Kalaw. Lange von Rebellen beherrscht, entdecken nun immer mehr Touristen das Shan-Gebiet für sich. Im Trend liegen vor allem die schwimmenden Gärten.
Die Ortschaft Kalaw mitten in Myanmar ist überaus beschaulich. Früh morgens verlassen hier fast alle an der Bushaltestelle den Reisebus. Die einen fahren weiter nach Nyaung Shwe am Inle-See. Für die anderen geht es zu Fuß weiter.
Kalaw liegt im Shan-Gebiet, einem der sieben Verwaltungsgebiete in Myanmar, das noch immer für seine Autonomie kämpft. Trotz Ende des Militärregimes sind nach wie vor nicht alle Regionen für Reisende geöffnet. Auch Gebiete im Shan-Staat gehören dazu. Sie werden von Rebellengruppen und Drogenchefs beherrscht. Die Ausflugsmöglichkeiten in der Umgebung von Kalaw und die Nähe zum großen Inle-See mit seinen schwimmenden Gärten haben sich aber herumgesprochen. Seit wenigen Jahren lockt die Gegend mehr und mehr Touristen an.
Kalaw scheint an diesem Morgen noch verschlafener als sonst. Ungeachtet der Uhrzeit warten die ersten Vermittler an der Haltestelle auf Touristen, die noch keine Bleibe gebucht haben. Den Wanderlustigen wird erst einmal ein gemütliches Gasthaus angeboten. Und ein Bett ist das Erste, wonach sich die meisten nach der langen Busfahrt sehnen.
Dauerbeschallung durch Karaoke
Nicht nur die holprigen Straßen machen die etwa neunstündige Anreise aus der einstigen Hauptstadt Rangun anstrengend. Wie so oft in asiatischen Reisebussen werden Touristen und Einheimische durchgängig von Karaoke beschallt. Das freut manche mehr und viele weniger. Auch die frostige Klimaanlage hebt nicht gerade die Stimmung.
Das Outfit an Start und Ziel unterscheidet sich durch mindestens drei Kleidungsschichten. Es ist kalt hier oben. Den Einheimischen scheint es ähnlich zu ergehen: An den Busbahnhöfen in der Region trifft man auf viele Burmesen in Schal und Handschuhen.
"Der anstrengendere Teil ist mit der Ankunft schon vorbei", sagt der freundliche Besitzer von "Sam's Family Restaurant". "Das Wandern ist dagegen ein Kinderspiel". In dem Restaurant und Trekkingbüro ist der Name Programm. Die ganze Familie ist da, die Aufgaben sind verteilt. Einer kocht, zwei kümmern sich um die Trekkingorganisation, der Rest gibt dem Nachwuchs Hausaufgabenhilfe. Dazwischen hungrige Reisende.
Große Vielfalt an Trekking-Angeboten
Es gibt verschiedene Trekking-Angebote, je nach Zeit und Kondition. Die beliebteste Route führt etwa 50 Kilometer von Kalaw nach Nyaung Shwe am Inle-See. Dafür hat man drei Tage Zeit. "Genug um die Landschaft zu genießen und das burmesische Leben kennenzulernen", verspricht der Veranstalter. Denn geschlafen wird die erste Nacht in einem kleinen Dorf, in der zweiten dient ein Kloster als Quartier. Statt Hotels und Restaurants gibt es Wildnis und Ruhe.
Die Gruppe, die am nächsten Vormittag am Treffpunkt steht, besteht aus vier Schweizern, zwei Österreichern und zwei Deutschen. "German Season" ist alles, was James dazu einfällt. James ist Ende 50 und der Guide der Tour. Er organisiert Wanderausflüge, seit es die ersten Touristen in das malerische Tal gezogen hat. Dazu kommt Oskar, ein Wegfinder in Ausbildung, der gerade mit der Schule fertig ist. Drei Köche komplettieren das Team, fahren mit Töpfen und frischen Zutaten auf ihren Motorrädern schon mal voraus. Bevor es losgeht, werden letzte Snacks für die Reise auf dem Markt gekauft. Besonders Samosas, kleine Teigtaschen gefüllt mit Gemüse, kommen gut an.
Dann startet die Truppe, James an der Spitze, der Rest im Gänsemarsch hinterher. Die Sonne scheint, es riecht nach Pinien, und nur wenige andere Menschen sind unterwegs. Trekking-Erfahrungen hat noch keiner gesammelt. Es geht in gemächlichem Tempo voran. Gerade am Anfang geht es einige Male bergauf, doch James kann beruhigen: "Kalaw liegt auf 1350 Metern, unser Ziel auf 900. Es geht also mehr runter als rauf."
Blütenpracht auf den Feldern
Das erste Ziel ist ein kleines Kloster. Es gibt gebratene Nudeln mit Suppe zum Mittag und genügend Zeit, die ersten Blasenpflaster zu verkleben. James kennt auf der Strecke jeden Stein und jeden Strauch. Oft hält er an, um von bestimmten Eigenschaften einiger Pflanzen zu berichten. Nur gegen Blasen gibt die Wegesrand-Apotheke im Moment leider nichts her. Je nach Jahreszeit blühen die unterschiedlichsten Nutzpflanzen auf den Feldern, die man unterwegs durchstreift. Reis, Tee, Ingwer, Mais - oder wie im Moment: Chilis. Überall hängen die knallroten Schoten, die jetzt geerntet werden können.
Bergpanoramen wechseln sich mit kleinen Dörfern ab, aus denen einem immer wieder Kinder entgegenlaufen und fröhlich "Mingalaba!" rufen - "Hallo!" Fast als wüssten sie, um welche Uhrzeit die Trekker jeden Tag vorbeikommen. Die Mütter sortieren die Ernte und schauen ihren Sprösslingen hinterher. Bis vor einigen Jahren hat sich hierhin noch kein Tourist verirrt, erzählt James.
Elektronik und Strom sind in der Gegend noch nicht angekommen. Ganz selten gibt es Generatoren, die Elektrizität erzeugen. Auch die Wege sind schmal und holprig. Die Dorfbewohner sind nicht mit Auto und Motorroller unterwegs, sondern mit Fahrrädern und Ochsenkarren.
Herzliche Willkommensphilosophie
Letzter Stopp vor dem Nachtquartier ist das Dorf, in dem die Cousine von James lebt. Sie lädt zu Tee und gebackenen Bohnen ein. Am frühen Nachmittag ist das Nachtlager erreicht. Ein kleines Dorf, in dem die Gruppe nicht der einzige Gast ist. Für das Aufnehmen von Wanderern erhalten die Familien ein wenig Geld. Obwohl mehrere Gruppen das Dorf wöchentlich ansteuern, freuen die Bewohner sich noch immer über Besuch. Insbesondere dann, wenn der erste die Tür zur öffentlichen Hock-Toilette öffnet, können sie ihr Lachen kaum verkneifen. Doch in vielen Ländern Asiens sind sie gerade in abgelegenen Regionen Standard. Spülung und Klopapier sucht man hier vergeblich.
Um den Schweiß und Staub des Tages abwaschen zu können, muss erst Wasser aus dem Dorfbrunnen geholt werden. Statt Duschbrause gibt es Eimer. Eiskalt, aber nach so einem Tag genau das Richtige.
Es riecht nach frischen, exotischen Gewürzen, als das Abendessen zubereitet wird. Die Hütten bestehen meist aus zwei Räumen, einem Wohn- und Schlafzimmer sowie Küche mit Vorratslager. In jedem Haus leben mehrere Generationen unter einem Dach. An diesem Abend gibt es Erdnusscurry, Brot, Brunnenkresse und Avocados. Und natürlich Reis. Zubereitet an der offenen Feuerstelle. Es schmeckt köstlich.
Atemberaubende Sonnenaufgänge
Der nächste Tag beginnt mit dem ersten Hahnenschrei. Kalt kann es hier nachts werden, fast alle haben gefroren. Warme Kleidung ist nicht nur im Reisebus ein Muss. Doch der Sonnenaufgang hinter den Bergen mit nebelverhangenen Tälern entschädigt dafür. Und die Aussicht, heute an einem Fluss baden zu können, wie James beim Frühstück erzählt. Auch das Tagesziel kann in weiter Ferne als weißer Punkt mit goldenem Dach ausgemacht werden - die zum Kloster gehörende Pagode.
Überall in dem Land ragen goldene Tempel aus der Landschaft, egal wohin man schaut. Myanmar ist bekannt für seine vielen Pagoden. Schon 1898 schrieb Rudyard Kipling in "Briefe aus dem Orient" über die goldenen Pagoden und das Land: "Das hier ist Birma, ein Land, das anders ist als alle anderen, die du kennst." Bis heute hat der britische Schriftsteller damit Recht.
James hat unterwegs viel zu erzählen, über die Geschichte des Landes und seine Leute. Noch immer läuft für ihn zu vieles schief, wenngleich sich seit 2010 einiges zum Positiven gebessert hat. Stolz ist er auf seine beiden Töchter, die dem Dorfleben den Rücken gekehrt haben und in Rangun studieren. "Sie sind die Zukunft des Landes."
Tiere hautnah erleben
Der Weg führt - wie am ersten Tag - durch Felder, die von Bauern bestellt werden und durch menschenleere Wildnis. Gegen Mittag ist die Badestelle erreicht. Ein kleiner Fluss, der durch das Tal mäandert. Doch die Wandergruppe ist nicht allein vor Ort. Ein Hirte badet gerade seinen Wasserbüffel. Platz ist aber genug, so sind schnell alle im kühlen Nass. Den Büffel stört es wenig. Nachdem er sich im flachen Ufer gesuhlt hat, wird er sauber geschrubbt. Auch die Österreicher trauen sich, helfen mit und sorgen für Gelächter.
Je näher das Kloster kommt, desto mehr Menschen sind auf den Wegen. "Heute Nacht ist Vollmond", erklärt James. "Die Bewohner kehren dann in die Kloster ein, um Opfergaben zu bringen." Der weiße Punkt, der morgens sichtbar war, wird schneller als gedacht zur Pagode.
Am Nachmittag ist das Kloster am Fuß des Berges erreicht. Es ist ein Ort für Waisen, über 30 Kinder leben hier. Man hört ihre Gesänge schon von weitem. Nach einem ausgiebigem Fußballspiel - Mönche gegen Touristen - werden die Opfergaben der Bewohner umliegender Dörfer entgegengenommen. Männer und Frauen sitzen getrennt. Zum Schluss wird gemeinsam gebetet, gesungen und gegessen.
Das Finale der Tour
Die erneut kalte Nacht endet zu einer Uhrzeit, an der selbst die Hähne noch schlafen. Doch die Mönche müssen jeden Morgen schon früh aufstehen. Es ist 4.30 Uhr. Gestärkt macht sich die Gruppe nach dem reichlichen Frühstück in Richtung Inle-See auf.
Zwischen Pinienwäldern, Reisterrassen und frisch geernteten Feldern wechselt sich die Landschaft ab. Nach einigen Stunden ist der See erreicht. Das Finale der Tour. Ein Boot bringt die erschöpfte Truppe über den großen Inle Lake nach Nyaung Shwe, vorbei an schwimmenden Dörfern und Einbein-Fischern.
James hat nun erstmal Urlaub, in seinem Alter kann er nicht mehr so oft Wandern gehen. Er nimmt den Bus zurück nach Kalaw. Handschuhe und Schal hat er im Gepäck. (dpa)