Durch Napoleon wurden die Rheinhessen Franzosen – mit dem Wiener Kongress kamen sie wieder zurück: Vom Juli 1816 ist die „Besitzergreifungsurkunde“ des Großherzogs Ludwig I. datiert. Seine neue linksrheinische Provinz hieß „Rheinhessen“. Was macht den Landstrich um Worms, Bingen und Mainz eigentlich aus? Wir hätten da ein paar Dinge:

Die Sprache...
...unvergleichlich. „Kummgefort“ heißt „Lass mich in Ruhe!“. Fragt man „uffmugge?“ bedeutet das: „Willst du Ärger machen?“ Die Überlegenheit der Praxis gegenüber der Theorie formuliert die Wendung „Nit soviel babbele. Schaffe!“ Dass sich auf der rheinhessischen Zunge manches verwäscht, lässt schöne Doppeldeutigkeiten zu. Die berühmt-berüchtigte Weinlage „Oppenheimer Krötenbrunnen“ kreist einerseits um ein Feuchtbiotop, das Froschlurche magisch anzog. Andererseits weiß die Legende vom Stelldichein eines Winzers am gleichen Ort mit einer Magd namens Margarete. Die wiederum nennt der Rheinhesse akustisch präzis wie Kröte: Beide heißen „Grede“, was dem „Grede-Brunne“ bis heute anhängt.

Am Krötenbrunnen
Weine wie Oppenheimer Krötenbrunnen und Wormser Liebfrauenmilch waren unter Kennern lange als süß und billig gefürchtet. Tatsächlich hat Rheinhessen in den letzten 25 Jahren eine Qualitätsoffensive erlebt, aus der eine neue Winzergeneration die eigentlichen Stärken mit Kunst und Können hervor kitzelt. Das ist für Rheinhessen im Grunde gar nicht neu: Schon Goethe und Kleist schwärmten vom „Niersteiner“. Und heute könnten sie es wieder: Überall streben ehrgeizige Weinmacher nach Spitzenqualität. Manche ergötzen Wein und Auge. Wer oberhalb Niersteins bei engagierten Top-Winzern wie Stefan Raddeck oder Theo Gehring einkehrt, dem liegt Rheinhessen zu Füßen: Bei gutem Wetter hat man Sicht bis Frankfurt.

Guter Wein ist im größten deutschen Weinbaugebiet immer noch vergleichsweise günstig. Fesche neue Vinotheken (mustergültig: P.J. Valckenberg am Wormser Weckerlingplatz) zeigen stolz die Bandbreite.

Die Nibelungen...
...sind viel älter als die Gebietsreform, aber ein Markenartikel, der boomt. 2016 gibt es sogar Nibelungenwein. Es ist ein Weißburgunder („blumige Nase“, „harmonische Säure“). Und wie die nicht eben zimperliche Heldensippe selbst hat man ihn zum Botschafter der Festspielstadt Worms gemacht. Die Domtreppe soll Austragungsort des berühmten Streits zwischen Kriemhild und Brünhild gewesen sein.

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Das hat viel Theater gegeben, bis heute: Im 15. Jahr kreuzen hier Hagen, Gunther, Kriemhild und Brunhild abendlich auf der Sommer-Bühne vor dem Wormser Dom die Klingen. Der Clou der Zeitgenossenschaft: Es werden nicht wiederkäuend „alte Maeren“ geritten. Jährlich tritt ein neuer Dramatiker an, Funken der Aktualität aus dem blutigen Kampf um die Macht zu schlagen. 2016 geht es um „Gold“ aus der Traumfabrik: Albert Ostermaiers Nibelungen-Bearbeitung rankt sich um eine Filmproduktion. Wie jedes Jahr spannt man ein paar Zugpferde vor den Heroen-Karren. Uwe Ochsenknecht ist dabei. Und er trifft nach 30 Jahren seinen alten Sparringspartner aus Doris Dörries „Männer“ wieder: Heiner Lauterbach gastiert als Bürgermeister von Worms, allerdings nur per Video-Schalte.

Wem das zu viel Theater ist: Ein tolles Museum, effektvoll vom „Mythenlabor“ bis zum „Sehturm“ ausstaffiert, erzählt mitten in Worms was man von den Nibelungen weiß – und wissen sollte. Sehenswert außerdem: der alte Judenfriedhof und das wuchtige Denkmal, das an Luthers „Hier stehe ich und kann nicht anders!“ auf dem Wormser Reichstag 1521 erinnert.
INFO: Die Festspiele in Worms finden noch bis zum 31. Juli am Dom statt. Karten:
www.nibelungenfestspiele.de
Nibelungenmuseum, Fischerpförtchen 10, familientauglich: www.nibelungenmuseum.de

Institution zu Tisch
Soviel Geschichte macht durstig. Da empfehlen wir nachdrücklich die erfrischende Einkehr in eine andere Säule rheinhessischer Kultur: die „Weinstubb“. Überall gibt es sie. Manche tischt ganz einfach auf (so wie man anderswo sein Feierabendpils zischt), dazu gehört ein bisschen Spundekäs. Vereinfacht: ein herzhaft angemachter Quark, dessen lyrisches Potenzial freilich nicht zu unterschätzen ist („Ein jeder wääß, zum achte Gläsje, gehört dem Mensch e Spundekäsje“). Wer die rheinhessische Weinstube auf höchster Genuss-Kulturstufe erleben will, dem sei zum Besuch bei „Geberts“ geraten. Fünf Generationen! 1887 haben die Geberts als Bäcker angefangen. Heute regieren Seezunge, Kalbskopf oder das berühmte Bürgermeisterstück (Geschmortes vom Rind). Eine richtig gute Adresse zum Verschnaufen beim Mainzer Stadtbummel.
INFO: Geberts Weinstuben, Frauenlobstraße 94, 55118 Mainz, www.geberts-weinstuben.de