Köln. Jürgen Becker ist Kölner, Kabarettist und Motorradfan. In seiner TV-Sendung “Becker der Entdecker“ reiste er durch seine Heimat Nordrhein-Westfalen. Er entdeckte neue Seiten an vertrauten Orten und philosophierte über Land und Leute. Im Interview erklärt er, worin der Sinn des Reisens besteht.

Für den WDR beschritt Jürgen Becker den „Dritten Bildungsweg“ – auch Reisen bildet, dachte er sich und fuhr auf dem Moped durch NRW. Dabei hat er über Mathematik nachgedacht, über Köln und Düsseldorf und festgestellt, wozu ein i-Pod nützlich sein kann.

Herr Becker, Motorradfahrer träumen von der Route 66 oder der Panamericana. Sie sind durch NRW getingelt. Klingt jetzt nicht nach großem Abenteuer.
Jürgen Becker:
Ist aber sehr schön. Ich bin immer überrascht, wie viel es zu entdecken gibt.

Was denn zum Beispiel?
Ich finde es wunderbar, nachts mit dem Motorrad über die A40 zu fahren. Da fährt ja in Essen die Straßenbahn in der Mitte. Wenn man da mit 80 so entlang tuckert und diese Beleuchtung sieht und wie die Menschen ein- und aussteigen, das gefällt mir. Das hat was, eine spezielle Atmosphäre.

Klingt, als wären Sie immer auf Entdeckertour.
Sehen Sie, wenn man in den Urlaub fährt, zum Beispiel nach Mallorca oder in die Türkei, da fährt man hin, um sich zu erholen. Dann ist der Weg dorthin egal. Ich nenne das gerne „die Beliebigkeit des Zwischenraums“. Wenn man aber reist, dann ist der Zwischenraum das Eigentliche. Man sagt ja auch: Der Weg ist das Ziel. Das zu entdecken, macht mir Freude.

Da müsste man im Alltag schon ein bisschen Zeit einplanen.
Ich hab’ das mal ausgerechnet: Sagen wir, ich muss von Köln nach Paderborn. Dann brauche ich mit dem Motorrad über die A1 eineinhalb Stunden. Ich kann aber auch durch das schöne Sauerland fahren, das macht Spaß. Dann brauche ich zwar zwei, zweieinhalb Stunden, aber ich hatte ja Freizeit auf der Fahrt. Und zwar sinnvolle Freizeit und nur dann kann man ja wirklich von Freizeit sprechen.

Sie sind ein Mathematik-Genie.
Ich gebe mir Mühe.

Sie haben den dritten Bildungsweg ja schon beim WDR beschritten. Reisen soll ja auch ganz gut sein für den eigenen Horizont. Kann man in NRW noch etwas lernen?
Auf jeden Fall. Man merkt immer wieder, wie emsig die Menschen hier sind und was die alles schaffen. Die Westfalen sind sehr erfinderisch. Im Sauerland hat eigentlich fast jeder einen eigenen Betrieb und im Keller noch eine kleine Firma, die irgendwas herstellt. Dieses Unternehmertum begeistert mich sehr. Und: Die Ästhetik des Ruhrgebiets. Vor allem in Duisburg. Einfach toll.

Das müssen Sie erklären.
Ich habe eine Tour mitgemacht, die hieß: Auf den Spuren von Schimanski. Da habe ich noch mal einen ganz anderen Blick auf die Architektur der 70er Jahre bekommen. Wir haben die Drehorte von damals besucht, und man ist verblüfft, dass es da noch genauso aussieht wie früher.

Es gibt aber auch Leute, die sagen, dass man sich architektonisch versündigt hat.
Nein, nein. Ich sage: Wir müssen die 70er Jahre neu entdecken. Ich glaube, wenn Duisburg noch ein bisschen wartet, die Geduld hat und sagt: „Wir retten die 70er Jahre!“ – dann ist es bald Kult und dann wird Duisburg wieder ganz weit vorne sein.

Kann Sie Ihre Heimat noch überraschen?
Was Nordrhein-Westfalen auszeichnet, ist die Freude an der Unterschiedlichkeit. Die Leute, die Mentalitäten sind hier so unterschiedlich, das ist ja schon fast ein Vielvölkerstaat. Und das verblüfft mich immer wieder.

Sehen Sie auch Klischees bestätigt? Gibt es den typischen Rheinländer und Westfalen, oder den Menschen aus dem Ruhrgebiet?
Und es gibt den Siegerländer und den Sauerländer und, und, und. Da muss man in NRW unterscheiden.

Auch zwischen Kölnern und Düsseldorfern?
Das kann man. Der Kölner feiert seine Stadt. Er lässt keine Gelegenheit ungenutzt, zu betonen, wie toll es in Köln ist. Und der Düsseldorfer kann sich ganz eventuell vorstellen, dass es auch noch woanders schön sein könnte. Und in Düsseldorf ist ja wirklich auch nicht alles hübsch, aber dort weiß man dann auch, wie man in diesen Ecken die Straßen nennen muss: Kölner Straße zum Beispiel. Ich habe mal behauptet, Düsseldorf ist das bessere Köln. Das hat für Aufruhr gesorgt.

„Die Kawasaki ist mehr eine Krawallschachtel“ 

Kein Wunder, wenn ein Kölner das behauptet.
Aber nüchtern betrachtet, funktioniert Düsseldorf einfach besser. In Köln herrscht immer Chaos. Aber gut: Düsseldorf hat es als Landeshauptstadt auch leichter. Düsseldorf ist reicher und das sieht man den Menschen an. In Köln gibt es auch reiche Menschen. Aber wenn man dort einem Millionär begegnet, hat man das Gefühl, der bettelt einen gleich um einen Euro an. Weil er so aussieht

Wo wir über Klischees sprechen: Im Zusammenhang mit dem Motorrad ist immer von der Sehnsucht nach Freiheit die Rede. Inwieweit spielt das eine Rolle?
Das spielt eine große Rolle. Früher ging es zu Ross gen Westen.

Romantisch.
Genau. Und das Motorrad ist ja die technische Weiterentwicklung des Pferdes. Man hat immer gesagt, das wäre das Auto. Stimmt aber nicht, das wäre die Pferdekutsche. Quasi als Karosserie, wo vorne eben der Motor werkelt. Der Nachteil vom Motorrad gegenüber dem Pferd ist nur, dass man es im Notfall nicht essen kann.

Wenn man sie nicht essen kann, warum sammeln sie Motorräder dann? Sie tauschen Sie ja sogar wie Fußballkarten.
Ich hatte als Kind so einen Karton mit Matchbox-Autos und die konnte man tauschen. Batman-Mobil gegen James Bond-Auto. Heute ist das immer noch so: Motorräder sind Spielsachen. Und das Geld ist ja nicht weg. Und so ein Moped ist gar nicht so teuer. Das treibt einen nicht in den Ruin.

Gibt es das Motorrad für bestimmte Augenblicke?
Na klar. Wenn ich eine lange Strecke fahre, dann setze ich mich auf meine Yamaha. Die klingt nach altem Porsche. Für kurze Strecken habe ich eine alte Kawasaki. Das ist mehr eine Krawallschachtel. Da muss ich in den Ortschaften hübsch langsam fahren, damit ich die älteren Menschen nicht aufschrecke. Ein Elektromotorrad bin ich auch vor kurzem mal gefahren. Das mindert die Fahrfreude nicht.

Aber es knattert nicht so schön.
Leider nicht. Aber dafür kann man ja mit einem i-Pod für den entsprechenden Sound sorgen.

Und wann geht es auf die Panamericana?
Ich würde es tatsächlich gerne einmal machen, aber das eilt nicht.