Teheran. Seit der Amtsübernahme des Präsidenten Rohani im Iran vor einem Jahr haben sich die Ankünfte ausländischer Besucher auf 300.000 verdreifacht. Jetzt, wo immer mehr Touristen in das Land strömen, wollen auch die Mullahs Vorurteile über den Islam und den Iran abbauen.
Da sitze ich nun in einer Hotellobby in Teheran und versuche Skype auf meinem Handy ans Laufen zu kriegen. Ein junger Mann mit Lederjacke hat sich behutsam in den schweren Sessel gegenüber gleiten lassen. Ich muss meinen Mann anrufen, um ihm zu sagen, dass ich heil angekommen bin – im Iran. Zuhause machen sich alle Sorgen. Was weiß man schon – ein Ex-Präsident, der gegen Israel gewettert hat, der Atomstreit, Steinigungen.
Lederjacke rutscht unruhig auf dem Sessel hin und her, ich tippe wild aufs Handydisplay. „Excuse me“, sagt er. Er lacht verlegen, philosophiert in gebrochenem Englisch über deutschen Fußball, erzählt von seiner Theatergruppe, die gerade von der Aufführung kommt. Zwei seiner Freunde gesellen sich zu uns. Ein großer Kräftiger ruft seine Schwester an, drückt mir erwartungsvoll das Smartphone in die Hand und will, dass ich mit ihr rede. Dann meldet sich mein Skype-Anschluss. Zum Abschied sieht mir Lederjacke ernst in die Augen und meint: „Sag deinen Freunden und deiner Familie Zuhause: Wir sind ein friedliches Volk.“
Hafiz - der der Goethe des Iran
Die Stadt der Liebe und des Weins hat mich gleich an Las Vegas erinnert – sie ist zumindest eine dezente iranische Variante davon. Bunte Lichterketten sind über die Straße gespannt, Graffitis zieren Hauswände und Mauern, um zehn Uhr abends ist der Nachtmarkt so voll wie eine deutsche Fußgängerzone am Samstagnachmittag. Zwischen die schwarz verschleierten Gestalten schieben sich Pärchen, die zaghaft Händchen halten. Junge Männer ziehen Boxen auf Rädern hinter sich her, aus denen laute Musik plärrt. Es wird gelacht, gefeixt, gegrüßt.
Jetzt sitze ich auf der Freitreppe vor dem Grabmal des berühmtesten aller persischen Dichter. Hafiz ist der Goethe des Iran – er liebte Wein, Weib und Gesang und wird von jedem verehrt. „Wie du zu lieben und zu trinken, das soll mein Stolz, mein Leben sein“, hat Goethe über seinen Freund im Geiste geschrieben. Sein Grab ist die beliebteste Sehenswürdigkeit des Landes, Paare verbringen seinetwegen ihre Flitterwochen in Shiraz.
Die Kopftücher sollen hier lockerer sitzen
Die Kopftücher sollen hier lockerer sitzen, Verliebte wurden schon turtelnd gesehen. Vor dem Eingang hat mir ein Mann so etwas wie eine iranische Glückskeksvariante in die Hand gedrückt: „Genieße die Welt“, steht auf der Karte. Entsprechend gespannt beobachte ich jetzt die Leute. Junge Frauen tragen noch das Pflaster von der letzten Schönheits-OP auf der Nase, Kinder juchzen vor Freude als ihre Eltern sie von der Rutschpartie auf der Balustrade auffangen, ein Mullah und ein Soldat schlendern einträchtig plaudernd zum Park.
Dann flattert eine Gruppe Frauen, jede in schwarzem Tschador, wie ein Schwarm Krähen heran. Sie drehen sich weg, schnattern, blicken wieder verstohlen herüber. Als eine den Anfang macht und mit Händen und Füßen fragt, ob ich mich mit ihr fotografieren lasse, gibt es kein Halten mehr. Mein Bild klebt jetzt in einem guten Dutzend iranischer Fotoalben. Eine ältere Dame ist so gerührt, dass sie mich gleich mehrfach herzt und küsst. Über die Frage, woher der jeweils andere stammt, kommen wir mit freundlichem Lächeln nicht hinaus. Aber in ihrem dunklen Blick glimmen ganz deutlich Sehnsucht, Neugierde und unbändiger Hunger nach Fremdem.
Zum Abschied schenken mir die Damen eine Blüte, ein Erdbeer-Bonbon und ein Pfund Sonnenblumenkerne.
Vorurteile abbauen im konservativen Isfahan
„Der Islam verbietet das Vergnügen nicht“, sagt Mullah David mit ernstem Gesicht. „Aber was als Vergnügen gilt, wird von Liberalen und Konservativen sehr unterschiedlich gesehen. In Shiraz singt, tanzt und trinkt man, in Isfahan fährt man mit der Familie zum Picknick in die Berge.“ Der Geistliche sitzt ohne Schuhe in einem kleinen Büro, das an den Innenhof der Imam-Moschee in Isfahan grenzt. Auf einem Schild über der Tür steht „tourist communications“. Seit der Amtsübernahme des als liberal geltenden Präsidenten Rohani vor einem Jahr haben sich die Ankünfte ausländischer Besucher auf 300 000 verdreifacht. Jetzt, wo immer mehr Touristen ins Land strömen, wollen auch die Mullahs im konservativen Isfahan Vorurteile abbauen über den Islam und den Iran.
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Mullah David macht seinen Job gut, obwohl nicht viele Touristen das Gesprächsangebot annehmen. Er spricht perfektes Englisch, war als Missionar in Namibia. Die richtig strengen Theologen sehen einer Frau nicht direkt in die Augen, doch Mullah David hat einen festen Blick. Er macht mir sogar ein Kompliment zu meinem Kopftuch, als wir bei einem Pappbecher mit dampfendem Tee über die Frauen im Land sprechen. „Frauen nehmen eine aktive Rolle in der Gesellschaft ein, sie sind Taxifahrerinnen und Professorinnen“, sagt der Mullah. „Gerade deshalb müssen sie den Schleier tragen – um die Männer im Alltag mit ihrer Schönheit nicht abzulenken.“
Musik und Alkohol lenken von wesentlichen Dingen ab
Als nächstes vergleicht Mullah David laute Musik mit einem Alkoholrausch, der den Geist vernebelt und von den wesentlichen Dingen ablenkt.
Aber wie passt das zu Hafiz, dem Lebemann, der selbst von den Geistlichen mit ihren beigefarbenen Kaftanen und den blütenweißen Ammamen verehrt wird? „Da ich im Trunke sterben werde, bringt mich auf die Art der Trunkenen unter die Erde“, schrieb der Poet vor 700 Jahren. In Shiraz, das lange Zeit als Heimat der Rebsorte galt, nehmen die Menschen dieses Zitat wörtlich. Dass aus den Trauben nicht nur Essig und Rosinen hergestellt werden, ist ein offenes Geheimnis. „Nun ja“, sagt der Mullah, der wie alle Muslime keinen Alkohol trinken darf, und streicht mit einer unbewussten Geste seinen Kaftan glatt. „Ich glaube, der Wein steht für himmlischen Wein, also die geistige Ekstase.“
Mehr als die Hälfte der Studenten sind Frauen
Mullah David hatte Recht – zumindest was die berufliche Emanzipation der Iranerinnen angeht. Mehr als die Hälfte der Studenten an den Universitäten sind Frauen, das Heiratsalter steigt, die Geburtenrate ist dramatisch gesunken – und inzwischen kaum höher als in Deutschland. 70 Prozent der iranischen Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre, damit sind die Perser das jüngste Volk der Welt.
Ehsan gehört eigentlich schon nicht mehr dazu. Der 34-Jährige hat mich auf dem Meidān-e Emām angesprochen, dem riesigen Platz, der Isfahan mit seinen glitzernden Moscheekuppeln, dem Palast und dem vier Kilometer langen, in doppelstöckigen Arkaden untergebrachten Bazar, zur schönsten Stadt eines Landes voller Kulturdenkmäler macht. Gutes Englisch, ein Kopf kleiner als ich, grüne Hose, Hemd in pink. Keine Gefahr, schlussfolgere ich aus diesem Äußeren, als er mich für denselben Abend zu einer Party einlädt. Erst in der Nacht zuvor hat es einen Säureanschlag auf eine Einheimische gegeben.
Nach einigen Taxifahrten vorbei an Benetton- und Porsche-Shops sitzen wir in der „Armani“-Bar, die wie aus einem Hochglanzmagazin daherkommt. Während ich am Strohhalm meines alkoholfreien Mojito nuckle und Ehsan in seinem Tee rührt, erzählt er von Trips nach Europa, von dem Wein, den er auf seinem Dach anbaut, und von heimlichen Partys in der Wüste. Er redet sich in Rage, fährt sich immer wieder mit der Hand durchs Haar, lässt schließlich den Kopf hängen. „Das Leben hier ist begrenzt“, sagt er dann. „Für mich gehört der Strand zum Leben dazu, tanzen und Musik – das ist Freiheit.“