauben. Und einen sehr breiten Flachbildschirm.

Tag 5: Deception Island
„Männer für gefährliche Reise gesucht. Geringer Lohn, bittere Kälte, lange Monate kompletter Dunkelheit, ständige Gefahr, sichere Rückkehr ungewiss. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall.“
Sir Ernest Henry Shackleton, britischer Polarforscher
Die Fram nimmt Kurs auf Deception Island. Eine Caldera, wie ein Hufeisen geformt, weil der Kraterrand eine Öffnung hat: So konnte das Meer hineinfließen, so zwängt die Fram sich hindurch. Durch „Neptuns Blasebalg“.

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Im Innern: Stille. Düster ist die Stimmung, mystisch. Whalers Bay liegt verlassen da, hier wurden in früheren Zeiten Wale gefangen und abgeschlachtet. Berichte sind überliefert, nach denen das Meer blutrot gefärbt war, man über die Kadaver trockenen Fußes vom Schiff ans Ufer hätte gelangen können. Bilder spuken im Kopf herum.

Tag 6: Wilhelmina Bay/Cuverville Island
„Eis kann man nicht besiegen.“
Peter Hoeg in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“
Wir erreichen die antarktische Halbinsel und ihre Inselwelten, die sie umgeben. Ein vom Menschen noch weitestgehend unbeeinflusster Kontinent, und das sieht man ihm – Gott lob – auch noch an. Das Schiff durchquert Wilhelmina Bay: Spektakulär das Auftauchen der Buckelwale, die sich, mit der berühmten Schwanzflosse zuletzt, wieder in die Tiefen verabschieden. Welch’ Schauspiel!

Den wirklichen Abenteurern blieb für den Genuss des Augenblicks kaum Zeit. Da haben wir es besser. Wir wollen noch näher an Elemente und Tiere heran, uns zieht es ins Schlauchboot. Hier unten, direkt über der Wasseroberfläche, erfahren wir alles noch intensiver. Erkennen, welch’ Farbenspiel Eisberge beherrschen. Und wie dumm ein Seeleopard aus der Wäsche schauen kann. Überall Eis. Unbesiegbar.

Tag 7: Auf dem Festland
„Seit meiner Kindheit träume ich davon, den Nordpol zu erreichen. Nun stehe ich am Südpol.“
Roald Amundsen, norwegischer Polarforscher und Entdecker
Es ist es soweit: Wir betreten antarktisches Festland. Erklimmen Berge und genießen fantastische Ausblicke. Rutschen auf dem Hosenboden wieder hinunter, erfreuen uns an der Gastfreundschaft der Pinguine, an der Neugier ihrer Küken. Einer der Orte heißt „Paradise Bay“. Wie treffend.

Dann: Ein Donnern in den Bergen, Eis knackt. Gletscher kalben, Eisbrocken krachen ins Meer. In der Antarktis ist das im Übrigen kein Zeichen von Klimawandel. Von hier aus könnte man starten, über Land bis zu dem Punkt wandern, an dem es kein „nach Süden“ mehr gibt: bis zum Südpol. Doch es geht nicht mehr weiter. Die Fram muss zurück nach Norden.

Tag 8: Drake Passage
„Für abgrundtiefes Elend gib mir einen Wirbelsturm, nicht zu warm, (...) und einen Anfall von Seekrankheit.“
Apsley Cherry-Gerrard, britischer Polarforscher
Wie gerne wären wir weiter nach Süden vorgestoßen, wie gerne würden wir noch einmal zurückkommen in die Antarktis.

Es bleibt aber wohl ein im wahrsten Sinne des Wortes „einmaliges Erlebnis“. Die Drake Passage hält diesmal, was sie verspricht. Das Meer türmt sich auf – Neptun ist wach, grüßt zum Abschied.