Dortmund. . In Dortmund trafen sich am Wochenende wieder Brieftaubenzüchter aus ganz Europa. Unter den Besuchern der Messe fanden sich in diesem Jahr auch viele Chinesen. In China nämlich wird die Brieftaubenzucht immer beliebter. Beim einfachen Volk – und bei Millionären.

Willi Scherer hat ein wenig eingekauft. „Einmal im Jahr gönne ich mir was“, sagt der 72-Jährige und klopft auf die kleine, verschlossene Pappbox mit den Löchern an der Seite. Ganz vorsichtig klopft Scherer, schließlich war der Inhalt nicht billig. „1200 Euro“, sagt der ehemalige Galvaniker aus dem Münsterland. Für eine Taube. Aber natürlich nicht für irgendeine. „Die ist schnell“, sagt der Rentner und sein Freund, der Jupp, der nickt. „Sehr schnell.“

Sehr schnelle Tauben gibt es viele an diesem Wochenende in den Westfalenhallen in Dortmund. Sehr schöne übrigens auch. Weibchen und Männchen, Standard und AS. In langen Reihen sitzen sie in ihren Käfigen, davor weißhaarige Männer mit Goldrandbrillen und Strickjacken. Weil die „Deutsche Brieftauben-Ausstellung“ hier stattfindet. „Die größte ihrer Art in Europa“ sagt Christoph Schulte, der die Verbandszeitung herausbringt. Wahrscheinlich sogar die größte der Welt. „Was in China so abgeht, weiß man nicht genau.“ Aber zu den Chinesen kommen wir später noch.

„Mein Opa ist ein Taubenzüchter“, steht auf dem T-Shirt

Rund 15 000 Besucher kommen, wenn die Messehallen sich in einen Taubenschlag verwandeln und es in Gängen Futter und Käfige in allen Variationen gibt, Videos mit Tipps und Tricks oder T-Shirts auf denen steht: „Mein Opa ist ein Taubenzüchter“. 15 000 Besucher, das ist nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass im Verband nur noch 40 000 Züchter Mitglied sind. In den 1960er-Jahren waren es fast dreimal so viele. „Da hatte fast jeder Tauben bei uns in der Siedlung“, erinnert sich Gerd Beckfeld (78) aus Bottrop. Heute dagegen kommen schon mal Nachbarn, wenn sich einer einen Schlag baut, und fragen: „Muss das sein, mit den Vögeln? Der ganze Lärm und der Dreck. Ist doch nicht schön.“ „Nee“, sagt Beckfeld, Züchter seit 60, Preisrichter seit 41 Jahren, „es ist alles nicht einfacher geworden.“

Kommt ja auch kein Nachwuchs mehr. „Wir sind früher nach Hause gekommen und ab aufs Dach in den Schlag“, sagt der Bottroper Fritz Domröse (79). „Heute gehen die jungen Leute in den Keller an den Computer.“ Der Taubensport habe graue Haare bekommen, heißt es oft. Christoph Schulte nickt. „Das ist nicht neu. Aber es wird nicht wieder besser werden.“ Zumindest nicht in Deutschland. Höchstens in China.

Ein wenig können das Werner Steinhoff (75) und Everhard Holtmann (75) aus Beckum sogar verstehen: „Es ist schon verdammt viel Arbeit.“ Allein die Fütterung der im Schnitt 100 Vögel pro Schlag. „Da schmeißt du ja nicht ein paar Körner wie im Hühnerstall.“ Im Gegenteil: „Der Monat hat nicht so viele Tage, wie es Zusatzprodukte gibt“, weiß Domröse. „Aber alles Natur“, versichert Beckfeld. Ständig werde auf Doping kontrolliert. „Keiner hat bisher was gefunden.“ Würde sich auch nicht lohnen. Denn zwischen Kiel und Konstanz geht es selten ums große Geld, wenn Züchter ihre Tiere zu Wettflügen aufsteigen lassen. „In 98 Prozent aller Fälle geht es nur um Ruhm und Ehre“, sagt Schulte.

Anders sieht die Sache aus, wenn die Tauben exportiert werden. „China boomt“, weiß Schulte. Immer beliebter würde die Taubenzucht dort. Beim einfachen Volk, besonders aber bei der stetig wachsenden Zahl von Millionären. Sie zahlen, ohne mit der Wimper zu zucken, den Gegenwert einer Eigentumswohnung für einen schnellen gefiederten Freund. Im Mai überwies ein chinesischer Geschäftsmann für eine erfolgreiche belgische Brieftaube 310 000 Euro, um mit ihr eine Zucht aufzubauen. Genannt wird der Vogel „Bolt“ – nach dem jamaikanischen Weltrekordsprinter.

Bei den Tribünenrennen werden irre Preisgelder gezahlt

Die Investition könnte sich sogar auszahlen. Denn anders als in Deutschland lässt sich im Rest der Welt viel Geld mit Wettflügen verdienen. Bei diesen Flügen kann jedermann nestjunge Tauben gegen eine Gebühr dem Veranstalter übergeben. In einem Schlag werden alle Jungtauben unter den gleichen Bedingungen trainiert, bevor sie ins Rennen geschickt werden. Die Ankunft im Heimatschlag kann von den Besitzern vor Ort oder im Internet verfolgt werden.

„One Loft Race“ oder Tribünenrennen werden diese Wettbewerbe genannt. Im südafrikanischen Sun City, beim derzeit prestigeträchtigsten Wettflug, lockt ein Preisgeld von 200 000 Dollar. In China winken angeblich bereits Prämien in Millionenhöhe. Vielleicht erklärt das, warum Veterinäre im Herbst in Belgien Kokain im Taubenkot entdeckt haben. Das soll die Tiere ausdauernder machen.

Auch in Deutschland gibt es erste Tribünenflüge, wenn auch weitaus niedriger dotiert. Für altgediente Züchter sind sie kein Thema. Im Gegenteil: „Wenn das um sich greift“, ahnt Fritz Domröse, „sind die Tauben bald nicht mehr die Rennpferde des kleinen Mannes.“