Seit Jahrtausenden wird die Gegend von den Ureinwohner-Stämmen bewohnt. Sie haben eine der artenreichsten Tierwelten Australiens bewahrt.
Keine Angst, kleiner Freund! Ich tue dir schon nichts!“ Darren Capewell kniet im roten Wüstensand und nähert sich langsam einem Ameisenigel. Der hat sich unter einem Busch zusammengerollt. Vorsichtig holt der Aborigine die Stachelkugel aus ihrer Deckung. „Na, du musst dich nicht vor uns verstecken!“
Capes, wie die meisten in Shark Bay den Guide mit der Baseball-Kappe nennen, ist mit der Wildnis per du. Er spricht mit Vögeln, Bäumen – selbst mit dem Meer. Als seien sie alle Familienmitglieder. Wenn er mit Fremden das Buschland der Peron-Halbinsel betritt, ruft er einen Willkommensgruß in der Sprache der Mulgana in die Wüste: „Ich bitte Gathaagudu, uns aufzunehmen und die Schlangen fernzuhalten.“ Gathaagudu ist der ursprüngliche Name der Aborigines für Shark Bay an der westaustralischen Korallenküste.
Durch den Francois-Peron-Nationalpark
Seit Jahrtausenden wird die Gegend von den Ureinwohner-Stämmen der Mulgana und Nanda bewohnt. Sie haben eine der artenreichsten Tierwelten Australiens bewahrt. Seit 1991 ist die Region Unesco-Welterbe. „Wir sind ein Salzwasservolk“, sagt Capes. „Aber wir kennen genauso gut die Wüste.“
Durch den Francois-Peron-Nationalpark an der Nordspitze der Peron-Halbinsel führen nur Sandpisten. Kerzengerade ziehen sich die eisenroten Fahrschneisen durch das Buschland. Capes hält auf seinem Weg in Richtung Norden immer wieder an. Er erklärt seinen Gästen die Spuren von Kängurus und Emus, entdeckt essbare Pilze und „Buschbananen“. Die Wüste sei alles andere als eine Todeszone. „Wer auf die Natur hört, für den ist es hier wie im Supermarkt“, sagt Capes. „Der Emu führt uns zu Beeren und Nüssen, die Büsche spenden Nahrung, Feuerholz und Medizin, im Ozean gibt es alles im Überfluss.“ Das Motto der Aborigines ist einfach: „Wir nehmen uns nur das, was wir brauchen, nicht das, was wir wollen.“
Am Rand der Sandpiste zeigt ein gelbes Verkehrsschild den schwarzen Umriss eines Tiers, das wie eine Kreuzung aus Spitzmaus und Erdferkel mit langgezogenen Eselsohren aussieht. Der Große Kaninchennasenbeutler, in Australien kurz Bilby genannt, gehört zu den seltenen Arten, die auf der Peron-Halbinsel eine Zuflucht gefunden haben. Noch vor einigen Jahrzehnten waren Bilbies in vielen Teilen Australiens verbreitet. Inzwischen sind sie sehr selten geworden. Eingeschleppte Hauskatzen und Füchse wurden ihnen zum Verhängnis, sich rasend ausbreitende Wildkaninchen zu gefährlichen Nahrungskonkurrenten. Zudem machten ihnen Felljäger und die stetige Ausweitung der Viehwirtschaft zu schaffen.
Ein Projektmit drei Zielen
Der einzige nahe Verwandte in der Bilby-Familie, der Kleine Kaninchennasenbeutler, wurde im Landesinneren Australiens wohl bereits in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ausgerottet. Damit dem großen Bruder und anderen Kleinbeutlern nicht das gleiche Schicksal widerfährt, riefen Artenschützer 1995 das Projekt Eden ins Leben: Nach der Schließung der letzten Schaffarm wurden über 1000 Quadratkilometer der Peron-Halbinsel mit einem Elektrozaun vom Festland abgetrennt. „Das Projekt hat drei Ziele“, erklärt Capes: „Erstens: alle Tiere, die hier nicht heimisch sind, fortzuschaffen. Zweitens: die ursprünglichen Bewohner wieder anzusiedeln und schließlich die Forschung und den Ökotourismus zu fördern.“ Für Capes ist das Projekt Eden ein Segen. „Das Land wird langsam wieder gesund. Es war schon zu lange krank.“
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Die meisten Touristen in Westaustralien jagen aber lieber den Big Five des Ozeans hinterher. Walhai, Buckelwal, Delfin, Mantarochen und Meeresschildkröte – an der Korallenküste kann man sie alle beobachten. In Exmouth, am neun Autostunden entfernten Nordkap der Korallenküste, bricht am frühen Morgen die junge Meeresbiologin Jackie Brown mit einer Gruppe Touristen zum Ningaloo-Riff auf. Anders als beim Great Barrier Reef beginnen die Korallenformationen hier direkt hinter der Küste. „Ein magischer Ort“, schwärmt die 24-Jährige. „Das Riff hat eine unglaubliche Artenvielfalt.“
Die meisten Touristen kommen allein für den Star unter den Bewohnern des Ningaloo-Riffs. Mit über zwölf Metern Länge und einem Gewicht von über zwölf Tonnen ist der Walhai der größte Fisch der Welt. Als Jackies Boot ablegt, sind bereits zwei Kleinflugzeuge in der Luft. Sie ermitteln, ob die Walhaie gerade in der Nähe sind. Die Australierin und ihr Team erklären an Bord die Regeln für eine Begegnung mit dem Riesen. „Drei Meter Mindestabstand. Berühren streng verboten.“
Ein Seekajak in der Dämmerung
Plötzlich geht alles ganz schnell. „Flossen an, Maske auf! Es geht los!“ Das kleine Boot wendet, dann rutschen Jackie und die Gruppe über Bord. Und tatsächlich, da ist er: Seelenruhig treibt der Ozeanriese unter der Wasseroberfläche. Der Planktonfresser scheint von dem aufgeregt strampelnden Menschenvolk wenig beeindruckt. Für ihn ist es weder Gefahr noch Beute. Majestätisch gleitet er dahin. Auf der Rückfahrt nach Exmouth beobachtet Jackie eine Gruppe Mantarochen und eine Lederschildkröte. „Wir haben richtig Glück heute!“
Im Francois-Peron-Nationalpark schiebt Capes in der Dämmerung sein Seekajak über den Sandstrand von Bottle Bay. Durch einen dicht behangenen Wolkenhimmel färbt das letzte spärliche Sonnenlicht die Felsen hinter dem Strand karminrot. „Gathaagudu ist vom Meer umgeben, das macht das Land zu einem spirituellen Ort“, sagt der Aborigine. „Wir sind unterwegs, wie schon vor Jahrtausenden unsere Ahnen.“ Lautlos gleitet das Kajak über die Korallenriffe. „Wir haben hier die weltweit größte Population an Dugongs. Früher spielten die Tiere eine wichtige Rolle als Nahrungsquelle. Heute stehen sie unter Schutz.“ Überall auf der Welt geht die Zahl der Gabelschwanzseekühe zurück. Etwa zehn Prozent der Bestände leben heute entlang der Korallenküste. Forscher schätzen die Zahl auf 12.000 Tiere allein in den Gewässern um Shark Bay. Höchstens 15 Gabelschwanzkühe dürfen jährlich und ausschließlich von den Mulgana gejagt werden. Capes hat die traditionelle Zeichnung einer Seekuh zum Emblem seiner „Wula Guda Nyinda Eco Adventures“ gemacht.
Geschichten aus der Traumzeit
Am Abend sitzt er mit seinen Gästen am Lagerfeuer und hört die Wellen sanft in die Bucht drängen. Dann erzählt er von seinen Erlebnissen mit den Tieren des Ozeans und der Wüste und alte Geschichten aus der Traumzeit, die ihm sein Großvater einst weitergegeben hat. „Viele sagen, die Kultur der Aborigines ist verloren. In Wirklichkeit schläft sie nur. Die Ahnen sind noch da. Wir fühlen, dass sie auf uns schauen. Deshalb müssen wir auf sie hören und diesen Ort für unsere Kinder bewahren.“