Essen. Die Küste vor Kap Hoorn gilt als der größte Schiffsfriedhof der Welt. Doch noch immer wollen jährlich Tausende Touristen diesen Ort besichtigen.
Kapitän Jaime Barrientos ist entspannt. Ein paar Windböen, die mit 150 Stundenkilometern daherfegen und Wellenberge vor sich auftürmen, sind für ihn Routine. Schließlich haben es Orkane hier schon auf 265 Sachen gebracht. „Wir versuchen es“, sagt er. Ganz nah scheinen die 160 Stufen hinauf zum Ende der Welt. Das wollen die 200 Weltenbummler an Bord unbedingt betreten, auch wenn die See stürmt. Kap Hoorn macht seinem Ruf alle Ehre. Wild vereinigen sich Atlantik und Pazifik vor der Felsspitze, die fast senkrecht 450 Meter ins Meer abbricht. Danach kommt nur noch die Antarktis. In einer geschützten Bucht liegt die Treppe zur Invasion. Vor ihr tänzeln die Wellen langsam aus. Dahin aber muss die Stella Australis erst mal kommen. Mit aller Kraft versucht der Kapitän Wind und Strömung zu trotzen. Die Standfesten torkeln hinaus auf das kleine Deck, um sich nichts entgehen zu lassen. Doch der Kapitän bricht ab. Vielleicht legt sich der Wind noch.
800 Wracks und über 10.000 Seeleute sind in der eisigen Tiefe auf dem größten Schiffsfriedhof der Welt begraben. Oben, auf dem markanten Felsen, wurde ihnen mit den Flügeln des Albatros ein Denkmal gesetzt. „Ich bin der Albatros, der auf dich wartet am Ende der Welt“, steht auf einer Tafel. Zu lesen bekommt dies an diesem Tag niemand. Nach einer Stunde Warten dreht der Wind noch weiter auf – und die Stella Australis endgültig ab.
Ein Niemandsland mitspektakulärer Natur
„Das Schiff muss die Wellen jetzt schräg ansurfen“, erklärt Johannes. Er kennt sich aus. Der Manager aus NRW hat einen Motorbootführerschein. „Jede siebte Welle rollt noch gewaltiger daher“, weiß er. Sechs Meter hohe Brecher donnern über die Reling, fegen über die Panoramafenster des Yamana-Salons. Zerfetzt weht die Schiffsflagge am Heck. Sechs Stunden taumelt das Schiff auf dem Weg zurück vom Kap Hoorn, dem Höhepunkt der fünftägigen Fahrt, die vorbei an schmelzenden Gletschern durch die zerklüfteten Fjorde Feuerlands begann.
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Vor fast 500 Jahren hatte der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan hier die sichere Passage vom Atlantik zum Pazifik gesucht. Nur die grauen Schwaden der versteckten Lagerfeuer sah Magellan bei seiner Entdeckungsreise 1520 in den Himmel steigen. „Land des Rauches“ taufte er die Gegend. Später wurde daraus Feuerland. Heute ist es ein Niemandsland. Siedler aus Europa rotteten die Ureinwohner aus, verabschiedeten sich schnell wieder aus der unwirtlichen Gegend. Geblieben ist eine spektakuläre, unberührte Natur. Nach feuchtem Moos und Beeren duftet es in der Ainsworth-Bucht. Ein subantarktischer Märchenwald, an dessen Bäumen weiße Haarbüschel im Winde wehen. „So entsteht Natur“, erklärt Expeditionsführer Francesco.
Ein Kettenhemd um den Bug
Vor einem Jahrhundert war der Boden noch mit einer dicken Eisschicht überzogen. Langsam pirschen sich die Zodiacs an die Tucker-Inseln heran. Faul liegen dort Magellan-Pinguine in der Sonne, Heerscharen von Kormoranen krächzen entlang der felsigen Küste.
Zum Glück tragen die Schlauchboote um ihren Bug ein Kettenhemd aus dicken Stahlringen. Ein Kraftpaket am Ruder steuert durch die scharfkantigen Eisschollen. Die dümpeln wie ein breiter Verteidigungsring vor dem Pia-Gletscher. Sein Zwillingsgletscher hat schon das Zeitliche gesegnet. Nur ein gigantischer Geröllhaufen blieb. Auch die blaue Zunge des Francia schafft es längst nicht mehr bis zum Meer. Das Sterben der Gletscher wird nirgends so deutlich wie hier, wo sich sechs Eisriesen wie zum warnenden Appell aufreihen. Irgendwann werden sie verschwunden sein.
So wie die Indianer in der Wulaia Bucht. Mit flauem Magen geht es auf einem ihrer alten Pfade über glitschige Felsen steil nach oben. Ein atemberaubender Panoramablick öffnet sich über weiße Gipfel, die aus dem türkisblauen Meer aufsteigen. Jahrtausende lebten sie hier. Ein kleines Museum in einem einsamen Haus erzählt ihre Geschichte. Vier der Ureinwohner wurden 1830 vom englischen Kapitän Robert FitzRoy verschleppt. Als Weltsensation führte er sie in London vor. Einer von ihnen war Jemmy Butten, das Vorbild für Michael Endes Kinderbuchfigur Jim Knopf.
Kapitän Jaime Barrientos überreicht seinen gebeutelten Kreuzfahrern zum Abschied eine Urkunde. „Für das Erreichen von Kap Hoorn, dem südlichsten Punkt der Welt.“ Eine Art Tapferkeitsmedaille zum Einrahmen. Und zum Beweis für alle daheim, dass man tatsächlich am Ende der Welt war.