Oberhausen. . Das Oberhausener Friedensdorf hat 42 Mädchen und Jungen aus Gaza ins Revier geholt. Sie sind schwerst verletzt, einige verloren alle Finger, andere haben Granatsplitter im Auge. Was den Kindern hilft: Sie haben die fantastische Gabe, sich anzupassen. Ein nachdenklich stimmender Besuch.

Kriegskinder. Die bildhübsche Ranya* mit der lustigen Sonnenbrille, sie hat einen Granatsplitter unterm Auge. Und auch die Verletzungen der neunjährigen Adina, die ihre Haare bis zum Po trägt, fallen erst auf, als Dr. Mohammed Ali Hariri ihr den Kleinmädchenschuh abstreift. Ein unvollständiger Fuß kommt zum Vorschein, das Bein ist vernarbt, verkürzt.

„Adina wird spezielle Einlagen und Schuhwerk brauchen“, sagt der Doc. Orthopädietechnik, wie sie in Gaza nicht verfügbar ist.

Die meisten Kinder müssen gleich vom Rollfeld ins Krankenhaus

Eine ganze Kolonne von Krankenwagen hat die 42 palästinensischen Kinder noch auf dem Rollfeld in Empfang genommen, als sie am Mittwochabend in Düsseldorf landeten. Verbrannte Kinder, Kinder mit infizierten Wunden, Kinder in Decken gehüllt werden in die kühle Dämmerung geführt oder getragen.

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Ein Junge hat Arm und Bein verloren. Mehr als die Hälfte muss gleich in die Partnerkrankenhäuser gefahren werden. Nur zwanzig kommen zunächst ins Friedensdorf nach Oberhausen, wo sie am Tag darauf von Dr. Hariri untersucht werden, diesem unerschütterlichen, liebenswerten Herrn mit libanesischen Wurzeln, der sich seit seiner Pensionierung hier engagiert. Heute kann der 75-Jährige nach langer Zeit mal wieder arabisch reden. Die anderen Kinder im Friedensdorf, die er alle in Empfang genommen hat, kommen derzeit aus Afghanistan und Angola.

„Sie haben die fantastische Gabe, sich anzupassen“

„Palästina war einer der etwas schwierigeren Flüge“, untertreibt Friedensdorf-Leiter Thomas Jacobs. Die Deutschen durften nicht in den Gazastreifen einreisen. Anders als sonst mussten Partner vor Ort die Kinder auswählen, denen mit einer Behandlung in Deutschland am besten geholfen wäre; die „Palästinensische Ärzte- und Apothekervereinigung Berlin-Brandenburg“ hatte den Flug angeregt und Spenden gesammelt. Wochenlang verzögerte sich der Flug, die deutschen Diplomaten machten Druck. Doch als es endlich losging, war eines der ausgewählten Kinder bereits gestorben. Drei waren nicht mehr transportfähig. Sie blieben zurück, als die Kolonne Palästina verließ, um neun Stunden über den gesetzlosen Sinai nach Kairo zu holpern. Dort, im Hospital, starb ein weiteres Kind.

„Die Jungs legen großen Wert darauf, was sie verletzt hat“, berichtet Thomas Jacobs. „Bei mir war’s ein F16-Flieger – Mich hat ein Splitter der Rakete XY erwischt. Sie kennen alle Waffentypen.“ Für den erfahrenen Krisenhelfer ist dieses Phänomen neu. Aber wäre das alles nicht noch schlimmer, würden die Jungs nicht die Chance auf spielerische Normalität in ihrem Leben suchen? „Kinder sind Kinder“, sagt Jacobs. „Sie haben die fantastische Gabe, sich anzupassen.“

Ohne plastische OP wird Kaya auf einem Auge erblinden 

So schmeißt sich auch Djamal kurz in coole Pose, als ihm Blut abgenommen wird. Die Jungs in den Stockbetten drumherum feixen (bis auf den mit der Gehirnverletzung), so muss das sein. Djamal hat ja selbst ein Auge verloren, ein Granatsplitter im Schädel plagt den pfiffigen Elfjährigen. Er sagt, er saß im Unterricht, als es passierte, in der Schule der Vereinten Nationen in Beit Hanun. Mindestens 15 Tote hatte die palästinensische Seite nach dem Angriff am 24. Juli bestätigt. Djamal gehört zu den rund 200 Verletzten.

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„Das ist eine furchtbare Verbrennung“, entfährt es Dr. Hariri, als er den übergroßen Sommerhut der schmächtigen Kaya hebt. Dann sagt er wieder nüchtern seiner Assistentin die Befunde an: „Die Finger sind alle weg. Eine Steifheit im Handgelenk. Im Gesicht starke Narbenbildung. Den Mund schließt sie nur, wenn man sie auffordert. Lidschluss links nicht komplett.“ Ohne plastische OP wird Kaya auf diesem Auge erblinden. Auch ihre Schwester ist hier, hat Verbrennungen erlitten – wodurch? „Ein Hausbrand“, sagt der Doc. „Eine Kerze ist umgefallen.“

Bilder von Kindern werden für Propaganda missbraucht

Nicht alle Kinder hier sind durch Kriegsgewalt verletzt worden, für das Friedensdorf spielt die Ursache keine Rolle. Umso mehr ärgert es die Helfer, dass Bilder von Kindern in sozialen Netzen gelandet sind und für Anti-Israel-Propaganda missbraucht werden. Ein winziges Mädchen mit roten Augenrändern wirkt verbrannt, aber es leidet an Fischhaut, eine Erbkrankheit.

Kriegskinder sind sie dennoch alle in den provisorischen Schlafsälen, in denen sie ausharren müssen, bis ihr Blut untersucht ist und klar ist, dass sie keine Läuse einschleppen. Der Krieg und der Dauerkonflikt verhindern, dass sie in ihrem eigenen Land vernünftig behandelt werden können. Die Bombenangriffe haben sie geprägt, so wie sie die Großelterngeneration in Deutschland geprägt haben. Heute werden sie wohl hinausdürfen, um die anderen Kinder kennenzulernen. Die Afghanen und Angolaner, in Kapuzenpullis und auf Krücken, in Rollis und Turnschuhen. Heute ist Sommerfest im Friedensdorf.

*Alle Kindernamen geändert