Marseille. Marseille galt lange als ärmste Großstadt Frankreichs. Nun möchte die französische Hafenstadt mit dem Projekt “Marseille- Provence 2013“ weg von diesem Image. Dabei helfen sollen u.a. die Stararchitekten Zaha Hadid und Norman Foster.
Marseille, die älteste und zweitgrößte Stadt in Frankreich, wirkt auf den ersten Blick bunt, polyglott und aufregend, aber auch ein wenig ramponiert: Das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2013 und die komplette städtebauliche Neugestaltung sollen helfen, das zwielichtige Image der Hafenstadt endlich abzuschütteln.
Größte Projekt in Europa
Josiane Bercier steht unterhalb der Kathedrale La Major und blickt aufs Meer. Die Fremdenführerin sagt: "Wo ich stehe, ist ab 2014 alles Fußgängerzone." Im Moment rauscht noch der Verkehr an ihr vorbei. Bercier zeigt auf die früheren Docks vor ihr, wo Bauarbeiter auf Gerüsten hantieren und Laster Material herankarren. Die gebürtige Marseillerin erklärt stolz: "Was hier entsteht, ist das größte städtebauliche Projekt in Europa".
Das erste Nationalmuseum außerhalb von Paris öffnet 2013
Marseille vollzieht gerade eine Wandlung. Von weitem ist bereits der neue, grün schimmernde Wolkenkratzer von Stararchitektin Zaha Hadid sichtbar - übrigens der erste in Marseille. Er könnte zum Wahrzeichen der Stadt werden, neben der Wallfahrtskirche Notre Dame de la Garde. Am Dock J 4 zu Füßen der eindrucksvollen Festung Fort Saint Jean wird die gesamte Meeresfront spektakulär umgestaltet. Stararchitekten wie Jean Nouvel, Norman Foster und Massimiliano Fuksas helfen mit. Die beiden Prestigeprojekte: Das Musée des Civilisations Europe Méditerranée (MuCEM) soll das erste Nationalmuseum Frankreichs außerhalb von Paris werden. Und das hufeisenförmige Ausstellungszentrum Centre régional de la Méditerranée" (CeReM) die Partnerschaft zu den Mittelmeeranrainern pflegen.
Im Hafen entsteht die größte Fußgängerzone Europas
Insgesamt werden 600 Millionen Euro in rund 50 Projekte investiert. Norman Foster baut im Vieux Port, dem Alten Hafen, die größte Fußgängerzone Europas. "Nicht so schnell am Vormittag, langsam am Nachmittag", lautet zwar das Arbeitsmotto der Mittelmeerstadt. Doch alle geben sich überzeugt, dass die wesentlichen Kulturprojekte rechtzeitig fertig werden. "Wir können auch schnell sein", sagt Stadtführerin Josiane Bercier. Das seit 1995 in Marseille verwirklichte Stadtbauprojekt "Euroméditerranée" wird noch etwas länger dauern: Planer sprechen von 2020. Bercier betont, wie viel der Wandel den Bewohnern bedeutet: "Es geht um die ökonomische, soziale und kulturelle Aufwertung Marseilles."
Ärmste Großstadt Frankreichs
Die hat Marseille auch bitter nötig. Zuletzt war die Stadt dafür bekannt, ärmste Großstadt Frankreichs zu sein. Die 900.000 Einwohner-Metropole gilt mit ihren vielen Zuwanderern aus dem Maghreb als "größte Stadt Nordafrikas". Drogen, Bandenkriege, in den 1980ern eine Arbeitslosigkeit von 22 Prozent - die Zeiten haben sich gebessert, das Image nicht wirklich. Die Marseillerin Bercier bedauert: "Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden hier viele Filme über Kriminalität gedreht. Von diesem Image wollen wir weg."
"Marseille-Provence 2013"
Und nun soll die Kultur es also richten. Das Programm "Marseille-Provence 2013" verfüge über ein Gesamtbudget von 90 Millionen Euro und es werde aus einer Vielzahl origineller Kleinprojekte bestehen, sagt Ulrich Fuchs. Der gebürtige Oberpfälzer ist Vizedirektor der Organisation Marseille-Provence 2013 und gestaltet inhaltlich das Europäische Kulturhauptstadtjahr. Er weiß, was auf ihn zukommt, hat er doch bereits Linz 09 erfolgreich begleitet. Fuchs sagt: "Die Wahl zur Kulturhauptstadt ist ein Weckruf und ein Stipendium." Die gesamte Großregion will sich mit "Marseille-Provence 2013" als Kulturraum präsentieren: Zwischen Arles, Aix-en-Provence und Aubagne schließen sich fast hundert Kommunen zusammen und bieten ein beachtliches Programm mit weit mehr als 400 Veranstaltungen. Vieles werde für alle zugänglich sein und nichts kosten, verspricht Fuchs. Zu den beachtlichsten Vorhaben gehört der Ausbau des ehemaligen Internierungslagers Les Milles zu einem öffentlich zugänglichen Ort des Gedenkens.
Das Leben spielt sich seit Urzeiten am Hafen ab
Doch Transformation hin oder her. Immer noch ist der Alte Hafen das Herz der Stadt. Am Abend, wenn am Fischmarkt entlang des Quai des Belges die Buden längst geschlossen haben, köchelt der fangfrische Fisch bereits in den Töpfen der umliegenden Lokale. Serviert wird überall: Bouillabaise, Marseilles berühmte Fischsuppe. Das "Miramar", ein Lokal aus den 1950er Jahren, kocht die traditionellste Version der Fischsuppe, darin sind sich die Bewohner einig. Die Suppe muss mindestens vier Fels-Fische aus dem Mittelmeer enthalten und unbedingt Rascasse (Drachenkopf), erzählt der Kellner. Weil der Fisch immer schwieriger zu bekommen ist, lässt sich das "Miramar" seine traditionelle Fischsuppe mit 59 Euro pro Person entsprechend teuer bezahlen. Mit kühlem Wein und herzhaftem Aioli serviert, ist es aber ein Genuss, der in Erinnerung bleibt. Dutzende umliegende Cafés servieren Meeresfrüchte und Pastis, den nach Anis schmeckenden Verwandten des Absinths. Den lieben die Künstler seit jeher ähnlich wie das besondere Licht Südfrankreichs.
(dapd)