Duisburg. .
Die Zahl der Polizisten reicht für eine Loveparade im Ruhrgebiet nicht aus. Das sagt Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er fühlt sich von Politikern zu oft im Stich gelassen, fordert harte Strafen für Gewalt gegen Polizisten und eine Statistik für Ausländer-Straftaten.
Nach der Absage der Loveparade in Bochum hat nun auch die Duisburger Polizei Bedenken angemeldet, ob der Massen-Rave im kommenden Jahr möglich ist. Zu Recht?
Wendt: Ich muss dem fachlichen Rat unserer Spitzenleute in Duisburg da vertrauen. Ich glaube aber, dass die Duisburger Polizeiführung bei der Einschätzung der Loveparade richtig liegt. Denn wir sind in einer angespannten Einsatzsituation und in einer angespannten Personalsituation. Im Grunde genommen müssen wir uns daran gewöhnen, dass solche Events nicht mehr stattfinden können in Deutschland. Das ist kein Duisburger Spezifikum. Die Politik hat dafür gesorgt, dass die Personaldecke der Polizei so ist, wie sie ist.
Die Duisburger Polizei bezweifelt besonders, dass ein geordneter An- und Abreiseverkehr möglich ist. Das wird für alle Städte nicht einfach sein. Ist die Loveparade damit unter Sicherheitsaspekten überhaupt im Ruhrgebiet möglich?
Wendt: Ich glaube, dass es im gesamten Ruhrgebiet nicht vernünftig ist, eine solche Loveparade stattfinden zu lassen. Denn sowohl was die verkehrlichen Belastungen angeht als auch was die Belastung der Einsatzkräfte angeht, ist das einfach nicht mehr zu handhaben. Da muss man ehrlich sein und sagen, das können wir nicht gewährleisten. Und wenn eine Veranstaltung mit einem zu hohen Risiko für die Teilnehmer behaftet ist, dann muss die Polizei ihre Sicherheitsbedenken auch geltend machen können.
Im Kulturhauptstadt-Jahr soll es einen langen Frühstücks-Tisch auf der A 40 geben. Ist der auch unrealisierbar?
Wendt: Nein. Wenn man genügend Geld in die Hand nimmt, geht alles.
Wenn Sie sagen, Großveranstaltungen wie die Loveparade sind langfristig in Deutschland nicht mehr zu stemmen: Schließt das auch den Kölner Karneval oder das Münchener Oktoberfest mit ein? Oder hat die Loveparade eine andere Qualität?
Wendt: Auch wenn die Loveparade jetzt schon ein paar Mal stattgefunden hat: Im Rheinland sagen wir ja, erstes Mal ist Premiere, zweites Mal ist Tradition, drittes Mal ist Brauchtum. Aber die Loveparade ist nunmal keine rheinländische Erfindung, so dass man sich nicht auf Brauchtum berufen kann. Das ist beim Karneval der Fall. Deshalb werden Karneval oder das Münchener Oktoberfest immer stattfinden. Da werden eben Prioritäten gesetzt, und wir müssen solche Veranstaltungen auch mit Prioritäten versehen.
Aber, nochmal, wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass bestimmte Veranstaltungen auch gar nicht mehr durchgeführt werden können. So wie wir jetzt im Zusammenhang mit dem NATO-Gipfel darüber diskutieren, ob Fußballspiele verschoben werden. Daran werden wir uns ebenfalls gewöhnen müssen.
Die heruntergerissene Israel-Flagge
Die Duisburger Polizei ist nicht zum ersten Mal in diesem Jahr in die Schlagzeilen geraten: Bei einer Demonstration in Duisburg sind Polizeibeamte, angeblich aus Angst vor einer Eskalation, in eine Wohnung eingedrungen und haben eine Israel-Flagge heruntergerissen. Sie haben damals kritisiert, dass es unerträglich sei, wenn in Deutschland Islamisten polizeiliches Handeln bestimmten. Woher kommt denn das – aus Ihrer Sicht – unterwürfige Verhalten der Polizei?
Wendt: Unterwürfig ist das ja nicht gewesen. Hier haben Kollegen in höchster Not gehandelt, die personell ausgesprochen schwach besetzt waren. Die politische Botschaft dieses polizeilichen Handelns war natürlich verheerend. Insofern war es gut, dass der Innenminister und die Landesregierung einige Tage später eingegriffen und das korrigiert haben. Der Innenausschuss hat darüber beraten. Und ich glaube, dass jetzt auch in der Öffentlichkeit die Botschaft richtig angekommen ist, dass genau dieser erste Eindruck, der entstanden war, für die Polizei in Duisburg und in NRW auf keinen Fall gilt.
Innenminister Ingo Wolf hat nach dem Eklat um Verständnis geworben. Bei Demonstrationen stehe die Polizei immer vor einem Spagat, die Emotionen zu deeskalieren oder durchzugreifen. Gibt es eine Faustformel, wie dieser Spagat zu lösen ist?
Wendt: Nein, das wäre ja sehr schön und würde den Polizeiberuf einfach machen. Er ist aber nicht einfach. Ein bekannter Innenminister hat mal gesagt: ,Die Polizei ist die politischste aller Verwaltungen.“ Das heißt, Polizeiarbeit ist auch immer einer politischen Bewertung unterworfen. Und nichts ist ja schneller wandelbar als Politik. Von der Polizei wird verlangt, dass sie ihr Handeln daran flexibel ausrichtet. Es reicht also nicht, nur das Gesetzbuch zu nehmen und sich daran zu orientieren. Sondern wir müssen auch bei vielen unserer Maßnahmen berücksichtigen: Wie wird das politisch bewertet?
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wendt: Das war zum Beispiel das Herunterreißen der israelischen Flagge, das polizeirechtlich bewertet absolut rechtmäßig gewesen sein mag. Aber die politische Wirkung ist verheerend und geht so eben nicht.
Oder nehmen Sie die Ermittlungsarbeit bei den Duisburger Mafia-Morden, bei der die Polizei aus meiner Sicht absolut ungerecht behandelt und bewertet wird von der Politik. Gegen die Mafia ermitteln wir seit über hundert Jahren. Und ich weiß nicht, warum die Duisburger Polizei das in einem Jahr lösen soll.
Auch bei Demonstrationen, besonders bei Rechts-Links-Demos, ist die Polizei mittendrin in der Politik. Wie jetzt in Dresden. Wir sind gesetzlich verpflichtet, Aufmärsche von Neonazis zu beschützen, wenn uns die Gerichte dazu verpflichten. Leider. Für viele Kollegen ist das eine fast unerträgliche Belastung. Von den Linken werden wir mit Steinen beworfen und von den Rechten verprügelt. Die Politik im übrigen lehnt sich zurück ebenso wie die Gerichte. Die genehmigen die Demo unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit und fahren ins Wochenende.
Immer mehr Gewalt gegen Polizisten
Der Druck auf die Polizei wird auch von anderer Seite größer: Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Polizeibeamte nimmt immer mehr zu. Wie sieht Ihr Rezept dagegen aus?
Wendt: In NRW gab es im vergangenen Jahr über 6000 Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte. Hier wünschen wir uns, dass die Strafandrohung per Gesetz verstärkt wird – und zwar auf maximal fünf Jahre. Es wäre uns aber schon sehr geholfen, wenn die Gerichte den vorhandenen Strafrahmen bereits jetzt ausnutzen und empfindliche Haftstrafen aussprechen würden. Die Erhöhung des Strafrahmens hätte allerdings eine höhere Signalwirkung. Man spricht dann zwar von Symbolpolitik, aber Politik braucht auch Symbole. Das ist nichts Schlimmes.
Der Staat symbolisiert dadurch: Wir ächten dieses Handeln und wir signalisieren durch den erhöhten Strafrahmen, dass wir da auch mehr Druck machen wollen. Zurzeit liegt der Strafrahmen bei ,Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte’ bei einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Das entspricht einer Strafandrohung wie bei Fischwilderei, und das ist eben genau das falsche Signal. Daher ist die Erhöhung der Strafandrohung auf maximal fünf Jahre eine wichtige Forderung, die wir am 2. März in Berlin mit Minister Schäuble auch besprechen werden.
Polizisten werden aber zunehmend nicht nur verletzt, wenn sie beispielsweise eine Person festnehmen. Die Zahl der körperlichen Angriffe gegen Polizisten nimmt auch zu, wenn diese gerade nur Streife gehen. Das wollen Sie ebenfalls härter bestraft wissen.
Wendt: Ja, denn das ist das andere große Problem, das in den Statistiken aber nicht erfasst wird. Wenn ein Polizist, ohne dass er jemanden festhält oder festnimmt, angegriffen und verletzt wird, taucht das in der Statistik nur als Körperverletzung, aber nicht als Amtsdelikt, nicht als Angriff auf einen Polizeibeamten, auf. Körperverletzungs-Delikte gegen Polizisten sollten nach unserer Auffassung allerdings ein qualifizierter Tatbestand im Strafgesetzbuch werden. Beispielsweise ein Fall neulich in Hamm: Ein Polizeibeamter steht vor einer Gaststätte und schreibt ein Strafmandat. Dann kommen ein paar Leute aus der Gaststätte und verprügeln den Polizisten. Und dieser Fall taucht in der Statistik unter ,Gewalt gegen Polizisten' nicht auf, weil die Leute, die den Polizisten verprügelt haben, sich nicht gegen eine Amtshandlung des Beamten gewehrt haben, sondern den tatsächlich nur angegriffen haben.
Daher fordern wir für Körperverletzungen gegen Polizisten eine Mindestfreiheitsstrafe von einem halben Jahr. Denn wir müssen wieder deutlich machen: Polizisten und anderen Amtsträgern tut man nix. Früher haben sich die größten Ganoven geprügelt wie die Kesselflicker, aber die hätten sich eher die Hand abgehackt, als gegen einen Schutzmann die Hand zu heben. Wir fordern, dass der Tatbestand der Körperverletzung auch für Feuerwehrleute oder Gerichtsvollzieher gilt, die im Staatsauftrag für den Staat tätig werden und nur angegriffen werden, weil sie eben Feuerwehrleute sind. Der Staat muss deutlich machen, dass er die Leute, die für ihn tätig sind, besonders beschützt.
Wie sieht es mit Schmerzensgeld aus?
Wendt: Wir sind der Auffassung, dass der Staat im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs das Vollstreckungsrisiko für Schmerzensgeldforderungen tragen soll. Bislang muss der betroffene Polizist, um Schmerzensgeld einzutreiben, selber den Gerichtsvollzieher beauftragen und im übrigen auch bezahlen. Und der Gerichtsvollzieher muss loslaufen und das Geld holen. Aus unserer Sicht muss dieses Vollstreckungsrisiko aber der Dienstherr übernehmen. Der Staat muss das Schmerzensgeld zunächst einmal bezahlen und sollte es im Konfliktfall auch vollstrecken. Weil es ja auch der Dienstherr ist, der die Polizisten in solche Einsätze schickt.
Warum wird die Polizei überhaupt so oft zum Feind?
Wendt: Wir wissen, dass Gewalt in der Gesellschaft in zunehmendem Maße als zulässiges Mittel der Konfliktbewältigung angesehen wird. Und das hat in der Tat viele Ursachen.
Wir wissen zum Beispiel, dass weite Teile der Bevölkerung, insbesondere mit anderem soziokulturellen Hintergrund, Gewalt ganz anders bewerten. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Gewalt gegen Frauen in der Türkei, wo sogar weite Teile der Opfer sagen, das ist schon in Ordnung. Wenn ich nicht gehorche, dann darf mein Mann mich schlagen. Das akzeptieren viele Frauen. Das heißt, wir müssen in diesem Bereich viel mehr kriminologische Forschungsarbeit leisten, als das bisher geschieht. Wir haben ein riesiges Dunkelfeld, was Gewaltkriminalität angeht. Es ist bislang leider keine wirkliche Staatsaufgabe, Gewaltphänomene in der Gesellschaft wissenschaftlich zu untersuchen.
Ist denn Gewalt gegen Polizisten nur ein Problem von Migranten?
Wendt: Nein, über viele weitere Gewaltursachen kann man mangels Forschung aber ebenso nur spekulieren. Es gibt allerdings Indizien. Gewalt bekommt bei Sportfesten oder großen Volksfesten zunehmend einen Event-Charakter. Das heißt, Gewalt wird bis in weite Teile des bürgerlichen Milieus hinein akzeptiert. Als Mittel der Auseinandersetzung. Wir haben es bereits erlebt, dass sich bei großen Volksfesten ganze Horden auf zwei Polizisten stürzen, diese fürchterlich verprügeln - und das so genannte bürgerliche Milieu steht drum herum und erfreut sich an diesem Anblick. Das war früher unvorstellbar. Früher haben die Leute selber eingegriffen und gesagt: ,Lass den Schutzmann in Ruhe.’ Gewalt ist in Deutschland nicht mehr so geächtet wie früher.
Und es ist natürlich auch so, dass sich das Thema Politik- und Staatsverdrossenheit bei der Polizei entlädt. Die Polizei steht als Synonym für diesen Staat, den man verachtet und den man eigentlich bekämpfen will.
Die Polizei übt sich in Kommunikation
Hat die Polizei eigentlich auch selbst etwas verbockt?
Wendt: Wir sind ja ein Unternehmen mit ständig steigendem Auftragseingang. Wenn man den Staat als Unternehmer betrachtet, müsste der Staat eigentlich in einer solcher Situation des ständigen Konjunkturaufschwungs weitere Filialen eröffnen, Personal einstellen und die Ausbildung verbessern. Genau das Gegenteil tut der Staat. Er verhält sich eben nicht wie ein kluger Unternehmer. Aber die Polizei selbst hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt. Der kommunikative Ansatz von Polizeiarbeit ist mittlerweile berufsimmanent vom ersten Tag an. Wir haben einen absoluten Schwerpunkt, auch in der Ausbildung, im kommunikativen Bereich, in der Vermittlung sozialer Kompetenzen. Und insofern hat die Polizei ihren Teil geleistet und leistet ihn noch immer.
Der Bürger hat aber nicht immer das Gefühl, dass Polizisten Kommunikationsgenies sind...
Wendt: Die Polizei kann gegen Überforderung nichts tun. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir zur Zeit der ehemaligen Landesregierung zehn Jahre lang Steuerungsmodelle ausprobiert haben aus der Privatwirtschaft. Das sind die Modelle, mit denen gerade die amerikanische Wirtschaft gescheitert ist. Der Bürger wurde darin als Kunde betrachtet - und polizeiliches Handeln darauf reduziert: In welcher Zeit können wir das machen? Und so wurde auch das Personal bemessen. Polizeiarbeit, wenn sie gut gemacht werden soll, braucht Zeit und Personal und kostet Geld.
Wenn Sie eine Todesnachricht überbringen wollen und das gescheit machen wollen, dann müssen Sie sich notfalls ein paar Stunden Zeit nehmen können. Oder das Trösten von Unfallopfern. Aber wenn einem dann Unternehmensberater-Konzepte im Genick sitzen, die sagen: ,Der nächste Einsatz wartet. Du muss jetzt wieder los’, dann leidet darunter die Qualität von Polizeiarbeit. Insofern glaube ich, dass die Polizei ihren Beitrag geleistet hat. Was aber immer einschließt, dass der ein oder andere in der einen oder anderen Situation auch schon mal falsch handelt.
Wie gut ist die Polizei im Umgang mit Migranten aufgestellt?
Wendt: Die Ausbildung ist darauf ausgerichtet, möglichst viele interkulturelle Kompetenzen zu vermitteln. Wir haben in den Behörden Multiplikatoren, die den Kollegen immer wieder das Verständnis für andere Kulturen vermitteln. Aber wir dürfen auch nicht darüber hinweg sehen, dass die Polizei regelmäßig in Konfliktsituationen kommt. Und wenn Sie einem Verkehrsteilnehmer mit Migrationshintergrund ein Verwarngeld anbieten und der daraus eine fremdenfeindliche Aktion macht, dann sind Sie als Polizist auch mit Ihrem Latein am Ende.
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In NRW weigert sich der Innenminister zudem, Straftaten von Personen mit Migrationshintergrund statistisch zu erfassen. Das nimmt uns die Möglichkeit, in diesem Bereich Kriminalitätsforschung zu betreiben. Wenn man keine Forschung mit validen Daten betreibt, dann gibt man den Raum frei für Spekulationen und Stammtischgerede. Und zur Beruhigung: Man muss auch nicht alle Daten direkt öffentlich machen, sondern kann sie erst einmal verdeckt an die Forschung geben.