Dublin.

Irland trinkt schwarz – und das wohl noch die nächsten 8750 Jahre. Denn so lange gilt der Pachtvertrag, den Arthur Guinness für seine St. James’s Gate Brauerei im Herzen Dublins 1759 unterzeichnet hat. Das Guinness Storehouse ist inzwischen mit einer Million Besuchern jährlich nicht nur die beliebteste Touristenattraktion des Landes. Das schwarze herbe Bier ist auch ein Stück irische Identität. Man könnte fast sagen, es ist so dunkel, traurig und melancholisch wie die irische Musik.

„In der Zeit der Verfolgung durch die Briten vom 15. bis zum 17. Jahrhundert waren Religion und Musik die einzigen Dinge, die die Iren zusammengehalten und ihre Kultur am Leben erhalten haben“, erzählt Stadtführer und Historiker Pat Liddy. „Deshalb ist diese Musik so traurig – sie erzählt von Tod und Verlust.“ Eine Charakterisierung, die nicht gerade für ein fröhliches Festival spricht. Doch genau das veranstaltet eine Initiative seit nunmehr neun Jahren im Dubliner Stadtviertel Temple Bar.

Die Pubs haben Anziehungskraft

Der einstige Hafenbezirk gehörte zu den heruntergekommenen Gegenden der Stadt und stand kurz vor dem Abriss. Doch als die Regierung Anfang der 90er Jahre mit Steuervergünstigungen und niedrigen Mieten mittellose Künstler herlockte, begann die Erfolgsgeschichte von Temple Bar.

Inzwischen reihen sich hier Theater, Galerien und kleine Boutiquen mit bunten Fassaden und Schornsteinen aus Backstein aneinander. Touristen kommen wegen der 20 Pubs, die sich auf engem Raum drängen und allabendlich traditionelle irische Live-Musik bieten.

Fünf Nächte lang über 200 Events

Das Temple Bar TradFest nutzt diese Voraussetzung, um einmal im Jahr fünf Nächte lang über 200 Events zu veranstalten. Mit einem Mix aus Straßenkunst, Tanz, Film, Kultur und Musik ist es mittlerweile zu einem der größten und besten Musik- und Kulturfestivals des Landes geworden. Irische Ikonen wie die „Dubliners“ treten hier ebenso auf wie aufstrebende Talente.

Und so lauschen die Zuhörer auf knarrenden Kirchenbänken melancholischen Liebesliedern in der stimmungsvoll beleuchteten alten St. Werburghs Kirche, wippen im Brazen Head, dem ältesten Pub Irlands, zum Takt des Banjos oder tanzen in einer Whisky-Bar zu Gitarre, Violine und Bandoneon. „Die fröhliche Musik ist eher etwas Modernes“, gibt Pat Liddy zu, der seit 69 Jahren in Dublin lebt. „Aber die Iren bringen immer ein, zwei traurige Elemente ein – nur für die Balance.“

Ambivalenz der Irischen Seele

Es ist eine Balance, die sich durch die ganze Stadt zieht: Dublin ist wie ein Gesicht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Am dunklen Liffey, der die irische Metropole durchfließt, stehen die ausgezehrten Denkmäler für die Opfer der großen Hungersnot im 19. Jahrhundert.

Gleich um die Ecke zeichnen die berühmten Dubliner Haustüren bunte Farbkleckse in den grauen Winter. Und am Merrion Square scheint Oscar Wilde, der sich in Stein gemeißelt seinem ehemaligen Wohnhaus gegenüber auf einen Granitblock fläzt, die Ambivalenz der irischen Seele zu personifizieren: Von der Seite betrachtet grinst der große irische Schriftsteller noch, erst bei der Frontalansicht zeigt sich sein mürrisch-missbilligender Blick.

Guinness ist meistgetrunkene Bier Irlands

Die Statue wurde von der Guinness-Gruppe in Auftrag gegeben, so wie auch die Umgestaltung von St. Stephen’s Green, einer Oase inmitten der Dubliner Innenstadt, einst von Arthur Guinness bezahlt wurde. „Die Guinness Familie hat viel für diese Stadt getan“, sagt auch Pat Liddy.

Wenn sich abends die Straßen von Temple Bar mit fröhlich lärmenden Menschen füllen, ist deshalb eines immer mit dabei: das meistgetrunkene Bier Irlands. Vier Millionen Pints Guinness, je ein halber Liter, werden tagtäglich in der Dubliner Brauerei abgefüllt. Im angeschlossenen Museum wird gezapft, an den Zutaten geschnuppert und in der hauseigenen, holzvertäfelten Bar serviert Bio-Chemiker Aaron Ridgeway sogar echte Spezialitäten wie das „Black Lager“, das man sonst nirgendwo in Europa bekommen kann. Der 25-Jährige mag für die Barkeeper-Tätigkeit überqualifiziert sein, doch schon sein Großvater hat für die Brauerei gearbeitet – und so ist Guinness eben ein Stück Heimat.