Montenegro. Der Adriastaat Montenegro lockt mit einer 200 Kilometer langen Küste. Der einzige Fjord des Mittelmeers, der sich in der Bucht von Kotor gräbt, wurde von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt. Der Ort Plav wartet auf Wanderer - dabei eröffnen sich dem Naturliebhaber neue Wege über Bäche und Äste.
In Plav beginnt der Morgen mit einer Tasse „Deutsch-Kaffee“. Stark genug, um hellwach in diesen Hochsommertag zu starten. Mit genug Kaffeesatz, um sich hier im hintersten und höchsten Winkel Montenegros einzureden, darin Worte wie Tourismusboom oder Urlauberparadies zu erkennen. Solche Begriffe fehlen in keinem Prospekt, in dem es um den Adriastaat südlich von Kroatien geht. Doch gemeint ist zumeist die gut 200 Kilometer lange Küste, in die sich in der Bucht von Kotor der einzige Fjord des Mittelmeers gräbt, der dem Land eine Vorzeigeattraktion und ein Unesco-Weltnaturerbe beschert hat.
Dort, wo die Insel Sveti Stefan ihren Weg auf Postkarten findet, oder wo in Tivat der Yachthafen den Jetset an die Adria lockt. Investoren setzen auf Strand. Knapp drei Autostunden südwestlich sind die Aussichten blau, so die Übersetzung des Ortes Plav, der auf eine rosige Zukunft und auf die Wanderer dieser Welt wartet.
Der Muezzin ruft aus dem Turm der Moschee. Die schroffen Gipfel des Prokletije im Hintergrund wirken dahinter im Dunst des anbrechenden Tages magnetisch und verfehlen ihre Anziehungskraft nicht.
Wanderkarten auf dem Tisch
Das kleine Café füllt sich. Für die allesamt hauptberuflichen Kellner beginnt die Arbeit jetzt erst richtig. Aufgeschlagene Wanderkarten auf dem Frühstückstisch sehen sie selten und die Idee, die verwunschenen Berge, wie sie der Bedeutung nach heißen, zu Fuß zu erkunden, sorgt bei ihnen eher für laute Erheiterung. „Wir wandern hier eher von Café zu Café oder von Onkel zu Tante“, erklärt Samira Bektesević, die den Sommer nicht für Aktivitäten einplant, sondern zur Familienpflege. Kein Problem für die junge Dame, eine geführte Wanderung zu vermitteln und mit dem Zeigefinger alle Wege auf der präzisen Karte nachzuzeichnen. Auch Damir Gutić schaut ungläubig, entpuppt sich aber als Mann der Tat und bietet an, den Mietwagen zum Visitor zu steuern, so hoch es geht. Eine Strecke für Geländefahrzeuge. Oder für bange Blicke bei der späteren Fahrzeugrückgabe. Die Aussicht von Plavs Hausberg hinunter in die Stadt entschädigt für die Gefahr, die Kaution für den Kleinwagen nicht zurückzubekommen. Da unten hat die Natur dem Ort ein blaues Auge verpasst, das ihn alles andere als entstellt: den Plavsko Jezero, den blauen See.
Wie Streichhölzer wirkt vom weitem der Steg, auf dem sich die Jugend sonnt. Und den sie nur sekundenweise verlässt, so kalt ist das Bergwasser. Es wartet nicht darauf, mit der Adria zu konkurrieren, sondern warm gewanderte Beine am Ende eines aktiven Tages zu kühlen. Am Fuße des Sees steht das ehemalige Prestigeobjekt der Stadt. Das zerfallene Hotel mit seinen moosbedeckten Tennisplätzen und der zugewachsenen Promenade zeugt von einer Zeit, in der Tourismus hier Hochkonjunktur hatte, Montenegro kein Geheimtipp sondern der südlichste Teil Jugoslawiens war und den damaligen Staatenbund insgesamt noch bis zu fünf Millionen Besucher als Urlaubsziel wählten. Nach Balkan-, Kosovokrieg und UN-Embargo war Montenegro in einen Schönheitsschlaf gefallen. Die Küste ist wieder wach, in die Berge ist der Weckruf noch nicht vorgedrungen. Wenn er es geschafft hat, stehen bis zu 2600 Meter hohe Gebirge bereit, das Echo zu verbreiten.
"Einfach den Makierungen folgen"
Wie in Grbaja, am Fuße des Prokletije-Gebirges, wo es hinaufgehen soll zum Talijanka. Die Zungenbrecher zu erfragen ist ein kleineres Hindernis als die Viehherden auf der Straße dorthin. Burek wartet im notorisch unpünktlichen Montenegro auf den verspäteten Deutschen. Eine Pranke reicht den hackfleischgefüllten Blätterteig als vermeintliche Aufstiegserleichterung. „Da hoch, einfach den Markierungen folgen.“
Er hatte recht: Einfach hoch, einem ausgeschilderten Pfad bis auf 2000 Meter folgen. Wie überall hier sind die Wege genau gekennzeichnet, nur nicht ausgetreten. Der morgendliche Wind pfeift durch die Bäume und trägt die Wanderer über Geröll und Bäche, über winzige Wege und knorrige Äste. Beim Austritt aus dem Wald überrascht uns eine Alm. Das grüne Empfangskomitee reicht Wasser aus einer Quelle.
Eine andere Gruppe pausiert auf dem höchsten Bergkamm, den es hier ohne Ausrüstung zu erklettern gibt: halb in Montenegro, halb in Albanien, wo sich die höchsten Berge des Prokletije befinden und dem Nationalpark den Beinamen Albanische Alpen beschert haben. Gegenüber die schneebedeckten Gletscher, die in größeren Seilschaften und mit alpiner Ausrüstung erklommen werden können. Ein Schafshirte aus dem Nachbarland lässt auf montenegrinischem Grund weiden. „Haben die Viecher ein Visum?“, fragt ihn ein stämmiger Serbe. Eine ungläubige Reaktion, aufgelöst durch Gelächter. So laut, dass es sich seinen Weg ins Tal bahnt, über Stolpersteine und Schotterpisten zurück Richtung Plav. Entlang des ersten Campingplatzes am See und des Etno-Dorfes. Hinein in die Cevape-Grills, Gemüseläden und Cafés, in denen der Tag bald zu Ende geht, um bei einer Tasse Deutsch-Kaffee wieder von neuem zu beginnen. Dorthin, wo es die skeptischen Stimmen immer lauter übertönt.