Creglingen. Bin ich schon in Bayern? Oder noch in Württemberg? Wer entlang der Tauber mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs ist, wird sich diese Frage oft stellen.

Fritz Körner ist ein knorriger Typ. Ein alter Wirt wie aus dem Bilderbuch, mit bärbeißiger Stimme und versteinerter Miene. Und doch hat er etwas Schelmisches im Gesicht, wenn er von seiner Gaststube zu erzählen beginnt. 1924 war sie noch ein Kuhstall und die Holdermühle tatsächlich eine Mühle. Dicht an die Landesgrenze zwischen Bayern und Württemberg hatte man sie hingebaut, doch als der Müller den Kuhstall erweitern wollte, musste er nach Bayern ausweichen. Mit dem Ergebnis, dass die Hälfte des Viehs nun in Bayern stand.

Das hatte schon immer für allerhand dumme Sprüche gesorgt: „Wir fressen in Württemberg und scheißen auf Bayern“, war eines der geflügelten Worte. Seit die Holdermühle 1998 in eine Gastwirtschaft umgewandelt wurde und der Kuhstall als Schankraum dient, geht es mit dem Gefrotzel weiter. Das Gros der Gäste sitzt an den Tischen in Bayern, doch der Wirt zapft sein Bier im Schwäbischen. Dazwischen hängt an einem Holzbalken gut sichtbar die Grenzmarkierung, mit dem bayerischen Löwen auf der linken und dem Wappen der Baden-Württemberger auf der rechten Seite.

Grenzübergreifende Weinerlebnistour

Das Gasthaus Holdermühle ist ein beliebter Haltepunkt auf dem Taubertalradweg zwischen Wertheim und Rothenburg. Die mit fünf Sternen ausgezeichnete Radroute zählt zu den beliebtesten des Landes. Da sie nur 100 Kilometer lang ist, kann man sie auch an einem verlängerten Wochenende problemlos absolvieren. Wer mit dem Auto oder Rad entlang der Tauber unterwegs ist, der pendelt pausenlos zwischen Baden-Württemberg und Bayern hin und her. Malerisch liegen die Weinberge links und rechts des kleinen Flusses. Erheben sich über Dörfer, in denen alte Kirchen und Brücken stehen.

Besonders kunstvoll ist die Bogenbrücke in Tauberrettersheim, die von keinem Geringeren als dem berühmten Barockbaumeister Balthasar Neumann entworfen wurde. In Tauberrettersheim (Bayern) haben sich die Weinbauern 2015 einen Ruck gegeben und die Hand nach Württemberg ausgestreckt. Dort hatte ein Winzer die Idee einer grenzübergreifenden Weinerlebnistour. Mit Kostproben in Franken und Schwaben und einer Wanderung, die von Tauberrettersheim nach Queckbronn durch die Weinberge des Taubertals führt. „Zum Wohl!“ hier und „Zum Wohl!“ dort.

Drei Herrschaften entlang der Tauber

Es ist eine Gegend für stille Genießer und langsame Entdecker. Das funktioniert am besten, wenn man die Hauptroute verlässt und einen Abstecher in die Dörfer macht. Dort gibt es, wie im fränkischen Aub („Das weiße Ross“) oder im schwäbischen Schonach („Zum Rappen“) noch echte Dorfgasthöfe mit bodenständiger Küche.

Als Napoleon nach Deutschland kam, fand er einen Flickenteppich von Kleinstaaten vor. Reichsstädte wie Rothenburg hatten ihre Besitzungen, es gab Klöster wie Schöntal an der Jagst, Fürsten wie das weit verzweigte Geschlecht von Hohenlohe, deren Ländereien bis an die Tauber reichten. Nach der Auflösung des Heiligen Römischen Reiches 1806 war nichts mehr von ihnen übrig, außer: Landschaften, die ihren Namen trugen, Schlösser, die noch immer den alten Adeligen gehörten und Menschen, die sich plötzlich mit neuen Landesherren arrangieren mussten.

Entlang der Tauber gab es gleich drei dieser neuen Herrschaften: Die Bayern, die sich im Osten breitmachten, die Württemberger, die von Westen kamen und die Badener, die sich von Norden her ausdehnten. Noch heute lassen sich diese Grenzen an den Weinbaugebieten und den Weinstraßen ablesen: Zwischen Wertheim und Tauberbischofsheim verläuft die badische Weinstraße und südlich davon die Weinstraße der Württemberger. Der Rest ist Bayerisch-Franken.

Jede Frucht wird zu Hochprozentigem

Wem das zu kompliziert ist, der hat nun seit 2015 Gelegenheit auf der neu beschilderten Weinstraße Taubertal über Grenzen zu gehen und alle drei Weinbaugebiete auf einer Ferienroute kennenzulernen. 204 Kilometer ist sie lang und führt durch 27 Wein- und Winzerorte in Bayern und Baden-Württemberg. Zu den ungewöhnlichsten gehört das kleine badische Dorf Beckstein. Keine 400 Einwohner zählt es und fast jeder hat irgendetwas mit Weinbau zu tun.

Reise-Infos

Anreise: Mit dem Auto aus dem Ruhrgebiet über die A3 Richtung Frankfurt bis Würzburg, weiter über die A7 Richtung Ulm bis Rothenburg ob der Tauber. Mit der Bahn ab dem Ruhrgebiet nach Rothenburg ob der Tauber.

Genuss: Der Tag der offenen Tür der Brennereien und Weinbaubetriebe („Beckstein brennt“) findet 2016 am 30. Oktober statt: 09343/50 00

Übernachten: Zimmer und Ferienwohnungen vermietet das Gasthaus Holdermühle: 07933/91 23 17

Kontakt: Tourismusverband Liebliches Taubertal, 09341/82 58 06

Zur Höchstform laufen die Becksteiner auf, wenn es um Hochprozentiges geht. In nicht weniger als 25 Brennereien brodelt und dampft es. Quitte, Vogelbeere, Johannisbeere, wilde Pflaume: Es gibt fast keine Frucht, der die Becksteiner nichts abgewinnen können. An einem Wochenende im Oktober machen sie ihre Destillerien auf und feiern mit Einheimischen und Gästen: „Beckstein brennt“ hat sich zu einem Großereignis entwickelt. Hier ist es jedenfalls ganz besonders wichtig, seine Grenzen zu kennen. Sonst wird es mit der Radtour am nächsten Tag schwierig, egal, ob sie nun durch Bayern oder Baden-Württemberg führt.