Essen. 285 Kilometer misst der Rheinradweg von der deutsch-niederländischen Grenzen bis hin zur Nordsee. Dabei führt der Weg vorbei an Deichen, Grachten und Wiesen. Doch auch Windmühlen oder das Schloss Amerongen prägen das Bild. Am Zielort Hoek van Holland angelangt, wird der Radler vom Meer begrüßt.

Das Meer ist das Ziel. Von der deutsch-niederländischen Grenze bei Millingen aan de Rijn geht es mit dem Fahrrad bis an die Nordsee – immer am Rhein entlang. Oder besser gesagt: an einem der vielen Rhein-Arme. Zwar fließt Vater Rhein wie in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland auch in Holland durch Mutter Erde, doch je weiter er sich der Nordseemündung nähert, umso mehr splittert er sich in Nebenarme auf.

Der 258 Kilometer lange niederländische Abschnitt des Rheinradweges führt durch wunderschöne Landschaften, die von berühmten Malern künstlerisch ins Bild gerückt wurden. Entlang von Deichen, Grachten, Feldern und Obstwiesen erschließt sich das Flussgebiet zwischen Lek und Maas mit der Waal in der Mitte. Zu den städtebaulichen Höhepunkten zählen die historisch bedeutenden Städte wie Dordrecht, Buren und Woudrichem. Kontraste bilden Rotterdam und der De-Biesbosch-Nationalpark. Daneben erfreut typisch niederländische Architektur mit Bauernhäusern und Mühlen das Auge. Abgerundet wird die vom Fahrradsattel aus erlebte Vielfalt durch die Impressionen vom Europort, der Brandung der Nordsee und dem weitläufigen Strand am Zielort Hoek van Holland, wo das Meer dem Rheinradweg eine natürliche Grenze setzt.

Mit Radfahrer-Fähre über den Fluss

Von der Größe des Rhein-Deltas ist beim Start nur wenig zu ahnen. Gemütlich geht es mit einer Radfahrer-Fähre über den Fluss nach Pannerden, um dann vorbei an einem Mammut am Kandiadijk Richtung Arnheim zu rollen. Bekannt ist Arnheim vor allem für die im Zweiten Weltkrieg hart umkämpfte John-Frost-Brücke. Direkt neben der Rheinquerung, deren Verteidigung 3000 Soldaten das Leben kostete, liegt die Informationsstelle zur Schlacht, die multimedial einen Eindruck von den Ereignissen im Spätsommer 1944 vermittelt.

Rheinradweg

Vier europäische Staaten (Schweiz, Frankreich, Deutschland und die Niederlande), neun Unesco-Welterbestätten, 1230 Kilometer und zahlreiche familiengeeignete Streckenabschnitte – das ist der Rheinradweg – oder die EuroVelo 15.

Kontakt: Niederländisches Büro für Tourismus & Convention, www.holland.com

Wer meint, die Niederlande wären flach wie eine Scheibe Käse, wird sich auf dem Abschnitt nach Rhenen wundern: Es geht durch kleine Wäldchen, über Deiche, vorbei an Kriegsdenkmälern und entlang von Feldern zahlreiche Hügel hinauf und wieder hinunter. Breite Alleen prägen das Landschaftsbild bis Gorinchem. Lange geht es am Flüsschen Linge entlang. Die i-Tüpfelchen sind dabei die herrlich restaurierten Windmühlen. Zu den schönsten Seiten dieses erfahrbaren Stückes voller Postkartenmotive gehören das Schloss Amerongen, Wijk bij Duurstede mit seinem mittelalterlichen Stadtkern und die alte „Oranjestad“ Buren.

400 Jahre alte Stadtmauer

Deutlich jünger und weniger attraktiv ist Gorinchem, obschon die 35.000-Seelen-Gemeinde eine in Teilen bis zu 400 Jahre alte Stadtmauer mit dem Dalemer Stadttor sowie schöne Häuserfassaden am Hafen und am Grote Markt aufweisen kann. Nur eine kurze Fährfahrt entfernt präsentiert sich die alte Festungsstadt Woudrichem mit einem prächtigen mittelalterlichen Kern, ehe es durch das 9000 Hektar große, fast menschenleere Naturschutzgebiet De Biesbosch nach Dordrecht geht, das ganz im Zeichen des Wassers steht. Der „Große Hafenkopf“, der Groothoofd, wo Merwede, Oude Maas und Noord zusammenfließen, avanciert mit 150.000 Schiffen pro Jahr zum meist befahrenen Flussknotenpunkt Europas.

Jetzt folgt der wohl „niederländischste“ Teil der Route: Das Unesco-Weltkulturerbe Kinderdijk ist mit seinen 19 Mühlen unumstritten das beliebteste Fotomotiv des Landes. Einen jähen Kontrast dazu bietet schon wenig später Rotterdam mit seinen modernen Häuserkomplexen und Bauwerken wie den Kubus-Wohnungen von Piet Blom am Oude Haven und der Erasmusbrücke sowie dem größten Seehafen Europas. Ein beliebtes Fotomotiv ist der Walk of Fame Europe. Mehr als 220 Stars und Sternchen haben ihre Hand- und Fußabdrücke auf dem Schiedamsedijk in Beton verewigt.

Schlussspurt entlang der Nieuwe Maas

Und schon ist es Zeit für den 37 Kilometer langen Schlussspurt entlang der Nieuwe Maas und des Nieuwe Waterwegs Richtung Nordseemündung. Hinter Schiedem, der Hauptstadt des Jenevers, und dem schnuckeligen Maassluis wartet mit dem 1997 gebauten Maeslantkering ein kleines technisches Wunderwerk. Die 600 Millionen Euro teure Sturmflutwehr soll mit seinen 20 Meter hohen und über 200 Meter langen Toren im Bedarfsfall verhindern, dass Rotterdam und weite Teile der Niederlande überflutet werden.

Hoek van Holland hat sich trotz eines geschäftigen Hafens den Charme des Badeortes mit breitem Sandstrand bewahrt. Am Maasmond, wie der Zusammenfluss von Nieuwe Waterweg und Nordsee heißt, schiebt sich ein kilometerlanger Pier, der Noorderhoofd, hinaus aufs Meer. Am äußersten Zipfel angelangt, schweifen nach 258 Kilometern im Sattel die Blicke hinaus aufs offene Meer. Auf der einen Seite verspürt hier jeder Stolz über die bewältigte Strecke, auf der anderen Seite schwingt auch ein wenig Wehmut darüber mit, dass die Tour hier endet. Als Trost bleibt der Gedanke, dass noch weitere gut 1000 Kilometer von der Quelle in der Schweiz bis zur deutsch-niederländischen Grenze darauf warten, im wahrsten Sinne erfahren zu werden.