Schottland. Im Nordosten Schottlands zieht der atlantische Lachs von der Nordseeküste zum Laichen zurück in seine Heimat, die Highlands. Tausende Kilometer und Stromschnellen überwindet er dabei, um nach dem Laichvorgang genau an diesem Ort auch zu sterben.

Am Horizont, weit im Norden, hat Malcolm Milne ein Segelschiff erkannt, so klein, dass man es selbst mit dem Fernglas kaum sehen kann. Unsere Reise beginnt irgendwo da draußen, wo sich Himmel und Meer berühren.

„Ein großer Teil ihres Lebens spielt sich im Atlantik ab“, erzählt der Reiseführer. „Irgendwoher aber wissen sie, dass ihre Heimat die Highlands sind.“ Wir sind unterwegs im Nordosten Schottlands. Unsere Route ist fast so alt wie die Berge und Täler selbst. Denn unser wahrer Reiseführer ist ein Fisch mit dem Namen „salmo salar“. Wer dem Atlantischen Lachs von der Nordseeküste in die Highlands folgt, durchquert eine der interessantesten Kulturlandschaften Großbritanniens. Wenn Malcolm Milne von den schottischen Lachsen spricht, schwingt in seiner Stimme Stolz mit. Was treibt einen Fisch, der einen Großteil seines Lebens in den Weiten des Ozeans verbringt, in ein Rinnsal zwischen dunklen Berghängen? „Es kann nur Heimweh nach den Highlands sein. Ein echter Schotte eben.“

Der Atlantische Lachs legt tausende Kilometer auf seinen Fernreisen zurück, bevor es ihn an den Ort seiner Kindheit zurückzieht, ein Bergbach in den Highlands. Niemand kann genau sagen, wie der Lachs unter Hunderten von Flüssen und Bächen, die Richtung Nordsee fließen, genau denjenigen wiederfindet, wo er einst geboren wurde. Hierher kehrt er zum Laichen zurück.

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Von DerWesten

Der Nordosten Schottlands ist berühmt für seine Lachswanderungen. Schon zu römischen Zeiten folgten Kaufleute und Abenteuerlustige der weit gereisten Delikatesse auf ihrem Weg ins Hochland.

Viele Reisende lassen den Osten auf ihrem Weg von Edinburgh über Loch Ness zur Insel Skye und den Hebriden unbeachtet. Ihnen entgeht einer der reizvollsten Küstenabschnitte Großbritanniens. Die Kulturgeschichte ist in Aberdeenshire eng mit der rauen Naturlandschaft verbunden. Nirgendwo im Vereinigten Königreich gibt es mehr Burgen, Schlösser, Herrenhäuser und Ruinen pro Hektar.

Den Lachsen mag die Schönheit der Landschaft egal sein. Vielleicht dürfte es sie trösten, dass die ehemaligen Fischerdörfchen Pennan, Crovie und Gardenstown heute allesamt nicht mehr allein vom Fischfang leben. In winzigen Buchten zwischen steilen Felshängen ziehen sie heute Tagesausflügler und Romantiker an.

Hunderte von Stromschnellen müssen die Lachse überwinden, bis sie endlich ihren Geburtsort erreicht haben.

Lachse wissen, wann sich der Sprung lohnt

An den Wasserfällen von Glencalvie am Oberlauf des River Carron kann man sie dabei beobachten, wie sie mit todesmutigen Sprüngen mehrere Kaskaden überwinden. Manchmal landen sie dabei am Ufer, ihre kraftvollen Körper klatschen auf den schwarzen Fels. Für Alex Murray sind die Lachse wie alte Freunde. Jedes Jahr im Frühling kehren die ersten Fische in den Upper Carron zurück, die letzten erst im September. Jetzt im Sommer sitzt der Ranger abends gerne an den Wasserfällen und sieht ihnen stundenlang zu, wie sie mit der übermächtigen Kraft des Wassers ringen.

„Sie sind unglaublich intelligent“, sagt der 25-jährige Ranger des Wildreservats. Seit zwei Jahren arbeitet er bereits in Alladale. „Sie wissen genau, wie sie die Strömung einschätzen müssen und wann sich das Risiko zum Sprung lohnt.“

Haben die Fische einmal das Wildreservat erreicht, droht ihnen keine Gefahr mehr – zumindest nicht vom Menschen. In den Gebirgsbächen von Alladale können sie ungestört laichen. „Wir fischen hier oben keine Lachse“, sagt Murray. „Schon deswegen nicht, weil sie hier ganz entkräftet ankommen. Wer es hierher geschafft hat, hat sich seine Freiheit verdient.“

Alladale als Wildreservat

Alladale ist eine merkwürdige Heimat für einen Fisch, der einen Großteil seines Lebens auf dem offenen Ozean verbracht hat. Die dunklen Schatten von federweißen Wolken fliegen über das enge Tal, wandern die steilen Berghänge hinab, wo sich die silberne Schlangenlinie eines Gebirgsflüsschens ihrer Mündung in den River Carron entgegenwindet. Vor sieben Jahren beschloss der englische Multimillionär Paul Lister das ehemalige Jagdrevier Alladale zum Wildreservat umzugestalten. Er ließ Tausende einheimische Baumarten pflanzen und träumt gar davon, dass hier in den entlegensten Gebirgszügen der Highlands wieder Wisente, Wölfe und Bären durch die Kiefernwälder streifen.

Alex Murray hat sich bereits seine dritte Zigarette gedreht und schaut noch immer den springenden Fischen nach. „Ich könnte Stunden hier sitzen und einfach nur zusehen, wie sie mit dem Wasser kämpfen“, sagt er. Wenn die Lachse, die letzten Stromschnellen überwinden, sind sie am Ziel. Viele von ihnen werden nie wieder den Ozean sehen. Nach dem Laichvorgang sterben sie genau an dem Ort, wo sie einst als Larve das Licht der Welt erblickten.