Ruhrgebiet. Kirmes ist verboten wegen Corona. Nun sieht man immer mehr Kirmesbuden in den Innenstädten. Und auch Fahrgeschäfte kehren bald zurück. Massiv.
Im Juni 2020 ist die größte Kirmes im Ruhrgebiet drei Monate lang und sechs Buden groß. Sie stehen auf Crange, wo sonst, in einem Kreis um einen großen, improvisierten Biergarten herum; es gibt zwei Schleusen, ein Einbahnsystem, Laufzäune, Abstand . . . alles Kirmeskiller. Nein, Kirmes kann man das nicht nennen, mit bedingter Maskenpflicht und ohne jede Musik.
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„Rummel-Gastro“ hat Organisator Timo Lichte (49) die Veranstaltung dann auch getauft, sie ist mehr ein kreisförmiges Lebenszeichen der Herner Schausteller als ein Umsatzbringer. Und doch sagt er: „Als ich nach dem ersten Tag mein Hemd ausgezogen habe, stark nach Fisch und Öl riechend: Das war ein tolles Gefühl.“ Als gar nichts ging im Frühjahr, hat er so absurde Sachen gemacht wie, den Rasen zu mähen.
„Das ist wie Berufsverbot und lässt sich nur als Familienbetrieb durchstehen“
Seit den Weihnachtsmärkten, also spätestens seit Anfang Januar, haben die meisten Schausteller keinen Umsatz mehr. „Das ist wie Berufsverbot und lässt sich nur als Familienbetrieb durchstehen“, sagt Andreas Petter, der Vorsitzende des Bochumer Schaustellervereins. Auf die Kirmesplätze dürfen sie nicht, aber jetzt erlauben manche Städte Ersatzhandlungen. Den Rest vom Fest.
Und so kommt es, dass plötzlich in einem Oberhausener Gewerbegebiet Backfisch gebraten wird oder am Kemnader See jemand in einer Bude Mandeln brennt. Mehrere Stände mit Kirmesnahrung stehen jetzt auch um das Kuhhirten-Denkmal in Bochum, andere verstreut in den Innenstädten von Herne und Oberhausen.
„Mobile Freizeitparks“ entstehen in Dortmund, Hagen und Düsseldorf
Mancherorts verstärkt sie ein Kinderkarussell, mehr an Fahrgeschäft geht nicht: Man darf unterstellen, dass ein Oscar Bruch seine Achterbahn wohl eher nicht in der Fußgängerzone aufschlagen kann. Für große Fahrgeschäfte werden von Ende Juni an sogenannte „mobile Freizeitparks“ entstehen, so in Dortmund, Hagen und Düsseldorf. Für die große, technik-getriebenen Geschäfte sei es gerade „ganz besonders schwer“, sagt Albert Ritter aus Essen, der Präsident des Deutschen Schaustellerbundes.
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„Schausteller sind stolze Menschen, sie improvisieren und machen irgendwie weiter“, sagt Albert Ritter: „Sie experimentieren, was funktioniert.“ Ihr Berufsverband fordert einen Schutzschirm für Schausteller und, dass „über den Lockdown bis Ende August nochmal nachgedacht werden muss“. Es sei nicht zu verstehen, sagt Ritter, dass Fußgängerzonen, Strandpromenaden oder Altstädte sich wieder gefüllt hätten, „aber die kleine Familienkirmes ist nicht erlaubt“.
„Wer hier gegen ist, der hat etwas gegen Kinderlachen“
Auf dem Hohenstein etwa, Top-Ausflugsziel in Witten, stehen jetzt ein Karussellchen, aber zwei Eiswagen, zwei Pommesbuden, zweimal Süßigkeiten -- teils auf städtischem Grund, teils auf privatem. Manchen, die hier arglos vor allem Waldesrand und Wildschweine besuchen wollen, ist das schon zu rummelig. Die Kinder sollten sich lieber die Natur anschauen, beschwert sich eine Mutter. Die Widerrede haut richtig drauf: „Wer hier gegen ist, der hat etwas gegen Kinderlachen“, sagt ein Schausteller. Da liegen offenbar Nerven blank.
Es gibt aber auch sehr positive Erlebnisse, etwa bei Kristoffer Krenz in seiner „Schmalhaus Eis-Konditorei“, die jetzt mit zwei anderen Buden neben dem Technischen Rathaus in Oberhausen-Sterkrade steht; der Betrieb, muss man dazu wissen, wurde 1860 gegründet, er ist also älter als die Stadt Oberhausen. Jeder kennt ihn.
Hoffnung auf die Volksfeste im Herbst und auf den Weihnachtsmarkt
Lichtes Fischgeruch ist sozusagen Krenzens Eismaschine: „Man will einfach los, man will Eis rühren.“ Von 12 Uhr mittags an, so war der Plan, sollten die Oberhausener hier ihr Schaumeis bekommen können. Aber „um neun, halb zehn klopfen die ersten an“, sagt Krenz: „Es ist ein sehr schönes Gefühl, so gefragt zu sein.“ Frühstücks-Eis gibt’s bei ihm noch immer nicht, aber deutlich vor der Mittagszeit – und erstmals überhaupt mit Schokoguss. Herzenssache!
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Also hofft die Branche, dass im Herbst wieder mehr geht. „Gott sei Dank planen die Städte mit Volksfesten im September und Oktober weiter“, sagt Ritter, der Präsident. Und dann heißt die große Hoffnung: Weihnachtsmarkt. Die Verträge zwischen Städten und Schaustellern sind in Arbeit, enthalten aber eine Corona-Klausel: Bei einer behördlichen Absage würde niemand jemandem etwas schulden. Timo Lichte hat als routinierter Schausteller dafür einen Spruch: „Ich glaubt nicht an Weihnachtsmarkt. Wer ein bisschen Licht an hat im Kopf . . .“