Füssen. 444 Teilnehmer haben es auch in diesem Jahr geschafft, eines der begehrten Teilnahmetickets für den Wandermarathon zu ergattern. In diesem Jahr starteten die Dauerläufer in Füssen, um sich auf die Tour rings um die Königsschlösser zu begeben. Die Nachtroute begann mit einer Schifffahrt.

Geschafft haben wir es nicht, jedenfalls nicht ganz. Stolz waren wir trotzdem. Dabei sein ist schließlich alles beim Wander-Kult-Event „24 Stunden von Bayern“. Denn es gibt keine Punkte oder Pokale, Sieger oder Verlierer. Dafür gibt es schnelle Dauerläufer, zähe Langstreckler, gemütliche Genusswanderer und „Ich glaub’, mir reicht’s jetzt“ -Typen. Letztere, etwa 130 Fußlahme, legten die übrig gebliebenen Kilometer der Nachtrunde im Shuttlebus zurück. Wohl dem, der seine Grenzen kennt beim fünften bayrischen Tag- und Nacht-Wandermarathon, diesmal im schönen Ostallgäu bei Füssen.

Samstagmorgen, kurz vor acht. Wir stehen auf dem „Wanderermarktplatz“ inmitten einer bunten Schar von Menschen mit Rucksäcken und warten auf das Signal der Füssener Böllerschützen. Mit 50+ sind wir in der Minderheit, die meisten der 444 Teilnehmer, die im Internet eines der in wenigen Minuten vergriffenen Tickets ergattern konnten, sind zwischen 20 und Ende 30. Und sie sind international: Holländer, Italiener, Engländer, Schweden, Schwaben, Sachsen, Thüringer und Rheinländer sind bereit, in 24 Stunden rund 65 Kilometer zu Fuß zurückzulegen, knapp 2000 Höhenmeter inklusive.

Perfekt ausgerüstet geht’s auf die Piste

Es fieselt, Nebelschwaden hüllen die Berge ein. Das passt zu den beiden jungen Männern hinter uns, sie scherzen auf Kauderwelsch und sehen aus wie Hobbits: groß und dünn mit langen roten Haaren der eine, klein und kräftig mit rotem Zauselbart der andere. Ausgerüstet sind sie exzellent. Ihre Trinkflaschen stecken im Rucksack, mit einem Schlauch können sie beim Wandern trinken, ohne herumzunesteln. Sie ziehen sich die Regencapes über.

Anke Hiltensperger von Füssen Tourismus & Marketing schaut sorgenvoll gen Himmel. „Betrug“, sagt sie. Ein Jahr lang habe man an der Strecke gearbeitet, hat Sponsoren und rund 280 Helfer aus Gemeinden und Vereinen mobilisiert. Tourismusdirektor Stefan Fredlmeier persönlich ist die Strecke mehr als einmal durchgelaufen, und er hat für Unwetter sogar einen „Plan B“ im Köcher. Doch er macht Mut: „In zwei Stunden klart es auf!“

Bumm-bumm-Tschingderassabum. Die Musikkapelle Weißensee marschiert voran und entlässt uns Richtung Hohenschwangau, dem Jugendschloss des Märchenkönigs Ludwig II., der ein passionierter Wanderer war, bevor er sich im Starnberger See ertränkte. Ein endloser, quietschbunter Lindwurm zieht sich durch den Wald hinauf und wieder herunter. Die Laune ist gut, die Gespräche drehen sich um Marathons, Bergläufe, Trekkingtouren, Seelenwanderungen. Wir glauben, ewig so weitermachen zu können – da erhebt sich ein riesiger Klotz vor uns. Es ist der Tegelberg, und es ist gut, dass wir im Nebel nicht sehen können, wie steil er ist. Um es kurz zu machen: Der Berg ist auch für sportlich Geübte eine Herausforderung. 900 Höhenmeter kraxeln wir Kehre für Kehre schlammige, steinige Pfade hinauf. Schutzengelweg? Wer hat sich das bloß ausgedacht? Der zähe Nebel vermischt sich mit unserem Schweiß. Drei Stunden lang geht es nur nach oben, fröhliche Streckenposten versorgen uns mit Joghurt und Energieriegeln.

Nach dem Anstieg zittern die Knie

Kurz vor der Bergstation kommen Stufen, die von baumdicken Holzbohlen gehalten werden. Bei 100 hört man auf zu zählen. Als wir endlich oben sind, zittern die Knie. Es gibt ein Stück Gipfelseil von einem echten Bergführer, Nudeln mit Tomatensoße und eine Abfahrt mit der Tegelbergbahn, in deren Kabinen es nach 38 Menschen riecht, die zuvor zusammen rund 120 Liter Schweiß ausgedünstet haben. Egal.

Nur kurz geht es angenehm geradeaus, dann führt der Weg erneut steil nach oben, über die Stufen der Pöllatschlucht zur Marienbrücke, vor der Touristen für einen Blick auf das Schloss Neuschwanstein Schlange stehen. In einem Pulk mit Japanern trotten wir den Weg ins Tal zum Gasthof „Alpenrose“, verdrücken ein König-Ludwig-Törtchen mit Aprikosen-Vanillecreme und überbrücken drei Kilometer mit dem Shuttle Richtung Lechfall, wo wir den neuen Baumkronenweg bewundern.

In der Füssener Altstadt treffen sich alle wieder. Fast alle – ein paar Verwegene schieben zwischen Tag- und Nachtrunde auch noch die Fitness- (13 km) oder Vitalstrecke (8 km) ein. Wir strecken die Füße aus. Eigentlich könnte der Tag mit Weißbier und Alphornbläsern ausklingen.

Aber dem ist nicht so. Um 20 Uhr werden wir am Hopfensee musikalisch von „Ludwig“- und „Sissi“-Musicaldarstellern empfangen, bevor die „Füssen“ uns ans Dietringer Ufer bringt. Vor uns liegt die 38 Kilometer lange Nachtstrecke, die sich mit Blaskapelle, Trommlerfrauen und peitschenschwingenden „Goaßlschnalzern“ unter herrlichem Abendhimmel munter angehen lässt. Doch bald geht es wieder hinauf, und im Wald ist es stockduster. Ich fummle an der Stirnlampe. Ich bin nun mal keine Eule.

Humpeln, stöhnen - La-Ola-Welle

Auch andere stöhnen, einige humpeln. Drei Kilometer weiter, am Sonnwendfeuer der Gemeinde Roßhaupten, machen wir Schluss, nachdem das tolle Publikum uns mit einer Laola-Welle empfangen hat. Um kurz vor elf in der Nacht essen wir die leckerste Bratwurst unseres Lebens und winken den anderen nach.

Die laufen weiter, zur Alpe Beichelstein, zum Pestfriedhof Rieden, im Zwielicht des Morgens am gespenstigen Galgenbichl vorbei. Um zwei Uhr wird der erste der Dauerläufer den „Wanderermarktplatz“ in Füssen erreichen, da ist der Willkommenssekt noch nicht kalt gestellt. Insgesamt werden mehr als 300 Teilnehmer die beiden Runden durchwandert haben, 40 haben dazu eine der beiden Zusatzrunden gedreht, acht Teilnehmer sind alle vier Runden gelaufen – rund 86 Kilometer in 24 Stunden.

Um halb fünf tauchen auch die beiden Hobbits, die eigentlich Finnen sind, wieder auf – ziemlich fit, bis auf ein schmerzendes Knie. Sie werden etwas schlafen, duschen, und dann geht’s mit dem Flieger heim: „See you next time in Bavaria”, rufen sie. Na dann, Servus!

Der Austragungsort für die Strecke 2014 steht noch nicht fest. Infos: www.bayern.by/24-stunden-von-bayern