Carcassonne. Wo früher Frachtschiffe fuhren, boomt heute der Hausboottourismus. Der Canal du Midi in Süd-Frankreich bietet Urlaubern ein entschleunigtes Vergnügen.

Rien ne va plus, nichts geht mehr. Gut einen Kilometer westlich von Capestang ist eine große Platane in den Kanal gestürzt. In der Nacht zuvor war ein Gewitter durch die Region zwischen Béziers und Carcassonne gezogen. Nun scheint wieder die Sonne.

Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi
Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi" von Christian Röwekamp vom 10. Mai 2016: Von Toulouse zum Mittelmeer sind es mit dem Auto nur knapp zwei Stunden Fahrt, eine Hausboottour auf dem Canal du Midi dauert gut und gerne vier Tage. Doch erst so lernen Touristen die Region richtig kennen. © dpa-infografik

Für den Moment ist der Bootstourismus in diesem Abschnitt des Canal du Midi völlig zum Stillstand gekommen. Einen Gang herunterschalten, alles etwas langsamer angehen - das ist bei einem Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi ohnehin das Programm. Mit maximal sechs bis acht Kilometern pro Stunde tuckern die schwimmenden Wohnwagen an den Weinbergen und Sonnenblumenfeldern der französischen Region Languedoc-Roussillon vorbei. Leicht verschärftes Schritttempo also. Der umgestürzte Baum bei Capestang treibt das Entschleunigungsprogramm des Canal du Midi also nur auf die Spitze.

Hausbooturlaub ist heute die wichtigste Aktivität auf dem Kanal, der von 1667 bis 1681 für den Frachtverkehr gebaut wurde. Er ermöglichte damals erstmals, Güter per Schiff zwischen Frankreichs Atlantik- und Mittelmeerküste zu bewegen, ohne die iberische Halbinsel umrunden zu müssen. Über 240 Kilometer verbindet der zum Unesco-Weltkulturerbe gehörende Kanal die Großstadt Toulouse und die Salzwasserlagune Étang de Thau bei Sète am Mittelmeer. Manche Boote sind für acht bis zehn Personen ausgelegt und werden von Familien samt Oma und Opa genutzt. Andere bieten gerade mal vier Fahrgästen Platz. Fast alle dürfen ohne Führerschein bewegt werden: Die Freizeitkapitäne erhalten eine kurze, begleitete Einführungsfahrt an der Bootsbasis - und das muss reichen.

Touristen beobachten das Hinauf- und Hinabschleusen

Schnell ist man an heißen Tagen versucht, sich im Kanal Abkühlung zu verschaffen. Das aber ist verboten: Das Kanalwasser ist nicht nur wegen der Schiffsbewegungen eine trübe Brühe, sondern auch weil die Hausboote ihre Spülbecken, Duschen und Toiletten darin entleeren.

Wer schwimmen gehen möchte, hat entlang des Kanals nicht allzu viele Möglichkeiten - eine besonders schöne allerdings ist der Natursee Lac de Jouarres bei Homps, per Fahrrad in 20 Minuten gut erreichbar. Homps bietet sich nicht nur wegen des Sees für einen Stopp an, hier gibt es auch gute Restaurants und Cafés direkt am Kanal. Gleiches gilt für Le Somail etwas weiter östlich.

Hausbooturlaub auf dem Canal du Midi

Ruhiges Reisen auf dem Kanal: Die Radler auf den Treidelpfaden sind meist schneller als die Boote.
Ruhiges Reisen auf dem Kanal: Die Radler auf den Treidelpfaden sind meist schneller als die Boote. © dpa/Christian Röwekamp
Kein Durchkommen mehr: Ein ins Wasser gestürzter Baum bremst westlich von Capestang den Schiffsverkehr auf dem Canal du Midi.
Kein Durchkommen mehr: Ein ins Wasser gestürzter Baum bremst westlich von Capestang den Schiffsverkehr auf dem Canal du Midi. © dpa/Christian Röwekamp
Neben Hausbooten sind auch einige umgebaute Frachtkähne als Urlauberunterkünfte auf dem Canal du Midi unterwegs.
Neben Hausbooten sind auch einige umgebaute Frachtkähne als Urlauberunterkünfte auf dem Canal du Midi unterwegs. © dpa/Christian Röwekamp
Bereits im Mittelalter trockengelegt: Die Salzwasserlagune Étang de Montady bei Colombièrs liegt nur wenige Fahrradminuten vom Canal du Midi entfernt und wird seit Jahrhunderten landwirtschaftlich genutzt.
Bereits im Mittelalter trockengelegt: Die Salzwasserlagune Étang de Montady bei Colombièrs liegt nur wenige Fahrradminuten vom Canal du Midi entfernt und wird seit Jahrhunderten landwirtschaftlich genutzt. © dpa/Christian Röwekamp
Mauern aus dem Mittelalter: Die Cité von Carcassonne hoch über dem Fluss Aude bietet einen prächtigen Anblick.
Mauern aus dem Mittelalter: Die Cité von Carcassonne hoch über dem Fluss Aude bietet einen prächtigen Anblick. © dpa/Christian Röwekamp
Bummel durch die Altstadt: Die Cité von Carcassonne lohnt einen Besuch.
Bummel durch die Altstadt: Die Cité von Carcassonne lohnt einen Besuch. © dpa/Christian Röwekamp
Gedränge im Oval: In den Schleusen des Canal du Midi werden oft drei, manchmal sogar vier Hausboote gleichzeitig bewegt.
Gedränge im Oval: In den Schleusen des Canal du Midi werden oft drei, manchmal sogar vier Hausboote gleichzeitig bewegt. © dpa/Christian Röwekamp
Wasser marsch: Wer mit dem Hausboot den gesamten Canal du Midi befährt, muss 63 Schleusenanlagen mit 98 Schleusenkammern durchqueren.
Wasser marsch: Wer mit dem Hausboot den gesamten Canal du Midi befährt, muss 63 Schleusenanlagen mit 98 Schleusenkammern durchqueren. © dpa/Christian Röwekamp
Das größte Bauwerk des Kanals: Auf der Schleusentreppe von Fonserannes geht es für die Boote in mehreren Etappen fast 14 Höhenmeter hinauf oder hinab.
Das größte Bauwerk des Kanals: Auf der Schleusentreppe von Fonserannes geht es für die Boote in mehreren Etappen fast 14 Höhenmeter hinauf oder hinab. © dpa/Christian Röwekamp
Wie hier bei Homps säumen immer wieder große Sonnenblumenfelder die Ufer des Canal du Midi.
Wie hier bei Homps säumen immer wieder große Sonnenblumenfelder die Ufer des Canal du Midi. © dpa/Christian Röwekamp
Eine der größten Städte am Canal du Midi: Vom Pont Vieux über dem Fluss Orb aus wirkt die Altstadt von Béziers besonders interessant.
Eine der größten Städte am Canal du Midi: Vom Pont Vieux über dem Fluss Orb aus wirkt die Altstadt von Béziers besonders interessant. © dpa/Christian Röwekamp
Millimeterarbeit: Immer wieder müssen die Hausbootkapitäne wie hier in Le Somail durch enge Brückendurchfahrten navigieren.
Millimeterarbeit: Immer wieder müssen die Hausbootkapitäne wie hier in Le Somail durch enge Brückendurchfahrten navigieren. © dpa/Christian Röwekamp
Nach einigen Stunden wieder freie Fahrt: Als erste passieren Kajakfahrer den Ort, an dem der ins Wasser gestürzte Baum den Kanal blockiert hatte.
Nach einigen Stunden wieder freie Fahrt: Als erste passieren Kajakfahrer den Ort, an dem der ins Wasser gestürzte Baum den Kanal blockiert hatte. © dpa/Christian Röwekamp
Aperitif in der Abendsonne: In Homps liegen mehrere Cafés und Restaurants direkt am Canal du Midi.
Aperitif in der Abendsonne: In Homps liegen mehrere Cafés und Restaurants direkt am Canal du Midi. © dpa/Christian Röwekamp
Zeit für einen Sundowner: Wenn die Sonne hinter den Weinbergen der Region Minervois versinkt, ruht der Schiffsverkehr auf dem Kanal.
Zeit für einen Sundowner: Wenn die Sonne hinter den Weinbergen der Region Minervois versinkt, ruht der Schiffsverkehr auf dem Kanal. © dpa/Christian Röwekamp
1/15

Ein längerer Aufenthalt lohnt in Carcassonne, deren mittelalterliche Altstadt schon von weitem sichtbar ist. Vom Touristenrummel sollte man sich nicht verrückt machen lassen und die Cité früh am Vormittag besuchen oder abends. Ohnehin wäre es verkehrt, Carcassonne auf die Altstadt zu reduzieren - die Unterstadt ist voller Leben.

Am Kanalhafen von Carcassonne beobachten oft Touristen das Hinauf- und Hinabschleusen der Boote: Eine der 63 Schleusenanlagen des Canal du Midi mit ihren insgesamt 98 Schleusenkammern liegt hier mitten in der Stadt. Den Betrieb der Anlagen mit ihrem schnell und druckvoll sprudelnden Wasser zu meistern, stellt ungeübte Hausbootkapitäne und ihre Besatzungen in den ersten Tagen auf eine harte Probe.

Stillstand findet in Capestang ein Ende

Gerade vor mehrstufigen Schleusen wie St. Roch bei Castelnaudary und an der Schleusentreppe von Fonserannes bei Béziers, bei der es durch sechs Kammern geht, kann es lange Wartezeiten geben. Fast alle Schleusenwärter machen von 12.30 bis 13.30 Uhr Pause und stellen um 19.00 Uhr den Betrieb ein - auch das trägt zu einem entspannten Tempo auf dem Kanal bei und sorgt für übersichtliche Tagesetappen.

Zwischen Béziers und Carcassonne dominieren Weinbauflächen, weiter westlich beherrschen Sonnenblumenfelder und Maisäcker die Kanalufer. Hier stehen auch noch mehr der im 18. und 19. Jahrhundert gepflanzten Platanen, die einst den Zugtieren der Lastkähne jenen Schatten spendeten, über den sich Bootstouristen heute noch freuen.

In Capestang findet der Stillstand auf dem Kanal dann doch noch am selben Tag ein Ende: Zwei Arbeiter der französischen Kanalbehörde VNF zerlegen den ins Wasser gestürzten Baumstamm mit einer Motorsäge und ziehen die Einzelteile mit einem großen Bagger aus dem Wasser. Es kann weitergehen mit der Entdeckung der Langsamkeit. (dpa)