Amman. Jordanien hat für interessierte Reisende mehr zu bieten als die Felsenstadt Petra. In Amman etwa, entdeckt man moderne Jugendkultur und bunte Urbanität. Hier bilden man Graffiti, verwinkelte Gassen und das pulsierende Leben der Einheimischen ein spannendes Gewirr von Eindrücken.

Die Rainbow Street in Amman heißt nicht umsonst nach den Farben des Regenbogens. Auf der kleinen Straßen reiht sich ein bunter Laden neben den anderen: Büchercafés, Eisdielen, Galerien. Junge Menschen flanieren die Straße entlang, die Mädchen sind unverschleiert. In dem kleinen Platz in der Mitte der Straße steht ein junger Mann mit Gitarre und singt Cat Stevens alten Hit aus den 1970ern „Father and Son“.

Die Sicherheitsmauer des British Councils, dem britischen Äquivalent eines Goethe Instituts, ist mit Graffiti übersät: Beige Häuser werfen lange Schatten, darüber geht die Sonne auf. Die Häuser auf dem Graffiti sehen alle gleich aus, es sind monotone Betonklötze, in ocker oder eierschalenfarben oder grau, einer neben dem anderen, eng gebaut. So sieht Amman aus jenseits der Rainbow Street.

Mehr als alte Steine

Vor der Graffiti Wand steht Wesam Shadid – er hat sie besprüht. Ganz legal gemeinsam mit einer kanadischen Künstlerin. „Das Graffiti ist einer der Lichtpunkte in der Stadt“, erzählt er. Ein Zeichen dafür, dass es in Amman mehr gibt als alte Geschichte und Steine, die die Römer herschleppten.

Wer durch Jordanien reist, lässt Amman meist aus. Man besucht Petra, die Stadt die in den Felsen gehauen wurde, die einst als Stützpunkt im Karawanenhandel diente. Hier machten die Männer halt mit ihren Kamelen voller Weihrauch auf ihrem Weg vom Jemen an das Mittelmeer.

Umgeben von Vergangenheit

Man kauft Flaschen mit Bildern aus Sand, Ketten und Tücher und hält es für Kunst. Als Tourist sieht man die Wüste um das Wadi Rum, sieht die Leere und die Einsamkeit, lässt sich von der Folklore der Beduinen hinreißen. Man besucht die antiken Städte Gadara und Gerasa, wo Alexander der Große durchzog, später auch die Römer. Sie hinterließen riesige Theater, Rennbahnen, Prachtstraßen.

Wer durch Jordanien reist, erfährt immer nur das alte, das einst Dagewesene. Man ist umgeben von Vergangenheit, von alten Dingen, von hochtrabender Geschichte. Die Gegenwart des Landes, die Jugend und Kunst, steht selten auf dem Reiseplan. Dafür müsste man eben nach Amman fahren.

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Das neue Amman versteckt sich

Amman legt sich einem nicht zu Füßen, es ist eine schwere Stadt, bleiern und drückend. In biblischer Zeit lag sie, wie Rom, auf sieben Hügeln, heute sind es neunzehn. Betrachtet man sie von oben, sehen die Straßen aus wie die Windungen eines Gehirns. Sie schlängeln sich spiralförmig an Berghängen entlang, enden in Sackgassen, werden zu riesigen Kreisverkehren.

Die Straßen sind vollgestopft mit Autos und Fußgängern, die Bordsteine sind vollgestopft mit Auslagen der Läden. „Die Touristen schauen sich immer denselben Kram hier an: die alte Kathedrale oben auf dem Berg und das römische Theater unten in Downtown“, sagt Wesam. Aber das sei das alte Amman, das der Väter. Das neue Amman, das der Söhne, verstecke sich. Wer es erfahren will, muss es sich erarbeiten. Es gibt kein Stadtzentrum, es gibt keinen direkten Weg. In Amman geht man verloren – muss man verloren gehen, um die Schätze der Stadt zu entdecken.

Trepp auf, trepp ab

Wesam läuft Abkürzungen über Treppen, die durch enge Souks führen, bei denen man nicht weiß, ob sie vielleicht doch der nicht-umzäunte Hof eines Privathauses sind. Sie sind so voller teetrinkender, plappernder Menschen, so voller Kinder, die sich jagen. Der Boden ist übersät mit Spielzeug, aber man weiß nicht, ob es zu verkaufen ist oder grade bespielt wird.

Es geht trepp auf, trepp ab, durch kleine Gassen, vorbei an Garküchen, die wie die eigene Küche nach einer Party aussehen, Teller und Gläser stapeln sich bis unter die Decke – und der Koch sitzt daneben und raucht. Kaum einer hier spricht Englisch, die Kopftücher sind eng geschnürt. In einem kleinen Park in der Nähe des alten römischen Theaters und der großen Moschee ist eine ganze Wand mit Graffiti überzogen.

Comic-Figuren tanzen auf grauem Beton

Vor ein paar Wochen hat Wesam ein Graffiti Festival veranstaltet, um den jungen Menschen einen Ort zu geben, an dem sie sich ausleben können und den alten Menschen zu zeigen, dass nicht jedes Graffiti eine Schmiererei ist. Es sind Comicfiguren, die über den grauen Beton tanzen, mit einer Sprühdose in der Hand. Politische Botschaften sucht man vergebens.

„Kritische Kunst findet man nicht auf der Straße“, sagt Wesam. Sein Entwurf für die Mauer des British Councils musste von mehreren Instanzen genehmigt werden, frei in der Motivwahl war er dabei aber nicht. „Ich wollte eine klischeehafte jordanische Familie sprayen“, erzählt er, doch davon übrig blieb lediglich ein Mann mit Bart und Kopftuch und ein Mädchen. Die anderen Charaktere hatten den strengen Sittenwächtern nicht gefallen.

Die Geschichten der Leute liegen in den Gesichtern

In den Galerien wie dem Makan House oder der Zara Art Gallery ist man mutiger. Wesam hat dort bereits ausgestellt, aber auch Ahmad Sabbagh. Der 31-Jährige malt Bilder voller Wut von gesichtslosen Jungen, die mit Messern und Pistolen spielen. „In Amman liegen die Geschichten in den Gesichtern der Menschen“ , sagt er. „Ich sammle sie nur ein.“

Jordanien grenzt an alle Unruheherde der Region: An Ägypten, wo man den Präsidenten im arabischen Frühling absetzte. An Syrien, wo noch immer gekämpft wird. An Israel, wo man mit dem Kämpfen wohl nie aufhören wird und an den Irak, von dem man nicht weiß, in welchem Zustand er sich befindet. In Jordanien selbst herrscht Ruhe.

Victory-Graffiti auf beigem Stein

Dennoch kennt jeder jemanden, der in einen dieser Konflikte verwickelt ist. Jordanien ist Zufluchtsort für palästinensische Flüchtlinge, fast 90 Prozent der Einwohner Ammans sind Palästinenser oder direkte Nachfahren, auch Ahmad und Wesam. Von Amman sind es keine 70 Kilometer bis nach Jerusalem.

Natürlich spürt man das in der Stadt – mehr als irgendwo anders im Land, mehr als am Toten Meer, von wo aus man die Hochhäuser von Jerusalem nachts im Mondschein leuchten sehen kann. Vor der Darat al Funun Galerie hängt ein Graffiti an der Wand, das Ahmad zusammen mit einem deutschen Künstler gestaltet hat. Auf der einen Seite des Eingangsportals aus alten beigen Steinen sieht man eine Hand, das ein Victoryzeichen macht.

„Man kann die Wände immer noch bunt anmalen“

Auf der anderen Seite sieht man die gleiche Hand, die ihre Finger kreuzt, wie man es als Kind getan hat, wenn man etwas versprach, dass man nicht halten wollte. Im Muster im Hintergrund erkennt man arabische Schriftzeichen, die sagen „Deine Wände sind hoch, aber unsere Ideen haben Flügel.“

„Aber selbst wenn die Wände hoch sind und die Flügel gestutzt werden, kann man die Wand immer noch bunt anmalen“, sagt Wesam. Er will sie zu einer Leinwand machen für die Träume der Söhne, die festsitzen in der Welt der Väter.