San Luis Valley. Der Süden Colorados erinnert noch heute an Zeiten des Eisenbahnbaus im Wilden Westen. Die Gegend, in der viele Kult-Western entstanden, präsentiert sich heute Touristen - inklusive Bisonherden und Cowboys.
„Buffalos von links“, brüllt Asta. Yee-haw! Im San Luis Valley im äußersten Süden von Colorado gibt es kein Halten mehr. Die muskulösen Grasfresser legen an diesem windigen Morgen im kühlen Monat Mai ein rasantes Tempo vor. Hey: Was für ein Lauf-Feuer in den braunen Kolossen steckt. Filmreif der Vorstoß der Herde: Sie dampft aus dem Nichts auf die Bildfläche wie die erste transkontinentale Eisenbahn. Staubwolken verwischen den Horizont, der Boden bebt, der Reitgruppe stockt der Atem. Einige zücken die Kamera, andere verlieren die Beherrschung: Klasse, Asta.
Das Cowgirl, im Sattel seit sie zwei Jahre ist, hatte den richtigen Riecher. Gut, es ist ihr Revier. Die Pferde sind auf alles gefasst. Sie nehmen es hier gar mit den höchsten Dünen Nordamerikas auf. Mal setzt sich Asta mit den Gästen der Zapata Ranch – die Auswahl der Reittiere erfolgt nach Temperament (der Pferde) – in den Sand ab. Dann trabt ihr Trupp durchs Präriegras. Endlose Weiten. Die sattelfeste Pfadfinderin versteht es, Bleichgesichtern die Glutröte der Begeisterung ins Gesicht zu zaubern. „Und hier hat sich vor kurzem ein Bulle gescheuert“, hatte die 24-Jährige gerade noch beim Picknick im Unterholz erklärt und verkrustete Fellreste von der Baumrinde gekratzt, bevor sie ihren Hengst Chance losband und alles aufsitzen ließ.
Ohne Bison kein Eisenbahnbau
Schon wenig später entzückt alle Astas Büffelalarm – Pardon: Bison muss es heißen, Büffel gilt für Afrika – und die Meute donnert ungebremst ins Blickfeld. „Gut zweihundert an der Zahl.“
Den berühmtesten Bisonjäger hätte der Anblick kaum aus dem Sattel gehauen. Buffalo Bill soll täglich bis zu 60 der Kraftprotze mit den wolligen Schultern, der breiten Brust und dem majestätischen Kopf erlegt haben: für die Indianer als Nahrungs-, Kleidungs- und Werkzeuglieferanten überlebenswichtig und den Weißen sehr willkommen. Ohne Bison kein Eisenbahnbau. Das Fleisch ernährte die Männer an den Gleisen.
Buffalo Bill half, sie zu versorgen. Bison, frisch geschlachtet, schmeckt köstlich und ist gesund. Der Verzehr fördert die Wiederansiedlung. Auf der Zapata Ranch, die dafür Sorge trägt, dass die fast ausgerotteten Prachtrinder wieder zunehmen, serviert Mike Rosenburg das zarte, fettarme Fleisch immer freitags. Zwei Dutzend Leute mit verklärtem Blick bedienen sich bei den Mahlzeiten an der hufeisenförmigen Tafel im rustikalen Gastzimmer.
Kulisse für viele Kultfilme
Abendessen gibt es Punkt Sechs. Die Sonne schickt den letzten Goldstrahl durchs Geäst der Cottonwood-Bäume, in der Ferne quietscht ein Gatter wie bestellt. Der Rhythmus der Ranch ist Balsam für Städterseelen. Morgens aufschauen zu den Blut-Christi-Bergen – wird der Tag grau oder rot? – nach dem Kaffee ausreiten mit Asta und mittags die Cowboys besuchen, die die Zäune richten.
Einmal jährlich werden sie gecheckt. Dann ist auch Joe im Einsatz: Das Bild des Kerls mit geübten Händen und sparsamen Worten bleibt haften bis John Wayne kommt. Filmposter der Leinwand-Ikone schmücken das Schmalspureisenbahnmuseum in Durango. Die Western-Stadt, einst von der Denver und Rio Grande Western Railroad-Eisenbahngesellschaft auf die Landkarte gesetzt und mit viktorianischen Hotels dekoriert, liegt jenseits der steilen Kehren des Wolf Creek Passes an den Ausläufern des Animas River Valleys. Kultfilme von „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ bis „Viva Zapata“ entstanden in der Region. Der Stolz des Museums ist ein Stahl verstärkter Waggon für die Butch-Cassidy-Verfilmung, den Eisenbahnräuber in die Luft jagen konnten ohne den folgenden Waggon zu beschädigen. Die Erinnerung aufrecht hält das Hotel New Rochester. Durch die Korridore laufen ist wie das Blättern durch vergilbte Tagebücher.
Zeugnisse indianischer Töpfer- und Korbflechterkultur
Die meistfotografierten Heldinnen von heute? Die Bardamen im Diamond Belle Saloon: Zwischen Ragtime Piano und nostalgischer Spiegel-Bar balancieren sie Bustier und Biertabletts durch die Menge. Schwer zu sagen, wer die Schönste ist – wie auch bei den Loks im Museum.
Auf den Grünen Tafelberg schraubt man sich alsdann auf vier Rädern hoch. 2600 Meter wollen im Nationalpark Mesa Verde an Höhe gewonnen werden bis zur Belohnung: spektakuläre Felsbehausungen und ein Museum, das selbst konserviert gehört. So liebevoll gestrig sind die Zeugnisse indianischer Töpfer- und Korbflechterkultur arrangiert. Der kulturhistorisch bedeutsamste US-Nationalpark ist Unesco-Welterbe. Es waren Cowboys auf der Suche nach verirrten Rindern, die 1888 zufällig das Geheimnis der Anasazi-Indianer entdeckten: perfekte Bewässerungssysteme und Mais-Anbau.
In Cripple Creek dominieren einarmige Banditen das Bild
Durch alpine Gebirge, den nostalgischen Wintersportort Telluride, hochgelegene Viehweiden und die karminroten Berge vor der Gemeinde Whitewater führen die Highways 145 und 141 kurvenreich in die fruchtbare Ebene nach Grand Junction: Grenzstadt am Colorado River, der den Anbau vorzüglicher Weine erlaubt und das Colorado National Monument mit schuf. Den orange-rot-purpurnen Sandsteinformationen gaben frühe Bewunderer Namen wie „Küssendes Paar“,„Kleopatras Couch“ oder „Teufels Küche“. Entzückt die Kunst aus Stein nicht mehr als alles Gold aus Cripple Creek?
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Die Goldgräberstadt, stolz auf den letzten großen Goldrausch Colorados, mögen die Rockies krönen, die Gastfreundschaft macht sie zum Juwel. Fremde empfängt der Ort auch dank der einarmigen Banditen mit offenen Armen. Inzwischen prägen Spielsalons statt Goldminen das Bild.
Einst hatte ein Cowboy sie entdeckt, verrückt nach Edelmetall. Seine andere Leidenschaft war der Alkohol – weshalb ihm keiner glauben wollte, als er 1890 eine Mine fand. Heute würdigen das herrlich plüschige District Museum und das schicke neue Kulturerbe-Zentrum diesen Bob Womack. Als dagegen der junge Buffalo Bill nach Gold schürfte, war Cripple Creek nur Weideplatz.
Nach wie vor verströmt der Gebirgsstaat Freude am Leben im Freien. „Don’t fence me in“, schmettern die Cowboys im Lied: „Sperr‘ mich nicht ein.“ Das tun die Coloradans auch nicht. Okay, Bisons brauchen ein paar Zäune.