Roberto Saviano machte sich mit seinem Buch „Gomorrha“ die Mafia zum lebenslangen Feind. Jetzt erzählt der Mann, der wohl den Rest seines Lebens unter Polizeischutz zubringen muss, von der ungeahnten Weltmacht der weißen Droge, die ganze Flugzeuge in der Wüste verschwinden lässt.

Mit 26 Jahren hat der Neapolitaner Roberto Saviano sein Leben ruiniert. Da schrieb er, 2006 war das, den Reality-Roman „Gomorrha“ mit einer so fulminanten Anklage gegen den Camorra-Clan der Casalesi, dass er seither unter Polizeischutz leben muss. 24 Stunden am Tag. Versteckt und getarnt, an ständig wechselnden Orten: ein Gefangener seines Mutes, dessen Freilassung einer Exekution gleichkäme.

„War es das wert?“ fragt sich Saviano selbstquälerisch heute, und antwortet mit einem klaren Nein: „Der halben Welt habe ich neapolitanisches Blut in die Ohren geträufelt, und vor Ort ist alles beim Alten geblieben.“ Nur er selbst hat sich verändert, er ist allzu tief ins Böse eingestiegen: „Wenn du über etwas stolperst, fängst du an, überall Verschwörung, Geheimversammlungen, Logen und Spitzel zu sehen.“

Saviano hat trotzdem weitergemacht. Er konnte nicht anders. „Besessenheit“ attestiert er sich selbst, sie spiegelt sich auf jeder Seite seines neuen Buches wider: In „Zero Zero Zero“, soeben auf Deutsch erschienen, zeichnet Saviano die Welt des Kokains nach.

„Ein neues Bürgertum“

„Über Kokain zu schreiben ist, wie selbst welches zu nehmen. Du verlangst nach immer mehr.“ Er sei, sagt Saviano, bei seinen Recherchen so tief „in die Höllenkreise des weißen Pulvers“ eingedrungen, dass er „keine Weltkarte mehr ansehen kann, ohne darauf Transportrouten und Vertriebsstrategien zu erkennen.“ In Städten „nehme ich nicht mehr die Schönheit eines Platzes wahr, sondern frage mich, ob er sich zum Dealen eignen könnte“. Und bei den Menschen, die durch die Einkaufsstraßen flanieren, schlägt er sich an den Kopf: „Ich merke, dass die Leute keine Ahnung haben. Da fließt ein Strom unter den großen Städten durch, ein Strom, der in Südamerika entspringt, Afrika durchquert und sich überall hin verzweigt. Und die Menschen: hören sie denn gar nichts davon?“

Noch viel lauter schlägt jetzt Saviano seine Trommel. So blutrünstig, wie „Zero Zero Zero“ den Konkurrenzkampf kolumbianischer und mexikanischer Drogenkartelle beschreibt – „auf den Straßen liegen zerstückelte Leichen in Plastiksäcken“ – hat man es noch nicht gelesen. Nach der gefühlt fünfhundertsten Enthauptung könnte sich beim Leser allerdings ein Ermüdungseffekt einstellen.

Faszinierender sind jene Stränge dieser Erzählung, in denen Saviano die unglaubliche Wirtschaftsmacht der Kokainhändler beschreibt, die ganze Schiffs-, U-Boot- und Boeing-727-Flotten zum Transport des weißen Pulvers un­terhalten und es sich leisten können, große Transportflugzeuge irgendwo in der Wüste zu versenken: Den Profit dieser „multinationalen Konzerne“ schmälert das nur minimal. Saviano zieht aber den Fokus weiter auf. Er will, dass seine Leser von einem ebenso lieb gewordenen wie falschen Mafiabild abrücken: „Die Mafia“ besteht ja nicht nur aus irgendwelchen Schurken, die in Hinterzimmern Untaten auskungeln. Sie greift auch nicht bloß auf ein paar korrupte Politiker, Wirtschafter, Banker über, sondern geht viel weiter: „Ein neues mafiöses Bürgertum hat heute den Kokainschmuggel fest im Griff.“

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„Die Zahl der Akteure ist gestiegen, sie vervielfachen sich rasend schnell“, sagt Saviano. Ohne die maßlos gestiegene Nachfrage in den „reichen“ Ländern kämen die lateinamerikanischen Drogenkartelle nicht weit. „Kokain“, sagt Saviano, „ist die erschöpfende Antwort auf das dringendste Bedürfnis unserer Zeit: die Aufhebung von Grenzen“.

Die Grundlage des „Big Bang“

Seine Hauptdiagnose aber ist, dass sich die Welt längst ums Kokain dreht und von diesem gesteuert wird. An Mexiko glaubt Saviano zeigen zu können, dass ganze „Demokratien von Drogenhandelsströmen umgestaltet“ worden seien. Ferner bestehe die Gefahr, dass mafiöse Organisationen mit ihrem immensen Kapital „das Zünglein an der Waage bilden, damit das Weltfinanzsystem Bestand hat.“

Die Macht der Kartelle, darin gipfelt Savianos These, „hat die Grundlagen der modernen Welt gelegt. Von hier nahm der Big Bang seinen Ausgang.“ Alle koksen, singt Saviano in seiner hymnischen Einleitung: „Wenn du das nicht merkst, bist du entweder blind oder du machst dir etwas vor. Oder du selbst bist derjenige, der kokst.“

Auch eine Möglichkeit, jedes „ja aber“ im Keim zu ersticken.