Agatti. Die kleine Inselgruppe der Lakkadiven im indischen Ozean entspricht wahrscheinlich dem, was man als Urlaubsparadies bezeichnen würde. Weiße Strände, türkisfarbenes Meer und eine Landschaft, in der noch nicht der große Tourismus angekommen ist.
Die Menschen hocken am Strand unter gewaltigen Kokospalmen wie aus der Bacardi-Werbung und flechten aus Palmwedelfasern sperrige Matten, die einmal die Wände neuer Hütten sein werden. Andere landen derweil mit ihren Dhonis, traditionellen Booten, an, laden den Fang aus und verkaufen die Ausbeute am Strand: Marlin, Red Snapper und Grouper.
Sie sind unterwegs mit Booten wie aus der Zeit, bevor Noah seine Arche gebaut hat. Sie wohnen in Hütten wie aus den Jahren, bevor Adam und Eva sich Gedanken um Äpfel, Schlangen oder Nachwuchs gemacht haben. „Bei uns ist es so wie auf den Malediven vor zig Jahren“, erklärt Radhakrishna Shenoi, der oft nach Agatti kommt und vom südindischen Festland stammt. „Und es wird wohl noch eine Zeit lang so bleiben.“
36 Palmen-Eilande
Mit den Inselnamen hier kann kaum ein Fremder etwas anfangen – außer vielleicht Richard Gere, der schon ein paar Mal hier war. Oder Lara Dutta, die mal Miss Universe war, heute ein Bollywood-Superstar ist und immer gerne hierher zurückkommt. Oder Vijali Mallya, Milliardär aus Indien, der hier gerne investieren möchte und dabei nur von der zögerlichen Haltung der Einheimischen in seinem Tatendrang gebremst wird. Sie alle haben die Lakkadiven für sich entdeckt, lange bevor andere es tun werden, bevor der große Tourismus im Paradies ankommen wird.
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36 Palmen-Eilande im Nirgendwo des Indischen Ozeans umfasst diese Inselgruppe eineinhalb Flugstunden westlich der südindischen Küstenstadt Kochi und gut eine Flugstunde nördlich der Malediven. Es sind grüne Stecknadelköpfe im endlosen Türkis des Meeres, und jede ist umgeben von einem schneeweißen Ring aus Sand. Nur neun der Eilande sind dauerhaft bewohnt, nur auf vieren gibt es Hotels. Abends wiegt sich der Palmenwald im Wind, irgendwer hat den Mond gehisst und die Sterne angeknipst. Kitschig? Übertrieben? Nicht hier.
Luxuriöse Lage
Es duftet nach Red Snapper-Curry mit Tamarindengewürz, nach Kokosraspel und ferner Welt. Fünf Meter vom Holztischchen rollen die Wellen des Indischen Ozeans aus, von weiter draußen klingen die Stimmen von zwei Fischern herüber, die mit ihrem Dhoni in der Lagune liegen und an Deck leise ihre Lieder singen.
Meist nur einmal am Tag schwebt eine Propellermaschine aus Kochi auf dem Airport von Agatti Island ein, die Insel ist kaum breiter als die Piste. Gleich in der Nachbarschaft befindet sich eines der Strandhotels. Wirkliche Sterne hat es auf den Lakkadiven nur bei Nacht. Sämtliche Hotels sind einfach, ihr Luxus ist die Lage, dieses „Aus-der-Welt-sein“.
Türkisfarbenes Wasser
Spätestens vom zweiten Tag an ist die Uhr egal, gelten Stunden nichts mehr, gibt es nur noch Aufstehen und Schlafengehen und den Tag dazwischen. Es gibt nichts Entspannenderes – außer vielleicht im warmen Meer mit seinem türkisfarbenen Glanz zu baden oder an einem der Riffs in der Lagune zu schnorcheln.
Und plötzlich ist sie da. Lautlos kam sie angesegelt, hat in ihrer unnachahmlichen Art elegante Schleifen gedreht und das alte Holzboot mit ihren Flossen umzirkelt. „Die große Meeresschildkröte fliegt durch unseren Ozean als wäre sie ein Vogel, und unser Wasser ist ihr Himmel“, sagt Faruk.
Ein kleines Paradies
Langsam gibt er Gas, und das Boot nimmt Fahrt auf. Der Mann mit dem Strohhut hockt auf einem schorfigen Brett am Ende seines blauen Bootes und steuert sein Dhoni mit dem Außenborder durch den Indischen Ozean – an diesem Vormittag von der Insel Bangaram über Parali hinüber nach Thinnakara. Er freut sich, scheint in sich hineinzulächeln und schweigt nach diesem Gefühlsausbruch. Faruk ist ein wortkarger Mann. Ein Kopfnicken, ein Fingerzeig, das ist viel bei ihm. Aber für die Riesenschildkröten kann er sich begeistern. Sie gehören in sein Paradies, das irgendwie aus der Welt gefallen ist.
Sendemasten für Mobiltelefone gehören nicht in seine Welt. Obwohl neuerdings zwei davon hier für ganz brauchbaren Handy-Empfang sorgen. „Das braucht man zuhause oder am Arbeitsplatz aber niemandem zu erzählen“, rät Faruk. Recht hat er: Es wäre zu schade, wenn ein Anrufer aus dem Alltag ein Freizeichen bekäme. Es passt einfach nicht hierher.