Dortmund/Castrop-Rauxel. Wegen einer schmerzenden Schulter ging Ruth G. aus Castrop-Rauxel zum Arzt ihres Vertrauens. In der Praxis spritzte ihr sein Vertreter ein Medikament, das sie absolut nicht verträgt. Zwei Tage später war die 67-Jährige tot. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung.

Sie hatte ihrer Mutter noch zugeredet: „Quäl dich nicht, lass dir eine Spritze geben“, hatte sie geraten, beim Sonntagsbummel über den Friedhof. Heute macht sich Petra V. (50) deswegen bittere Vorwürfe. Denn zwei Tage nachdem Ruth G. (67) wegen ihrer Schulterschmerzen im Januar zu ihrem Hausarzt in Castrop-Rauxel ging, war sie tot. Die Rentnerin bekam Diclofenac gespritzt, obwohl sie allergisch auf dieses gängige Schmerzmittel reagiert – was in der Praxis seit Jahren bekannt war. Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen G.s Arzt.

„Die Allergie war in der Patientenakte dick und rot vermerkt“, erklärt Sabrina Diehl, Anwältin der Familie, spezialisiert auf Medizinrecht: „Eigentlich vorbildlich gelöst!“ Doch der Arzt, der Ruth G. an jenem Morgen behandelte, war nicht ihr langjähriger Hausarzt, sondern dessen Vertreter. „Und er hat sich einfach nicht die Mühe gemacht, in die Akte zu schauen“, glaubt Diehl. Die Rentnerin stieg noch in ihr Auto, kam aber nur 230 Meter weit. Auf einem Lidl-Parkplatz stoppte sie, kollabierte. Passanten riefen den Notarzt, der sie reanimierte und ins St.-Rochus-Krankenhaus einlieferte.

„So ein Fehler darf nicht passieren“

„Als ich hingekommen bin, war sie schon nicht mehr ansprechbar“, erinnert sich Tochter Petra. Ganz reglos habe die dreifache Oma da gelegen - die doch noch „so fit und fidel war“, die nach einer vor Jahren überstandenen Krebs-Erkrankung wieder „toll aufgeblüht“ sei. Zwei Tage und Nächte wachte V. mit ihren Brüdern Heinz (49) und Frank (47) am Bett der Mutter. „Doch sie ist nicht mehr wach geworden. Am 4. Januar haben wir die Geräte abgeschaltet, die sie am Leben erhalten haben.“

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„Ich kann das bis heute nicht verarbeiten“, sagt Petra V. , „dass durch so eine Achtlosigkeit ein Menschenleben einfach ausgelöscht wird. Der Doktor hätte nur den Computer hochfahren müssen, dann hätte er das Lämpchen leuchten gesehen...“

Anfangsverdacht des Ärzteverschuldens

Von einem groben Behandlungsfehler spricht Anwältin Diehl. 97.386 Euro will sie für ihre Klienten erstreiten. Die Erfolgsaussichten seien gut. „So ein Fehler darf selbst im größten Stress nicht passieren.“

Strafrechtlich drohen dem Mediziner bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe, erklärt Henner Kruse, Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund. Das Krankenhaus habe die Behörde informiert, die Obduktion den Anfangsverdacht eines Ärzteverschuldens nahegelegt. Derzeit warte man auf das abschließendes Gutachten des Rechtsmediziners. In der betroffenen Praxis in Castrop-Rauxel wollte man sich gestern mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht äußern.