Torfhaus. Echte Wildnis vermutet der gemeine Deutsche eher in Alaska. Doch auch vor den eigenen Haustür findet man noch unberührte Natur, Urwälder und Moore, die noch genauso aussehen, wie nach dem Ende der letzten Eiszeit. Eine solche Wildnis kann im Harzer Nationalpark mit Rangern erkundet werden.
Ein letzter Blick noch von Torfhaus Richtung Brocken und auf die vielen Wanderer, die an diesem Morgen über den Goetheweg auf Norddeutschlands höchsten Berg laufen. "Wir gehen hier entlang", sagt Michael Mügge, überquert die Straße und taucht in den Wald ein. "Betreten auf eigene Gefahr", warnt ein Schild. "Es kann immer passieren, dass Totholz auf den Boden fällt", sagt der Ranger. "Man sollte schon aufpassen."
Dann erinnert Mügge an die Nationalpark-Gebote: Hunde an die Leine, kein Feuer machen, nicht rauchen, nichts aus der Natur mitnehmen. Ein paar Dutzend Schritte noch, schon ist vom Wander-Trubel auf der anderen Seite der Straße nichts mehr zu hören. Dafür gibt es umso mehr zu sehen. Mügge zeigt auf Torfmoose, Wollgräser, Seggen und Binsen. Der Nationalpark-Ranger und seine kleine Wanderergruppe laufen durch eines der typischen Harzer Hochmoore - ganz vorschriftsmäßig natürlich auf dem Weg. Rechts und links gluckert braunes Wasser - fast unheimlich.
Flächen wurden renaturiert
"Unsere naturnahen Moore gehören zu den am besten erhaltenen in ganz Deutschland", sagt der Ranger. "Ihre Entstehungsgeschichte reicht zurück bis zum Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10 000 Jahren." Wo Moore trockengelegt waren, hat die Nationalparkverwaltung der Natur in den vergangenen Jahren geholfen und Flächen renaturiert.
Michael Mügge ist nicht der einzige Ranger, der mit Besuchern durch die Harzer Bergwildnis streift. "Die Nachfrage nach Führungen durch unsere Experten nimmt immer weiter zu", sagt Nationalparksprecher Friedhart Knolle. "Die Zahl der Buchungen steigt." Auch der Harzer Tourismusverband (HTV) hat ein wachsendes Interesse an den Ranger-Wanderungen registriert. "Die Leute schätzen das, wenn sie unterwegs kompetent informiert werden", sagt HTV-Sprecherin Eva Ronkainen.
Vorbei an Fichten
Der Weg führt jetzt vorbei an Fichten, die vom Borkenkäfer befallen und weitgehend zerstört wurden. "Im Nationalpark gehen wir nicht gegen den Borkenkäfer vor", erklärt der Ranger. "Der Käfer gehört nun mal auch zur Natur." Und die ursprünglich aus dem Flachland stammenden Fichten mit ihren weit ausladenden Ästen seien in den Hochlagen ohnehin die falsche Baumart. "Hier gehört ein Buchen-Mischwald hin."
Über die jahrhunderte angepasste Bäume
Dann zeigt Mügge auf eine Ausnahme. Am Weg steht eine sogenannte autochthone Harzfichte. Sie ist hoch, spitzkegelig und hat kurze Äste. "Darauf kann nichts liegen bleiben", sagt Mügge. Anders als bei den Flachland-Fichten bestehe im Winter deshalb auch kaum Schneebruchgefahr. "Diese Bäume haben sich hier über Jahrtausende angepasst".
Der Wald wird immer wilder. Junge gesunde Bäume stehen neben alten. Viele davon liegen kreuz und quer. Das Holz modert in den unterschiedlichsten Zerfallsphasen vor sich hin. "Der Wald ist hier auf dem besten Weg, ein Urwald zu werden", sagt der Ranger.
Der Fluss durch den Urwald
Zur Rechten ragen ein paar alte Stämme mit Spechthöhlen in den Himmel. "Darin wohnen jetzt im Sommer Fledermäuse", sagt Mügge. Weiter hinten liegen die Reste eines Holzgatters, das zum Schutz junger Laubbäume vor hungrigen Hirschen aufgestellt war. "Nach einigen Jahren fällt so ein Gatter um", stellt der Ranger fest. "Es vermodert, und nichts bleibt zurück."
Aus den kleinen Sickergräben ist mittlerweile ein Bach geworden, der durch den Urwald gurgelt. "Die Sonnenkappe wird alleine durch das Wasser aus den Mooren gespeist", erklärt der Ranger. "Deshalb ist es zugleich klar und dunkelbraun." Von allen Seiten rinnt das Nass. Einige Hundert Meter weiter ist das Bächlein zum reißenden Gebirgsfluss angeschwollen, der dem Oderteich entgegenrauscht.
Im Urwald keine Mountainbikes
Auch der Weg wird morastiger. An einigen Stellen hat die Nationalparkverwaltung Stege gebaut, ganz unkonventionell aus nebeneinander gelegten langen, dünnen Stämmen. "Wir wollen nicht, dass hier Mountainbiker durchrasen", sagt Mügge. "Das ist ein Weg für Fußgänger." Nach rund zwei Stunden ist das Ziel erreicht. Auf den Ranger wartet schon die nächste Gruppe. (dpa)