Essen. Abseits der Hotelbauten können Touristen in Montenegro das Mittelalter entdecken. Eine der historischen Siedlungen gehört sogar zum Weltkulturerbe.
Der in die Jahre gekommene Kleinbus rast um eine Kurve. Er kommt aus dem Inland, nun wird der Blick auf die Bucht von Budva frei. Für Busfahrer Andrej sind die erstaunten Ausrufe seiner Mitfahrer nichts Neues. Viermal täglich fährt er in die Touristenhochburg an der Adriaküste. Aus dem Radio schallt der Balkanpop der serbischen Sängerin Goca Trzan, Andrej drückt aufs Gaspedal. Er nimmt keine Rücksicht auf fotografierende Touristen.
In den öffentlichen Bussen, die alle größeren Städte Montenegros verbinden, befinden sich ohnehin kaum Urlauber. Die Fahrzeuge für bis zu zwölf Insassen sind das Transportmittel Nummer eins für die Einheimischen auf dem Weg zur Arbeit, zu ihren Schichten als Zimmermädchen, in der Gastronomie oder im Nachtclub. Denn hier an der Adria leben die meisten Menschen vom Tourismus.
Die Touristen aus Serbien, Frankreich und Deutschland halten sich lieber in den Cafés auf oder besichtigen mittelalterliche Stadtzentren, umgeben von duftenden Feigen- und Orangenbäumen. Sie nehmen einen Mietwagen oder einen der klimatisierten Reisebusse, die auf den organisierten Ausflügen eingesetzt werden. Wer dann durch die Landschaft mit ihren Zypressenhainen fährt, der muss an die Toskana denken – und nicht an den Balkan.
Mittelalterliche Siedlung gehört zum Weltkulturerbe
Der 35-jährige Andrej macht Pause am Busbahnhof von Budva. Wie überall an viel befahrenen Straßen und Plätzen finden Hungrige kleine Imbissbuden, wo noch echte Balkanküche für wenige Euro angeboten wird. „In den Buchten rund um die Hotelinsel Sveti Stefan gibt es für uns Einheimische gutes Geld mit Unterkünften, Gastronomie und Ausflügen zu verdienen“, erzählt Andrej mit vollem Mund und in passablem Englisch. Der letzte Bissen Cevapcici wandert in den Mund.
Rund 500 Euro im Monat, etwas mehr als das Durchschnittseinkommen, verdient der zweifache Vater Andrej mit seinen täglichen Fahrten zwischen Budva, Tivat und Kotor. Die mittelalterliche Siedlung mit Stadtmauer, Burg und der herrlichen Bucht von Kotor wurde 1979 zum Weltkulturerbe erklärt. Montenegros Nationalstolz.
Die Geschichtsstudentin Ksenia ist auf dem Weg, ihre Eltern in der Künstlerstadt Herceg Novi zu besuchen, etwa 40 Kilometer Luftlinie weiter nordwestlich. Dafür steigt sie in Budva um. Die Mittzwanzigerin verdient sich als Reiseleiterin Geld für das Studium dazu. Es gebe einfach zu wenig Arbeit, sagt sie. Noch.
Ein Land der Superlative
Wer die Touristenbucht von Budva erreicht, schaut allerdings nicht nur auf das türkisblaue Wasser der Adria, die historische Hafenstadt und die Insel Sveti Nikola. Sondern auch auf Hotelbunker der 60er und 70er Jahre. Mancher empfindet sie regelrecht als Beleidigung für das Auge. Doch es werden weitere Anlagen gebaut. Am Ortsausgang entsteht ein riesiger Komplex mit 36 Häusern und 200 Luxus-Apartments mit Meerblick: „Dukley Gardens“. Hier hat sich ein reicher Investor aus dem Ausland ein Filetgrundstück in Hanglage gesichert.
Andrej und Ksenia sehen die üblen Bausünden aber schon gar nicht mehr. Für sie ist die kleine Schwester Serbiens ein Land der Superlative: der einzige Fjord in Europa außerhalb Norwegens, einige der tiefsten Schluchten der Mittelmeerregion, Berge bis hin zum höchsten Gipfel Zla Kolata mit 2534 Metern Höhe an der Grenze zu Albanien. Ksenia schwärmt vom Skadarsko Jezero, dem Skadar-See.
Budva und das benachbarte Becici sind bekannt für ausgelassene Strandparties. Seit 2014 steigt für drei Tage im Juli das Sea Dance Festival, bei dem 80.000 Besucher zu elektronischer Musik feiern. „An diesen Tagen haben wir hier Ausnahmezustand. Da nehme selbst ich mir drei Tage frei, um dabei zu sein“, sagt Andrej.