Bahnfahren muss nicht eintönig sein: Eine Reise mit der Transsibirschen Eisenbahn ist ein Abenteuer. 9000 Kilometer geht es auf der längsten Bahntrasse des Planeten nicht nur durch mehrere Zeitzonen. Die Strecke zwischen Peking und dem Baikalsee ist auch eine Reise durch die Geschichte.

Chinesische Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Ein gewöhnungsbedürftiger Weckruf neuneinhalb Stunden nach der Abfahrt in Peking. Tag eins auf dem Weg Richtung Baikalsee – auf der längsten Bahntrasse der Welt, der Transsibirischen Eisenbahn. Immer noch China. In der Inneren Mongolei strahlt der Himmel wieder blau.

Die Smogglocke von Peking liegt 500 Kilometer zurück, der Kulturschock ebenfalls. Die schrille Hauptstadt mit ihrem Lärm, den Menschenmassen und der Vorliebe für Plastik in allen Farben und Formen wirkt nach – Erinnerungen an unvergessliche Momente in der Verbotenen Stadt, an Kaiserpaläste, Himmelstempel, den Platz des himmlischen Friedens. Diese Dimensionen passen nur schwer in einen Kopf.

Jede Menge Gegend ohne einen einzigen Menschen

Auf der Tour gen Norden hat man Zeit, sich zu setzen. Wie sagte schon Laotse: „Wer reist, der tut es, um Augen und Ohren zu öffnen und seine Seele zu erleichtern“. Der Zarengold-Sonderzug, den das Berliner Reiseunternehmen „Lernidee“ auf der 9000 Kilometer langen Strecke zwischen Peking und Moskau einsetzt, erleichtert die meditative Rückschau. Zwischen Plüsch und Messing, zurückversetzt in die Bequemlichkeit Nikita Chruschtschows in den 50ern, wird Reisen zu einem entschleunigten Erlebnis.

Gedanken fließen, der Blick, das Licht sind klar, die Landschaft auch. Das monotone Rattern des Schienenstrangs passt zu der kargen grünen Umgebung. Vereinzelt Bäume, alle 20 Minuten eine Schafherde – und jede Menge Gegend ohne einen einzigen Menschen. Im schier endlosen Nichts tauchen plötzlich die Ausläufer der quirligen Grenzstadt Erlian auf: Unwirtlich und wohl am Reißbrett entstanden. 40.000 Menschen leben hier, Tendenz steigend.

Sozialistische Plattenbauten zeugen von Goldgräberstimmung

Einfallslose sozialistische Plattenbauten sprießen aus dem Boden und künden von der neuen Goldgräberstimmung, vom Wirtschaftswachstum an der Schwelle zur autonomen Republik Mongolei. Die Menschen hier haben etwas vom Wahrzeichen ihrer Stadt, den Dinosauriern. Wegen der vielfältigen Saurierfunde in der Wüste Gobi haben sie den Monstern ein Museum errichtet.

Auf der anderen Seite der Grenze beginnt die größte Wüste Asiens – grün soweit das Auge reicht. Nach Stunden geht die Steppe in seichte Hügellandschaft über. Morgens hängt der Tau verwunschen in den Tälern, vor den sanften Höhenzügen stehen die Wolken Schlange. Dschingis Khan, der Nationalheld der Mongolen, mag im rasenden Tempo die Steppe hoch zu Ross durchquert haben. Im plüschigen Zarengold-Nostalgieabteil fällt die Hektik ab.

Eines der letzten Abenteuer auf der Welt 

Plötzlich ist die Musik wieder da und schrammelt durch die Bordlautsprecher. Reiseleiter Wolfgang Eggers wünscht einen angenehmen Morgen. Das Signal zum kollektiven Aufstehen. 180 Menschen sind jetzt auf den Beinen und verteilen sich in 18 Waggons. Mindestens genauso viele Nationen treffen sich auf den schmalen Gängen oder im Speisewagen, dem Herrschaftsgebiet von Olga. Die Kellnerin macht mit ihrem russischen Charme sofort klar, wer hier das Sagen hat.

Zwischen Piroggen, Bortsch, Lachs und Wodka ist kein Widerwort erlaubt. Egal, die Stimmung kann nicht kippen. Alle im Zug haben sich ihren Traum erfüllt, „eins der letzten Abenteuer dieser Welt zu erleben“. Für Martha aus den USA und Herrn Singh aus Indonesien ist alles einfach wundervoll, faszinierend, atemberaubend, genial. Viel besser als der Traum.

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Ein riesiges Jurten-Camp kündet von der Ankunft in Ulan Bator. Verarmte Nomaden haben sich an der Peripherie der Hauptstadt niedergelassen und hoffen, eine Unze zu ergattern. Im Süden des Landes lagern Bodenschätze von unermesslicher Vielfalt und nicht abschätzbarem Wert.

Wie gebügelt liegt er da, der See der Superlative

Gold, Silber, Uran, Kupfer, Öl, Gas, Kohle. „Die Mongolei hat große Güter und eine große Geschichte.“ Daher müssten in dem Land nach der Überzeugung von Gero Bone, einem hier lebenden deutschen Lehrer, „eigentlich Verhältnisse wie in Dubai herrschen“. Aber: „3000 Menschen in Ulan Bator leben vom Müllsammeln“, schätzt Bone.

Vom gigantischen Bauboom in der Hauptstadt profitieren vornehmlich chinesische Investoren, die Geld und Arbeiter schicken, während 15 bis 20 Prozent der Mongolen arbeitslos sind. Der ungeliebte südliche Nachbar dominiert das Land auch 20 Jahre nach dem Ende des Sozialismus.

Leben im Rhythmus der letzten Jahrhunderte

Nur knapp 60 Kilometer hinter der Hauptstadt scheint das Leben der Nomaden dem Rhythmus der letzten Jahrhunderte zu folgen. Im Nationalpark Terelj dösen Pony-Herden in der Sonne, grasen Jaks vor sich hin und hinter der nächsten Bergkuppe steht eine Jurte. Links vom Eingang haben die Besitzer einen Brunnen gebohrt, rechts ein Loch gebuddelt: Waschbecken und Klo.

Ein minimalistisches Leben? Falsch. Denn spätestens, wenn Familienvater Gerelt mit dem Handy am Ohr hoch zu Pony angaloppiert, wird klar: Die Moderne hat Einzug gehalten in diesem hintersten Winkel der Erde: In der Jurte thront neben dem Altar der Flachbildschirm.

Größter Süßwassersee der Erde

Der „Zarengold“ wartet in Ulan Bator. Hans Engberding, Gründer und Inhaber der „Lernidee“, hat ein individuelles Programm zusammengestellt: Mongolische Pferderennen besuchen, russische Altgläubige befragen, die beste Pekingente schmausen.

Es geht weiter nach Norden, Richtung Sibirien. An Tag sieben nach Peking liegt er plötzlich da wie gebügelt: der Baikalsee. Ein See der Superlative. Der größte Süßwasserspeicher der Erde, der tiefste See und der einzige, der Robben eine Heimat bietet. Aus dem Fenster sieht man den Uferbereich. Am Port Baikal heißt es dann Abschied nehmen vom Zarengold, von dieser spektakulären Reise. Von wunderbaren Eindrücken – und von Erinnerungen, die bleiben.