Kiel. Noch nie haben die Deutschen mehr Urlaubsreisen gemacht als im vergangenen Jahr. Warum das so ist, und warum wir immer kürzer in Urlaub gehen, erklärt Prof. Martin Lohmann von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen im Interview. Er bestätigt, Reisen ist den Deutschen nach wie vor sehr wichtig.
Nicht einmal mehr zwei Wochen dauert der Haupturlaub der Deutschen. Der Wert geht seit vielen Jahren nach unten. Aber jetzt ist der Tiefpunkt erreicht, glaubt Prof. Martin Lohmann, einer der Verantwortlichen der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, die auf der Reisemesse ITB (Publikumstage: 8./9. März) in Berlin vorgestellt wurde.
Die Deutschen sind seit Jahren in unverändert guter Reiselaune, auch bei den Lieblingszielen tut sich kaum etwas. Wird Ihnen da als Tourismusforscher nicht langweilig?
Prof. Martin Lohmann: Im Gegenteil. Die extrem hohe Stabilität unter sehr wechselnden Rahmenbedingungen ist sehr interessant. Die Deutschen verreisen, egal ob es wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme gibt oder nicht. Das weist darauf hin, dass Reisen und Urlaube für die Deutschen einen sehr hohen Stellenwert besitzen.
Warum ist den Deutschen das Reisen so wichtig?
Lohmann: Die Motive sind vielfältig. Da lassen sich natürlich nicht alle Leute über einen Kamm scheren. Reisen ist eine hervorragende Möglichkeit, aus dem Alltag herauszukommen, Entspannung zu finden, die man in den eigenen vier Wänden nicht hätte. Man lernt etwas von der Welt kennen aus eigener Anschauung, was auch die Neuen Medien nicht ersetzen können.
Die Rahmenbedingungen stimmen ja auch. Die Wirtschaft läuft gut...
Lohmann: Das Wesentliche ist die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Lage, sprich, wie beurteilen die Menschen ihre eigene Situation. In den Jahren der Finanzkrise waren die Bundesbürger durchaus etwas skeptischer, das hätte riskant für die Urlaubsnachfrage werden können. Aber selbst damals verreisten die meisten dann doch. Und jetzt schauen viele mit großer Zuversicht auf die wirtschaftliche Entwicklung. Vor allem die längere Urlaubsreise im Sommer hat einen immens hohen Stellenwert. Einen Kurzurlaub lassen die Deutschen dann doch eher mal weg.
Aber auch die lange Urlaubsreise wird kürzer. Warum?
Lohmann: Die Urlaubsreisedauer ist im vergangenen Jahr noch einmal um 0,2 Tage zurückgegangen. Die meisten Urlaube dauern zwei Wochen, das ist zu so etwas wie einer Standardlänge geworden. Da wird sich auch in Zukunft wenig ändern. Aber richtig ist, dass es langfristig eine Veränderung gegeben hat vom dreiwöchigen Urlaub zum zweiwöchigen - aber das ist eben eine Entwicklung über rund 30 Jahre.
Wird es in Zukunft noch kürzer?
Lohmann: Die ganzen Zahlen muss man differenziert sehen. Wir haben sehr unterschiedliche Situationen je nach Reiseziel. Ich mache mal ein Beispiel: In Österreich haben die Reisen im Winter eine immer stärkere Bedeutung. Die Winterreisen sind aber eher zusätzliche Reisen. Sie sind kürzer als die Sommerreisen. Der Sommer spielt in Österreich keine so große Rolle mehr. Also sinkt der durchschnittliche Wert deutlich. Im Mittelmeerraum dagegen, wo die Art der Reise weitgehend gleichbleibt, ist die Reisedauer seit vielen Jahren konstant. Die Verkürzung der Reise ist also ein Ergebnis davon, dass sich die Struktur des Reisens verändert hat. Es ist nicht zu erwarten, dass der Sommerurlaub irgendwann weniger als eine Woche dauern wird.
Wie steht es um die Kurzreisen?
Lohmann: Kurzurlaube sind kein Ersatz für längere Reisen, sondern eine Ergänzung. Wer eine längere macht, macht auch eine kurze. Aber hier haben wir bei weitem keine so stabile Situation wie bei längeren Reisen. Viele Faktoren spielen hier eine Rolle: Wie liegen die Feiertage, wie ist das Wetter, was ist im Portemonnaie?
Die Rangliste der beliebtesten Urlaubsziele hat sich kaum verändert. Warum fahren die Deutschen immer an die gleichen Ziele.
Lohmann: Das tun sie nicht. Deutschland ist zwar insgesamt gesehen weiter das beliebteste Urlaubsziel. Dahinter folgen Spanien, Italien, Türkei. Aber schaut man auf das Individuum, ist die Situation eine ganz andere. Deutlich über ein Drittel der Reisen geht zu einem Ziel, wo der Reisende vorher noch nie war. Der Einzelne probiert also durchaus gerne mal etwas Neues aus. Der Durchschnittsbürger interessiert sich für sieben unterschiedliche Reiseziele. Das führt auch dazu, dass Krisen in einzelnen Ländern nicht zu einem Rückgang der touristischen Gesamtnachfrage führen.
Wie steht es um die Krisenländer?
Lohmann: In Griechenland hat die Nachfrage im Grunde schon 2012 wieder angezogen. Das Land ist in einer Situation, dass es touristisch so viel zu bieten hat, was Deutsche schätzen: Klima, Kultur, Kulinarik. Sobald die Rahmenbedingungen stimmen, kommen die Deutschen zurück.
Gilt das auch für Ägypten?
Lohmann: Ja - vielleicht nicht ganz so rasch wie in Griechenland, weil in Ägypten mehr Vermarktungsstufen dazwischen liegen. Zum Beispiel planen Kreuzfahrtreedereien langfristig ihre Routen. Aber wenn das Land grundsätzlich Stabilität zeigt, wird es dort sicher bald wieder nach oben gehen.
Gibt es auch eine Gewinnerdestination?
Lohmann: Ein Beispiel ist Kroatien. Das Land etabliert sich wieder als die Urlaubsdestination, die es vor dem Jugoslawien-Krieg bereits war. Da gibt es eine ziemliche klare Nachfrage aus dem Süden von Deutschland. Kroatien ist mittlerweile ein wichtiges Pkw-Reiseziel geworden.
Und Städtereisen? Da hat sich nach Ihren Zahlen die Nachfrage seit dem Jahr 2000 verdoppelt...
Lohmann: Da habe ich persönlich auch immer gedacht, da muss doch irgendwann mal Schluss sein. Aber viele der Kurzurlaube sind eben Städtereisen. Ein wichtiger Grund für den Boom sind die guten Verkehrsverbindungen.
Die Städte bauen natürlich ihre Angebote auch immer weiter aus...
Lohmann: Vieles ist angebotsgetrieben. Die Städte widmen sich viel stärker als früher dem Tourismus und haben das als wichtigen Wirtschaftsfaktor erkannt. Dafür tut man etwas mit Events oder städtegestalterisch. Das gilt nicht nur für Metropolen, auch andere Städte strengen sich sehr an. (dpa)