Essen. . Der 258 Kilometer lange niederländische Abschnitt des Rheinradweges führt durch alte Landschaften und vorbei an Deichen, Grachten und unzähligen Sehenswürdigkeiten bis hin zum Meer. Bei einer solchen Fahrradtour gilt: Der Weg ist das Ziel.
Das Meer. Nicht der Weg. Ausnahmsweise ist das Meer das Ziel. Von der deutsch-niederländischen Grenze bei Millingen aan de Rijn geht es mit dem Fahrrad bis an die Nordsee – immer am Rhein entlang. Oder besser gesagt: an einem der vielen Rheinarme. Zwar fließt Vater Rhein wie in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland auch in Holland durch Mutter Erde, doch je mehr sich Europas mächtigster Fluss der Mündung nähert, umso mehr splittert er sich in Nebenarme auf.
Ausgedehnte Flussgebiet
Der 258 Kilometer lange niederländische Abschnitt des Rheinradweges führt durch wunderschöne alte Landschaften, die von berühmten Malern künstlerisch ins Bild gerückt wurden. Entlang von Deichen und Grachten, Feldern und Obstwiesen erschließt sich das ausgedehnte Flussgebiet zwischen Lek und Maas mit der Waal in der Mitte. Zu den städtebaulichen Höhepunkten der Tour zählen die historisch bedeutenden Städte und Fleckchen wie Dordrecht, Buren und Woudrichem. Ein Kontrast bildet das geschäftige Rotterdam. Daneben erfreut typisch niederländische Architektur mit Bauernhäusern und Mühlen, abgerundet wird die vom Fahrradsattel aus erlebte Vielfalt durch die Brandung der Nordsee und dem weitläufigen Strand am Zielort Hoek van Holland.
Von der Größe des Rhein-Deltas ist beim Start in Millingen aan de Rijn nur wenig zu erahnen. Gemütlich geht es mit einer Radfahrer-Fähre über den Fluss nach Pannerden, um dann Richtung Arnheim zu rollen. Aus der Silhouette der Stadt ragt der Turm der Eusebiuskirche heraus – vom Gotteshaus kann man sich in 73 Meter Höhe einen Überblick über Arnheim verschaffen.
Holland ist nicht immer flach wie ein Knäckebrot
Unterhalb des belebten Einkaufszentrums befinden sich 40 miteinander verbundene, mittelalterlich restaurierte Keller, die ebenso sehenswert sind wie das Nederlands Openluchtmuseum. Seit 1918 macht die Freilichtausstellung 350 Jahre niederländische Lebensart und Geschichte erlebbar. Bekannt ist Arnheim auch für die im Zweiten Weltkrieg hart umkämpfte John-Frost-Brücke. Direkt neben der Rheinquerung, deren Verteidigung 3000 Soldaten das Leben kostete, liegt die Informationsstelle, die multimedial einen Eindruck von den schrecklichen Ereignissen im Spätsommer 1944 vermittelt.
Wer meint, die Niederlande wären flach wie eine Knäckebrotscheibe, der wird sich auf dem Abschnitt nach Rhenen wundern: Es geht durch kleine Wäldchen, über Deiche, vorbei an Kriegsdenkmälern und entlang von Feldern zahlreiche Hügel hinauf und wieder hinunter. Rhenen selbst schmiegt sich mit seiner spätgotischen Cunerakirche an die Hänge des Grebbebergs.
„Oranjestad“ Buren lädt die zu einer Zeitreise ein
Breite Alleen prägen das Landschaftsbild des folgenden Abschnitts bis Gorinchem. Hinzu kommen herrliche Birnen- und Apfelplantagen und Dörfchen mit gepflegten Gärten. Lange geht es am Flüsschen Linge entlang. Die I-Tüpfelchen sind dabei herrlich restaurierte Windmühlen, das Schloss Amerongen aus dem 17. Jahrhundert, Wijk bij Duurstede mit seinem mittelalterlichen Stadtkern und die alte „Oranjestad“ Buren, die zu einer Zeitreise einlädt.
Jünger und weniger attraktiv ist Gorinchem, obschon die 35 000-Seelen-Gemeinde eine in Teilen bis zu 400 Jahre alte Stadtmauer mit dem Dalemer Stadttor sowie schöne Häuserfassaden am Hafen und am Grote Markt aufweisen kann. Nur eine kurze Fährfahrt entfernt präsentiert sich die alte Festungsstadt Woudrichem mit einem prächtigen mittelalterlichen Kern, ehe es durch das 9000 Hektar große, fast menschenleere Naturschutzgebiet De Biesbosch nach Dordrecht geht.
Meist befahrenen Flussknotenpunkt Europas
Im Zeichen des Wassers steht auch Dordrecht. Der „Große Hafenkopf“, wo Merwede, Oude Maas und Noord zusammenfließen, avanciert mit 150 000 Schiffen pro Jahr zum meist befahrenen Flussknotenpunkt Europas. Im Zentrum zählen die elegante Wijnstraat mit ihren Kaufmannshäusern und die große Kirche zu den Blickfängen.
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Jetzt folgt der wohl „niederländischste“ Teil der Route: Das Unesco-Weltkulturerbe Kinderdijk ist mit seinen 19 Mühlen wohl unumstritten das beliebteste Fotomotiv des Landes. Einen jähen Kontrast dazu bietet schon wenig später Rotterdam mit seinen modernen Häuserkomplexen und Bauwerken wie den Kubus-Wohnungen von Piet Blom am Oude Haven und der Erasmusbrücke sowie dem größten Seehafen Europas. Dabei wird die zweitgrößte Stadt der Niederlande ihrem Ruf als einem der wichtigsten kulturellen Zentren des Landes durch eine Reihe von Museen gerecht. Ein beliebtes Fotomotiv in Rotterdam ist der Walk of Fame Europe. Mehr als 220 Stars und Sternchen haben ihre Hand- und Fußabdrücke auf dem Schiedamsedijk verewigt.
Und schon ist es Zeit für den 37 Kilometer langen Schlussspurt entlang der Nieuwe Maas und des Nieuwe Waterwegs Richtung Nordseemündung. Hinter Schiedem, der Hauptstadt des Jenevers, und dem schnuckeligen Maassluis wartet mit dem 1997 gebauten Maeslantkering ein kleines technisches Wunderwerk. Das 600 Millionen Euro teure Sturmflut-Wehr soll mit seinen 20 Meter hohen und über 200 Meter langen Toren verhindern, das Rotterdam und weite Teile der Niederlande überflutet werden.
Ein Pier schiebt sich in Hoek weit hinaus in die Nordsee
Hoek van Holland hat sich trotz eines geschäftigen Hafens den Charme des Badeortes mit breitem Sandstrand bewahrt. Am Maasmond, wie der Zusammenfluss von Nieuwe Waterweg und Nordsee heißt, schiebt sich ein kilometerlanger Pier, der Noorderhoofd, hinaus aufs Meer. Am äußersten Zipfel angelangt, schweifen nach 258 Kilometern im Sattel die Blicke hinaus aufs offene Meer. Auf der einen Seite verspürt hier jeder Stolz über die bewältigte Strecke, auf der anderen Seite schwingt auch ein wenig Wehmut darüber mit, dass die Tour hier endet. Als Trost bleibt der Gedanke, dass noch weitere gut 1000 Kilometer von der Quelle in der Schweiz bis zur deutsch-niederländischen Grenze darauf warten, „erfahren“ zu werden.