Bad Gastein. Skifahrer kommen im österreichischen Gasteinertal ganz auf ihre Kosten. Doch die Gegend lässt sich auch auf andere Art erkunden: Der Ranger Johann Naglmayr leitet Exkursionen und will den Touristen ein Gespür für die Natur vermitteln: Mit Quellwasser, Brunnenkesse und dem Geruch von Heu.

Klar, das Gasteinertal eignet sich bestens zum Skilaufen. Aber dazu kann sich der Naglmayr Johann gar nicht so häufig durchringen. Lieber schnallt er sich im engen Kötschachtal die Schneeschuhe unter. Vorzugsweise wenn Flocken vom Himmel kommen. "Das hat etwas Mystisches." In aller Ruhe setzt er einen Fuß vor den anderen.

Dabei sind seine Augen weit geöffnet, denn der Hans, wie ihn alle nennen, ist stets auf der Lauer. Nach einer Weile steuert er auf eine kleine Scheune zu. Er greift zwischen zwei Brettern hindurch und zieht etwas hervor: "Riech mal." Vom köstlichen Geruch des Heus kann er einfach nicht genug bekommen. Dann, in der Nähe eines Misthaufens, zeigt er auf kaum wahrnehmbare Spuren im Schnee: "Das war ein Fuchs. Der hat hier nach Mäusen gesucht."

Stunden kann Naglmayr so verbringen, ohne dass ihm langweilig würde. "Die Natur", sagt er, "ist meine Universität". Da fügt es sich gut, dass der 55-Jährige in diesem Terrain als Dozent unterwegs sein darf. Hauptberuflich nämlich ist er Park Ranger im Nationalpark Hohe Tauern

Tauchgang am Bach

Ganze Schulklassen hat er zuweilen bei seinen Exkursionen im Schlepptau. Die Begleiter schauen ihm dabei zu, wie er sich am Ufer des Baches hinlegt, sich mit den Armen auf einem Stein abstützt, um zunächst mit seinem grauen Bart und dann mit dem Mund einzutauchen. "Der frische Geschmack von Quellwasser, das ist für mich das Größte."

Von seinem kleinen Tauchgang bringt Naglmayr eine grüne Unterwasserpflanze mit, die er zur Verkostung reicht. Die kleinen Blätter schmecken frisch und scharf. "Brunnenkresse", sagt er, "das einzige Gewächs, das die Bergbewohner früher im Winter mit Vitamin C versorgt hat". Nachdem er einen Vogelruf imitiert, und auf diese Weise eine Meise zu einem kurzen Dialog animiert, erklärt Naglmayr den tieferen Sinn seiner Mission: "Ich möchte, dass die Leute wieder ein Gespür für die Natur bekommen. Das ist in unserer Zeit verloren gegangen."

Ein Bewusstsein schüren dafür, dass durch Tourismus und Wintersport die Rückzugsräume vor allem für das Wild immer mehr abhandengekommen sind. "Die Tiere", sagt er, "sind permanent auf der Flucht vor dem Menschen". Das gehe zulasten ihrer Fettreserven. Mit der Folge, dass das Rotwild zusehends ums Überleben kämpft.

65 Kilo auf dem Rücken

Also verknüpft Naglmayr das Nützliche mit dem Praktischen. Mehrmals im Monat steigt er auf Schneeschuhen in den Berg, um eine Futterstelle für Rehe aufzusuchen. Dabei trägt er einen Rucksack mit bis zu 65 Kilo Nahrung. "Die Leute halten das für verrückt. Aber ich finde das wichtig." An seinen Anblick sind die scheuen Tiere gewöhnt, sie dulden ihn, ohne Reißaus zu nehmen.

Seine ausgeprägte Verbundenheit zur Natur aber bedeutet nicht, dass Naglmayr ungesellig wäre. Während es unaufhörlich schneit, macht er sich ins Zentrum von Bad Gastein auf. Wegen der Heilquellen und der geografischen Lage in einem zerklüfteten Tal urlaubten hier einst Kaiserin Sissi und Fürst von Bismarck. Bis heute wird der Kurort geprägt von den Unterkünften aus der Belle Epoque. Sie tragen Namen wie "Grand Hotel de l'Europe" oder "Mirabell" und sind bis zu zwölf Stockwerke hoch.

Ein Ambiente, das Bad Gastein von allen anderen österreichischen Wintersportorten abhebt - auch wenn das Zentrum von Apres-Ski-Clubs bis zu den extravaganteren Freizeitmöglichkeiten der Gegenwart alles bietet. Wegen einer solchen hat sich Naglmayr heute hierhin aufgemacht. An einem gefrorenen Wasserfall möchte er sich im Eisklettern versuchen, ein Vergnügen, das ihm bisher versagt geblieben ist.

"Keine Leute, kein Eis"

Am nächsten Tag dann sind die Wetterverhältnisse so, dass sich der passionierte Alphornbläser einen Ausflug auf die Piste nicht mehr verkneifen kann. Die beiden vergangenen Tage haben 70 Zentimeter Neuschnee gebracht. Also steht Naglmayr um 9.30 Uhr im Skizentrum Angertal an der Kabinenbahn, die ihn zum 2.251 Meter hohen Stubnerkogel bringt. "Heute ist's perfekt", sagt er oben. "Keine Leute, kein Eis."

Stattdessen tiefer Pulverschnee - so weit das Auge reicht. Noch vor der ersten Abfahrt inspiziert Naglmayr einen seiner favorisierten Orte: Die 140 Meter lange Hängebrücke, die zum Restaurant der Bergstation führt. Die schwingende Seilkonstruktion ist blickdurchlässig und überraschend stabil. Nebel und ein unbarmherziger Nordwind sorgen für Endzeitstimmung. Doch der Hans hat Spaß: "Ich liebe es, wenn ich die Elemente auf der Haut spüre."

Wedeln am Waldrand

Mit bereits angefrorenem Bart nimmt er Kurs auf sein Revier für die nächsten Minuten. Es geht zum Bürgerwald, einer schwarzen Nordhangpiste. Vor der Einfahrt ins steilste Stück bleibt Naglmayr stehen, um die Lage zu sondieren. Dann nimmt er Kurs auf den äußersten rechten Rand der Piste, zu dem die Raupen nicht vordringen konnten.

Neben den schneebedeckten Nadelbäumen hat er einen kaum anderthalb Meter breiten Streifen Tiefschnee entdeckt, den er nach wenigen Sekunden erreicht. Wie ein Weltmeister wedelt er sich seinen Weg nach unten. "Herrlich." Als nächstes steht die Jungeralm auf dem Programm. Um die Piste zu erreichen, steuert Naglmayr auf einen Ziehweg zu, der vor lauter Nebel und verwehtem Schnee kaum zu erkennen ist. Dieser führt zu einer Abfahrt, die zuletzt während der ergiebigen Schneefälle präpariert worden sein muss, denn die rote Piste ist mit einer festen Unterlage ausgestattet.

Leitungswasser ist "das Größte"

Darüber aber ist sie kaum berührt. So gestattet sie heute auch mittelmäßigen Skifahrern, in den Genuss eines tiefschneeartigen Erlebnisses zu kommen. Nach mehreren Abfahrten biegt Naglmayr zielsicher zur "Junger Stube" ab, der Hütte seines Vertrauens. Nachdem er den Wirt Erhard Röck per Handschlag begrüßt, nimmt er an einem Tisch Platz.

Er bestellt Leitungswasser, weil das ja hier "das Größte" ist, und eine Portion geräucherten Hirsch mit Meerrettich. Das Tier hat Vater Röck selbst geschossen. Gemeinsam mit dem Sohn hat er das Fleisch in Meersalz, Wacholder und Thymian eingelegt, um es anschließend zehn Tage über Erlenholz kalt zu räuchern. "Eine Spezialität, die man so in keinem Geschäft kaufen kann."

Ein gutes Argument auch für einen alpinen Skitag. Und ein geschmacklich überzeugendes Beispiel dafür, wie sich der Kreislauf der Natur hier in den Bergen schließt. (Die Reise wurde von der Gasteinertal Tourismus GmbH unterstützt.) (dapd)