Neapel. Die italienische Metropole Neapel hat einen eher zwiegespaltenen Ruf - und so präsentiert sich die Stadt auch. Arm und Reich liegen eng bei einander.

Das ist ein atemberaubender Anblick: Hoch oben auf dem Vomero liegt dem Besucher Neapel zu Füßen. Nicht nur die Millionenmetropole Italiens mit dem ramponierten Ruf. Nein, auch das Mittelmeer, das hier türkisblau in der sengenden Sonne schimmert. Postkartenidylle: geradeaus thront so gar nicht bedrohlich der Vesuv, rechts am Horizont liegt das oft besungene Capri, wo die rote Sonne auch an diesem Abend wieder im Meer versinken wird.

Auf dem Vomero, der alten Oberstadt, ist es vergleichsweise still. Weitläufige Platanenalleen, Jugendstilhäuser und beachtliche Palazzi laden zum entspannten Bummel ein. Katzen dösen auf ausladenden Balkonbrüstungen in der Sonne. Kleine rosa Kissen, aufgehängt an großen Eisentoren, verkünden den Nachbarn „nata una bimba“. Heile Welt im früheren Jagdrevier der Bourbonen.

Schein und Sein klaffen auseinander

Die Standseilbahn katapultiert den Besucher zurück ins hektische Treiben der Altstadt, die 1995 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt wurde. Entlang der „Spaccanapoli“, der „Spalte“ Neapels, einer fast zwei Kilometer langen, engen Gasse, reihen sich die Sehenswürdigkeiten auf. Burgen, Paläste, Kirchen und Klöster. Einen wunderbaren Moment der Entspannung nach einer Tour durch die fast unzählbaren historischen Kulturdenkmäler bietet der Kreuzgang der gotischen Kirche Santa Chiara mit seinen außergewöhnlichen Majolika-Bänken.

Vom 14. bis 19. Jahrhundert haben hier bis zu 400 Klarissinnen gelebt – nicht unbedingt keusch. „Die Nachbarn haben sich immer wieder über den Lärm beklagt“, erzählt Reiseleiterin Esther Kohl. Schein und Sein klaffen in Neapel zuweilen weit auseinander.

Alte Fassaden werden "verpackt"

Ein paar Meter weiter, an der Piazzetta Nilo, trifft man auf eine Götzenverehrung besonderer Art: In der gleichnamigen Bar haben sie ihrem Idol Diego Maradona einen Altar errichtet und ganz viele Euros drangehängt. Schräg gegenüber in der kleinen Via San Gregorio Armeno steht Angela Merkel, die Hände zum Gebet gefaltet, lächelnd. Der Körper aus Stroh, der Kopf aus Gips geformt. Für ein paar Euro kann man die deutsche Kanzlerin und Capri-Liebhaberin kaufen, in die heimische Krippe integrieren. Franz von Assisi soll die neapolitanische Krippe im 12. Jahrhundert erfunden haben. Vor allem die gut situierte Gesellschaft baut seitdem zwischen dem 8. Dezember und 6. Januar ausladende Landschaften unter dem Tannenbaum auf. „Sie wollten sich die Volkstümlichkeit in den Palast holen“, sagt Esther Kohl. „Eine geschönte Realität, ohne Hunger, ohne Sorgen.“

„Diese Stadt ist reell, keine Fälschung.“ Claudio Morelli, ein Fotograf, der mit zwei Freunden im schicken Chiara-Viertel die Galerie „Pantesia“ betreibt, weiß um die Widersprüche seiner Heimatstadt. Neapel, die drittgrößte Stadt Italiens, habe großes Potenzial, sei aber, anders als Rom und Mailand, noch nicht in Europa angekommen. Neapel, der Moloch, negiert die eigenen Unzulänglichkeiten nicht. In Mauerlöchern nisten Tauben, überall bröckelt der Putz von den Fassaden, im Chiara-Viertel sind vom Gran Caffè Gambrinus über das Opernhaus Teatro San Carlo bis zum klassizistischen Konsumpalast Galeria Umberto fast alle historischen Gebäude eingerüstet. „Im letzten Jahr wurde ein Jugendlicher von einem Fassadenstein der Galeria erschlagen. Seitdem verpacken sie alles“, berichtet Esther Kohl.

Wunderbarer Ausgangspunkt

Reise-Infos

Anreise: Mit Air Berlin (030/34 34 34 34, www.airberlin.com) oder Germanwings (01806/32 03 20, www.germanwings.com) ab Düsseldorf nach Neapel.

Veranstalter: Studiosus (www.studiosus.com) bietet die achttägige smart&small-Reise „Den Alltag vergessen am Golf von Neapel“ ab 1845 Euro pro Person.
Schauinsland Reisen (www.schauinsland-reisen.de) bietet sieben Tage im Vier Sterne-Hotel Michelangelo in Sorrent ab 901 Euro pro Person (Doppelzimmer/Halbpension)

Kontakt: Italienische Zentrale für Tourismus, 069/23 74 34, www.italia.it

Im Refugium der Schönen und Reichen, im Bereich des Jachthafens, der sich östlich des Castell dell‘Ovo erstreckt, oder westlich, wo Kleinstadt-große Kreuzfahrtschiffe allmorgendlich tausende Touristen ausspeien, stolpert man auch über Müllberge oder die Mafia. Die für die Stadt so berüchtigten Erscheinungen findet man eher im an die Altstadt grenzenden Stadtviertel Sanità. Dort leben die Vergessenen und Perspektivlosen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, und gäbe es nicht die Kooperative „La Varanza“ in der Basilika Santa Maria della Sanità, hätten auch der 18-jährige Mariano und sein 20-jähriger Kumpel Vinzenco keinen Job. Hier betreuen sie ein Bed & Breakfast-Hotel, proben mit der Theatergruppe im Schatten der Sakristei. „Hoffnung“ heißt „Varanza“ übersetzt und für die beiden Freunde ist sie das. Im September wollen sie die Aufnahmeprüfung an der Theaterakademie schaffen. Die Mitarbeiter der Kooperative haben die Katakomben von Sanità freigelegt, die Nekropolen von Neapel, wo sich bis zur Ankunft Napoleons 1806 die reichen Bürger der Stadt bestatten ließen. Über 60.000 Touristen tauchen alljährlich in die Unterwelt ab.

Neapel hat mehr Aufmerksamkeit verdient, denn die Stadt ist weit mehr als Moloch, Müll und Mafia. Die Metropole kann mit seinem morbiden Charme punkten und zählt sicher zu einer der interessantesten des Landes. Zudem ist Neapel ein wunderbarer Ausgangspunkt für Touren in die Umgebung – zum Vesuv, zu den Ausgrabungsstätten in Herculaneum und Pompeji, zur traumhaften Amalfi-Küste oder zu den Capri-Fischern.