Essen. Kamerun ist zwar nur 475.000 Quadratmeter groß und füllt damit gerade ein Sechzigstel der Landmasse Afrikas. Dennoch gilt es als “Afrika im Kleinen“. Fast alles, was den Schwarzen Kontinent ausmacht, findet sich hier.
Höchste Zeit für das Morgennickerchen! Gemächlich heben sich drei nassgraue Walzen aus dem Fluss und stapfen die Sandbank hoch. Die Flusspferde sind die Stars des Bénoué-Nationalparks im Norden Kameruns. Auch jede Menge Antilopen und Krokodile tummeln sich hier. Elefanten, Löwen und Giraffen machen sich rar.
Kamerun gilt als „Afrika im Kleinen“. Fast alles, was den Kontinent ausmacht, findet sich hier: Mythen, Geschichte, Musik, Farbenpracht, eine überbordende Pflanzen- und Tierwelt sowie die unglaubliche Zahl von 240 Völkern und Dialekten. Auch landschaftlich ist Kamerun so etwas wie „Afrika in einem Land“. Den Osten und Süden bedecken Regenwälder. Im Westen erhebt sich schroffes Bergland. Im Südwesten erstrecken sich Plantagen und Strände. Der Norden repräsentiert mit den Savannen die weiten Ebenen Ostafrikas. Hier weiden knochige Rinder, die Erde ist rot, die Hütten aus Lehmziegeln. Männer in weiten Gewändern und Frauen in bunten Kleidern beherrschen das Bild.
Auch der Nachtzug von Ngaoundéré nach Süden ist ein Stück des gesamtafrikanischen Alltags. Kommt der Zug an einem Bahnhof an, erwacht die Nacht zum Leben. Frauen und Kinder rufen ihre Schätze aus: Bananen, Avocados, Honig in Flaschen! Gebratener Fisch, gebratene Schlangen!
Von der quirligen Hauptstadt Yaoundé aus führt die N 4 in die Provinz Nordwest. Um zehn Uhr morgens wirkt der Markt von Makénéne noch verschlafen. An den meisten Ständen bauen Frauen erst die Pyramiden mit Ananas, Maiskolben und Weißbrot auf. Doch ein paar Grillfeuer glimmen schon, Kochbananen und Yamswurzeln duften vom Rost. Auch die Frau mit dem Buschfleisch ist schon da: Antilope, Stachelschwein und Schuppentier hat sie heute.
Der König kommt gleich mit zwei Ehefrauen
In Bafut, im Westen, gibt sich der König höchstselbst die Ehre. Seine Majestät Fon Abumbi II, Oberhaupt des Bafut-Königreiches, dem 61 Gemeinden angehören, begrüßt die Besucher im prachtvollen Ornat, begleitet von seinen Frauen Nummer zwei und vier. Die Bafut hatten bis 1910 gegen die deutsche Kolonisation gekämpft, ehe sie sich ergaben. Anschließend ließen die Deutschen den abgebrannten Palast wieder aufbauen. „Deutsche Architektur“, sagt der König, und zeigt auf die gebrannten Ziegel, mit denen die 41 Gebäude errichtet wurden.
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Noch mehr Zeugnisse der deutschen Kolonialzeit von 1885 bis 1916 finden sich in der Provinz Südwest. Viele der endlosen Plantagen haben die Deutschen angelegt. Im kühlen Buéa am Fuß des Mont Cameroun, das die Deutschen 1901 als Hauptstadt gewählt hatten, residiert die Stadtverwaltung im ehemaligen Sitz des Gouverneurs Jesko von Puttkamer. Am Bismarckbrunnen steht ein Relief des nicht ganz getroffenen Reichskanzlers, auf dem deutschen Friedhof ruht „Otto Zann, Unterzahlmeister in der Kaiserlichen Schutztruppe“ nebst einem Dutzend Landsleute.
Große Wälder im Süden und Osten
Jetzt fehlen im Afrika-Puzzle nur noch der Süden und der Osten: die großen Wälder. Knapp zwei Stunden dauert der Anmarsch durch den Regenwald nach Mougui. Die Männer und Frauen, die uns begrüßen, sind Pygmäen vom Volk der Bakuda und zwischen 1,60 und 1,70 m groß. Sie tragen bunt geblümte Kleider oder Jeans – nackt ist hier niemand. Einige Männer überragen die anderen. Sie sind Bantu und hierhergekommen, um Heilung zu finden: Die Pygmäen von Mougui sind berühmt dafür, Menschen zu helfen, die verhext wurden.
Langsam spielen sich die Trommler warm, Frauen klopfen mit Klangstöcken auf Bambus. Und allmählich bilden sich Rhythmus und Melodie. Plötzlich schwingen sich aus dem Wald zwei Tänzer mit Grasröcken und Blättermasken in die Mitte. Mit Schellen um die Knöchel stampfen sie den Boden, treten die Luft, wirbeln im Kreis und werfen sich in den Staub – der Heilungsritus hat begonnen.
Spagat zwischen Zivilisation und Traditionen
Das Leben in Mougui ist jedoch keine Naturidylle. Der Anblick der Lumpen, der aufgedunsenen Kinderbäuche und der Plastiktütchen, aus denen Schwangere Billigwhisky saugen, zeigt, wie wenig der Spagat zwischen Zivilisation und ursprünglichem Leben gelingt. Und doch scheint es, als würden die Menschen in dieser Nacht sich selbst wiederfinden und kurz Kraft aus einer Quelle schöpfen, zu der sie nur noch selten Zugang finden.
Die Besucher taumeln irgendwann todmüde in ihr Zelt. Der Rhythmus aber begleitet sie durch die Nacht, wie der Widerhall eines Afrika, das sie längst verschwunden glaubten – das es hier in Kamerun doch immer noch gibt.